Berlin lebt auf : Hunger in der Stadt
Seit 75 Jahren gibt es die Berliner Zeitung. In der Woche nach ihrem ersten Erscheinen am 21. Mai 1945 greift sie Themen auf, die bis in die Gegenwart reichen. Das Haus der Wannsee-Konferenz und das Aktive Museum haben daraus eine aktuelle Ausstellung gemacht.

Die Berliner Zeitung berichtet am 25. Mai 1945

Der Hunger und seine Folgen
Durch Ausbeutung der besetzen Gebiete können die Nazis die Nahrungsmittelversorgung derjenigen Bevölkerungsteile, die ihren rassistischen Kriterien entsprechen, lange Zeit auf hohem Niveau halten. Erst Ende des Krieges bricht Hunger aus.

Obgleich selbst alles andere als üppig ausgerüstet, übernimmt die Rote Armee nach der Befreiung die Erstversorgung. Die Opfer von Verfolgung erhalten sogar Extrarationen. Für die anderen reichen die Zuteilungen kaum aus. Viele sind gezwungen, in Ruinen nach Essen und nach Brennmaterial zu suchen und durch den (illegalen) Tauschhandel – auf dem Land oder in der Stadt – zusätzliche Kalorien zu ergattern. Durchziehende Flüchtlinge werden mit einer Suppe und einem Stück Brot abgespeist.

Irmgard Verlag
Praktisches Kochbuch
Mary Hahn: Praktisches Kochbuch für die bürgerliche Küche: Das Buch wird 1953 vom Landeslehrbuchausschuss des Senats von West-Berlin empfohlen. Nach den Entbehrungen wollen sich viele etwas gönnen. Die Fleischportionen wachsen ebenso wie der Konsum von Fett und Eiern bis in die 1980er-Jahre ständig. Bis heute legen die Gerichte nach „deutscher Hausfrauenart“ allzu oft weniger Wert auf den Geschmack als auf die Fülle.
In Folge der Kriegsverwüstungen bleiben die Ernten aber in ganz Europa mager. Trotz Care-Paketen leiden die meisten Menschen in Berlin jahrelang Hunger. Erst 1949, nach dem Ende der sowjetischen Blockade, beginnt sich die Versorgung in beiden Teilen der Stadt zu normalisieren. Die Erfahrung des Hungers prägt diese Generation bis heute.

Chronik
1945 –1947
Dramatische Unterversorgung der Bevölkerung in zwei Hungerwintern
1946
Beginn der Sendung von Care-Paketen
1948 /1949
Überwindung der Blockade West-Berlins durch die West-Alliierte Luftbrücke
1950
Abschaffung der Lebensmittelkarten in der BRD und in West-Berlin. In Berlin gibt es noch einige Zeit eine „Milchkarte“.
1958
Abschaffung der Lebensmittelkarten in der DDR und in Ost-Berlin
1961/1962
Wiedereinführung der zeitweiligen Rationierung bestimmter Lebensmittel in der DDR
2010
Nach offiziellen Angaben sind fast 60 Prozent der Bundesbürger übergewichtig
2020
Die Panikkäufe und das Horten bestimmter Lebensmittel erinnern viele Beobachter an Nachkriegs-Kaufpraktiken

Texte und Bilder sind größtenteils aus der gemeinsamen Ausstellung Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und Aktives Museum, Am Großen Wannsee 56 - 58, 14109 Berlin. Öffnungszeiten montags bis sonntags 10 bis 16 Uhr. Die Tafeln sind auch im Foyer des Berliner Verlags, Alte Jakobstraße 105, 10969 Berlin, bis zum 30. Juni in der Zeit von 10 bis 15 Uhr zu sehen.