Albert Ebert aus Halle war in der DDR der lange verkannte große Maler kleinster Formate. Was die Welt "naiv" nennt, war Spiegelbild einer fantasievollen Natur. Jetzt zeigt die Staatliche Galerie Moritzburg seine Bilder: Heizers Traum
Albert Ebert malte die Feste, wie sie fielen: Burgfest und Fasching, Kirmes und Pressefest, Hochzeit und Totensonntag. Seine Bilder waren ihm Offenbarung und Teil seines Alltags. Er erfüllte sich damit Kindheitswünsche, auch Tagträume; weil er nämlich jenes irdische Paradies malte, das ihm an der Ostfront und in sowjetischer Gefangenschaft vorgeschwebt hatte. Die Märchenstunden der Mutter an Winterabenden, Kinder mit Blumenkränzen im Haar, Blaskapellen, geschmückte Pferde und Wagen, halb nackte Mädchen hinter Tüllgardinen und vor Spiegeln, Marktstände, Zirkuszelte, Jahrmärkte, sogar eine Hallenser HO-Gaststätte mit Friedensplakat füllen die winzigen Bildformate mit Lebenslust. Von Albert Ebert sagt man, er sei der "deutsche Rousseau". Der Vergleich mit dem malenden französischen Zöllner, jenem berühmten "Naiven" der Ende des 19. Jahrhunderts 42-jährig die Uniform an den Nagel hing, um, wie die Kunstwissenschaft betont, ein "Grenzgänger zur Moderne" zu werden, hat ihn verwirrt. Natürlich fühlte Ebert, der mit 50 Jahren seinen ersten Erfolg als Maler erlebte, Wahlverwandtes. Aber was Rousseaus - oder was die eigenen Bilder - für die Epoche der Moderne bedeuteten, darüber ließ er andere klugreden. Das gelehrte Reden über die Kunst war seine Sache nicht. Auch die Dispute der Hallenser Künstler um Tradition und Moderne, um Inhalt und Form waren Ebert fremd, aber er fühlte sich wohl in ihrer Gesellschaft. Dass sie seine frühen Sammler waren, freute ihn, später zählten auch Schriftsteller wie Christa und Gerhard Wolf dazu.Eberts Vater war Maurer in Halle, und auch der Sohn hatte über Jahre als Handlanger auf dem Bau gearbeitet. Es gab vage Zeichenversuche, aber dann musste Ebert in Hitlers Krieg und kam 1945 mit kaputten Knochen und bedrückter Seele nach Hause. Im Spital begann er zu malen, unbeholfen noch, beinahe plump. Schließlich fasste er Mut und bewarb sich an der Meisterschule für gestaltendes Handwerk Halle bei Carl Crodel. Er sei zu alt fürs Studium, sagte der Professor. "Wie alt muss man denn sein, um malen zu lernen?", fragte Ebert. Crodel fand die Erwiderung bemerkenswert und nahm den Vierzigjährigen an - um bald festzustellen, dass er seinem Schüler nichts zeigen konnte. Dass dieser kaum anderes tun musste, als die Bilder so zu machen, wie nur er sie sich vorstellte.Außer Crodel sahen auch andere Künstler, dass der scheue, schweigsame Ebert etwas Besonderes war. Der Bildhauer Waldemar Grzimek erinnerte sich: "Er kam abends zu mir, ich sollte ihm Korrektur geben, er machte Akte, ganz kleine, sehr empfindsame Zeichnungen auf großen weißen Bögen." Schon vor dem Krieg wie der Vater in der SPD organisiert, war Ebert 1946 in die SED gegangen. Dann verstand er die Welt nicht mehr: Weil er an einer Ausstellung "Christliches Kunstschaffen" teilnahm, warfen ihn die Stalinisten wegen "Lächerlichmachung unserer vorwärts stürmenden Zeit" aus der Einheitspartei. Seine erotischen Frauenakte und die Bilder "Kindergeburtstag", "Konfirmation", "Zirkus" oder die Motive aus der Bibel - er bevorzugte die Kapitel mit den Wundern - zeigten nicht den "neuen Menschen". Dem staatseigenen Kunstbetrieb waren solche Sujets suspekt.Irgendwie aber musste er die Familie ernähren, er hatte zwei kleine Kinder, deshalb nahm er die Heizerstelle auf der Burg Giebichenstein an, wo er wenige Jahre zuvor noch drei Semester studiert hatte. Davon wussten viele Studenten nichts, die an kalten Tagen zu ihm in den Heizungskeller hinunterstiegen. Eine Flasche Kartoffelschnaps war immer da. Und sie fragten ihn erstaunt, was er denn da mache: Ebert zeichnete und malte in dem düsteren Keller, beim Schein der Sicherheitslampen. "Auf den staubigen Heizungsrohren hatte er seine skurrile Bildergalerie aufgebaut. Es war heiß, Heizen hieß damals, Unmengen von Rohbraunkohle zu verfeuern", erzählt der Grafiker Helmut Brade, damals Student, heute selber Lehrer an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein. "Wir waren begeistert von seinen Motiven und sagten ihm, er dürfe sie nicht zu Schleuderpreisen verkaufen." Aber Ebert war hilflos in geschäftlichen Dingen, und er war arglos. Manchmal nahm er nachts noch Fremde mit ins Atelier und schenkte ihnen Bildchen, die er mit poetischen Widmungen versah. Er schlief in der kargen Werkstatt neben der Staffelei auf einem Feldbett. Eine nackte Glühbirne spendete Licht, in der Ecke stand ein altes Radio. Helmut Brade erinnert sich, dass über der Tür als einziger Zimmerschmuck ein vergoldeter Engel hing - und an den Wänden die halb fertigen Täfelchen.Ebert malte seine Hallenser Welt mit dünnem Dachshaarpinsel, langsam, Zentimeter für Zentimeter, nächtelang. Oft kratzte er die Farbe wieder ab, veränderte das Motiv, suchte ein neues Kolorit. Motiv und Rahmen bilden farblich immer eine Einheit. Er hatte den Schreiner die Formate vorschneiden und den Rahmen als vorgewölbten Rand gleich mitrechnen lassen. Der Bildaufbau dieser Miniaturen ist voller Spannung, die Genauigkeit der Motive, die festlichen Farben scheinen an Alten Meistern geschult. Eberts Bilder rangierten jenseits von Politik und Zeitgeist - mit ihrem Witz, ihrer Erotik, ihren lebensbejahenden Botschaften - in der Kunstsparte "naiv". Diesen Garten Eden, so der Bildhauer Wieland Förster, der Ebert in den Sechzigern zur Druckgrafik überredete, könne ein akademischer Maler niemals hervorbringen. Für Förster war Ebert trotzdem nicht nur ein Naiver, sondern durchaus "ein mit allen Wassern gewaschener Maler. Seine Art, Bilder aus Farbe entstehen zu lassen, sein Stolz auf die Unzerstörbarkeit seiner Maltechnik, die ,professioneller ist als die vieler ,Profis , seine Empfindlichkeiten gegenüber malerischen Ungelöstheiten, sein Sinn für Farbe, Valeur und Kontrast - das alles sind Zeichen genug." Die Weltsicht Eberts mag naiv gewesen sein, er hatte ja seinen engsten Lebenskreis kaum überschritten, konnte es gar nicht, weil er ein vom Broterwerb gehetzter Künstler war. Aber er hatte die Gabe, seine wenig komfortablen Lebensumstände - und die DDR-Situation überhaupt - poetisch, mit skurrilem Witz zu verklären.In der frühen DDR waren solche Bilder nicht Gegenstand der Sammlungspolitik, sie fanden umso mehr private Sammler und sind daher in alle Welt verstreut. Wenn sie heute auf Auktionen oder im Kunsthandel auftauchen, sind sie so teuer, dass Ebert es sicher nicht fassen könnte. Ihm bedeutete ein Fünfzigmarkschein Reichtum, den man mit Freunden am besten in den "Krug zum grünen Kranze" oder in eine andere dämmerige Bierstube trug. ". der Baum der Kneipen verzweigte sich mächtig", heißt es bei Sarah Kirsch in einem Gedicht über den Maler. Er hat bis zuletzt in der Talstraße in Halle gewohnt, gleich neben einer Papiermühle. Dort hielten nach 1956, dem Jahr, in dem er offiziell "entdeckt" wurde, große Limousinen. Es kamen kultivierte Leute, die kaufen wollten und für Ebert verwirrende, wichtigtuerische Gespräche führten, was ihn irritierte. War er doch kurz zuvor noch - neben dem Heizen auf der "Burg" und dem nächtlichen Malen - maurern gegangen, weil das Geld nicht reichte. Ebert, in seinem Malerkittel, wartete still, gleichsam ein Diogenes in der Tonne, dem die hohen Herrschaften in der Sonne standen. Bevor Kunstbetrieb und Kulturpolitik Ebert solche Aufwartungen machten, hatten Gustav Seitz, Mitglied der Akademie der Künste der DDR, und Waldemar Grzimek in Berlin Krach geschlagen über den "unmöglichen Zustand", dass "einer der besten Maler" als Hilfsarbeiter arbeiten müsse. 1956 nahm Ebert erneut an einer Ausstellung "Christliches Kunstschaffen" teil. Die Ost-CDU kaufte das Bild "Gartenlokal auf der Rabeninsel" - als Geschenk für Albert Schweizer im afrikanischen Lambaréne.Im April 1956 malte Ebert sich zum Fünfzigsten "Heizers Geburtstagsständchen" - mit Trompetenengeln und Chor. Kurz darauf kaufte das Städelsche Kunstinstitut Frankfurt am Main das Bild. Der Museumsdirektor Klaus Gallwitz war oft bei Ebert und notierte: "Wenn Ebert seine Bilder vorführt und darüber fast unabsichtlich ins Sprechen kommt, scheint er immer noch mehr zu sehen als dargestellt ist, etwas Geheimnisvolles, das sich noch verbirgt." Gallwitz war es auch, der Eberts Kunst zum "Tafelsilber" der DDR zählte - "zum originellen künstlerischen Inventar". Nun musste die Kulturpolitik reagieren: Kurz nach dem Ankauf aus dem Westen bestellte die Nationalgalerie Berlin die zweite Fassung von "Heizers Geburtstagsständchen". Ebert konnte nun offiziell nicht mehr übersehen werden.Er soll, so berichtet der Museumsmann Werner Schmidt, sehr verlegen gewesen sein, als Professor Ludwig Justi, der greise Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, ihm für den Ankauf dieses Bildes und auch für "Die Ankunft der Heiligen Drei Könige" 1 500 Mark überbringen ließ. Noch nie in seinem Leben hielt Ebert so viel Geld in Händen; jahrelang hatte er seine Bildchen weggegeben für Groschen, manchmal auch im Tausch für Schuhe. Und nun hingen sie in der Nationalgalerie, plötzlich wollte alle Welt sie kaufen. Die Schiller-Stiftung Weimar prämierte ihn, die Galerie Neue Meister Dresden erwarb den "Ersten Schultag" und die Galerie Moritzburg das "Pressefest", später noch andere Arbeiten. Damals schien es in der DDR-Kulturpolitik ein Innehalten zu geben - wie ein Zugeständnis der SED-Funktionäre nach dem Volksaufstand vom Juni 1953: Endlich durfte die Nationalgalerie Grafik von Picasso zeigen und ihren Expressionisten-Raum eröffnen. Otto Dix und John Heartfield wurden in der Akademie der Künste geehrt. 1957 waren die fantastischen und erotischen Bilder Albert Eberts im Pavillon der Berliner Zeitung südlich vom Bahnhof Friedrichstraße, einem Glaskasten, der ansonsten Werbe- und Propaganda-Zwecken diente, zu sehen - alles andere als Heldenbilder des Sozialistischen Realismus, weitab von Pathos, Opportunismus und Manipulation. Die damalige Kunstkritikerin der Berliner Zeitung, Feli Eick, hatte ihren Chefredakteur zu dieser - völlig unideologischen - Ausstellung überredet, und die Arbeiten im Artikel "malerische Kleinodien" genannt. Als Eberts Künstlerkollegen Grzimek, Seitz und Werner Klemke ihn nach der Ausstellungseröffnung zum Essen in ein feines Berliner Restaurant einluden, machten sie das bewusst in Erinnerung an jenes Bankett, das der junge Picasso 1908 in seinem Atelier am Montmatre für den "Naiven" Henri Rousseau gegeben hatte. Ebert, erzählte Grzimek später, habe verlegen die erlesene Menükarte zugeklappt und das einfachste Gericht bestellt.Den Heizerkittel allerdings konnte er nach der Berliner Ausstellung ausziehen und fortan freischaffend von seinen Bildern leben. Ebert bekam den Kunstpreis der Stadt Halle, es folgte Ausstellung auf Ausstellung, auch in Westdeutschland - in Karlsruhe. Er war eingeladen, aber die DDR-Behörden verweigerten ihm das Reisevisum mit der Begründung, in Westdeutschland herrsche die Maul- und Klauenseuche, Aus- und Einreisen nach der DDR seien daher unerwünscht. Dafür kamen Eberts Bilder nach Dresden auf die Kunstausstellungen. Doch als er die Leistungsschauen des Sozialistischen Realismus besuchte, schimpfte er auf die "Schinken" und meinte, man brauche ja ein Fahrrad, um an den "Wandzeitungen" vorbeizukommen.Seine erste Großausstellung hat er nicht mehr erlebt. Am 27. August 1976 wurde Albert Ebert draußen auf dem Friedhof in Halle-Kröllwitz beerdigt, und drinnen in der Stadt, in der Galerie Moritzburg, standen die Leute Schlange, um Heizers Traum zu sehen.Albert Ebert // SEINE HEIMATSTADT IST HALLE/SAALE. Hier wurde er am 26. April 1906 geboren, hier ist er am 15. August 1976 gestorben. Nach Soldatenzeit, Kriegsgefangenschaft und drei Semestern an der Meisterschule für gestaltendes Handwerk in Halle arbeitete er tagsüber als Heizer an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, nachts malte er.ERST NACH SEINEM 50. GEBURTSTAG wurde Albert Eberts Kunst in der DDR und auch international bekannt, aber zur ersten großen Personalausstellung in Halle kam es erst 1976, im Jahr seines Todes. In vier Wochen sahen 30 000 Besucher seine Gemälde und Grafiken.DIE STAATLICHE GALERIE MORITZBURG Halle widmet Albert Ebert vom 10. November bis zum 13. Januar 2002 eine Ausstellung der Tafelbilder. Die Werke sind Leihgaben aus Museen und Privatsammlungen aus aller Welt. Öffnungszeiten: Di 11-20. 30 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr, dienstags freier Eintritt.EIN KATALOGBUCH mit Erinnerungen von Kunstgefährten, autobiografischen Texten von Ebert, Farbabbildungen und dem neuen Werkverzeichnis der Malerei erschien im Verlag Faber & Faber Leipzig, herausgegeben von Helmut Brade. Es kostet in der Ausstellung 68 Mark und im Buchhandel 98 Mark.FOTO Der Alltag, verwandelt in ein kleines Paradies: Albert Eberts "HO-Gaststätte", 1959/60.FOTO Albert Ebert (vorn rechts) 1950 inmitten von Studenten beim "Burgfest" an der Hallenser Kunsthochschule.