Albrecht Gehse kommt aus der Leipziger Schule vor 1990. Jetzt malt er Bilder von der neuen Welt: Zeitenwende

Udo trug den Nachnamen Hasenbein und dazu enge Jeans, rote Hosenträger überm lila Muskelshirt, eine hochtoupierte Haartracht, Kreolen in den Ohrläppchen und Sternchentätowierungen. Es waren die Jungen unter dem Millionenpublikum, die sich den "Kohlenträger Udo Hasenbein" ausgeguckt hatten als ihr Lieblingsbild dieser neunten Kunstausstellung der DDR, 1982. Es wurde in den Zeitungen nur unkonkret besprochen; keiner schrieb, wie sehr das Arbeiterbildnis doch dem amerikanischen Rockidol Frank Zappa ähnelte.Der Maler des Bildes, Albrecht Gehse, Jahrgang 1955 und in Leipzig Student, später auch Akademie-Meisterschüler vom "Alten Wilden" des Ostens, Bernhard Heisig, hatte den Achtungserfolg. Und das Interesse seiner Generation. Er blieb die Jahre darauf dabei, expressive Porträts zu malen. Vor Kulissen düsterer Melancholie stellte er Leute dar, die nicht ins offizielle Heldenfach des realen Sozialismus passten: noch einen alten Kohlenträger mit Brillengläsern, so dick wie Flaschenböden; Freunde, die in den Westen ausreisten, malte er beim Abschiednehmen. Andere Bildnisse zeigen einen erblindeten Kapitän von Hiddensee und den behinderten Freund S. P. an seinen Krücken. Nahe Menschen stellen das Bildpersonal, oft mit Fischen im Arm, seit Alters her mythische Zeichen für Leben und Tod, Heilssymbole in der Katakombenmalerei und Zeichen für die christliche Taufe. Ein typischer und zugleich sehr eigenwilliger Vertreter der Leipziger Malerei ist der junge Gehse. Ihm dient der Zugriff auf die Mythen samt all der malerischen Allegorien dazu, das Lebensgefühl seiner Generation auszudrücken - die Enge, die Melancholie, den Frust. Ein wenig das Renitente.Jetzt, im Jahr 2005, sind die Fische wieder da. Sie schwimmen in dicker Ölfarbe, bevölkern Aquarien und Spaßbäder, liegen auf Konferenz,- Stamm-und Caféhaustischen oder auf Bar-Tresen. Sie teilen Wellen oder liegen verendend an Stränden. Einer, mit Kopf und Leib eines Meeresungeheuers, scheint die "Tischgesellschaft", gemalt 2004, verschlucken zu wollen - und den kleinen Artgenossen auf dem Tisch gleich mit, noch ehe eine fleischige Männerhand nach ihm greifen kann. Alles an diesem Bild - die disharmonische, einander belauernde Geschäftsrunde, der zersplitterte Zaun, die giftgrüne Tischplatte - ist lesbar als Vorboten einer Katastrophe, die im Riesenmaul des Fisches enden könnte, für die Guten wie die Bösen, samt ihrer Ideale, Interessen und Intrigen.Albrecht Gehse malt solche Gesellschafts-Bilder, seit er Anfang der Neunziger von Leipzig nach Berlin umgezogen ist. "Zeitenwechsel" nennt er diese erste große Berliner Ausstellung in den Treptowers. Da zeigt er die vor 1989 entstandenen Tafeln und die neuen. Und da steht uns eine so ganz andere Art der "Neuen Leipziger Schule" vor Augen. Es ist nicht die neoromantische bis neosurreale Variante der realistischen Themen frei nach Fotos und in planer, kühler Farbigkeit. Gehse bekennt bei jedem Farbschlag, wer sein Lehrmeister für dieses Beschäftigen etwa mit den sieben Todsünden der Kleinbürger gewesen ist. Hier werden, ganz wie beim alten Heisig, die Farben noch auf die Leinwand geschleudert, hochgekocht zu Wogen, runtergekratzt, wieder aufgetürmt zu brodelnden Massen. "Den Augen ein Fest" würde es bei Delacroix heißen. Zudem hat Gehse nie aufgehört, vor dem Modell zu malen.Seine "Nachwende"-Bilder explodieren förmlich vor Selbstreflexion, vor Wahrnehmungs-und Erkenntnissucht. Es ist eine Malerei der wilden, großen Gesten, der hochdramatischen - und abermals allegorischen - Sujets. Sammler diesseits und jenseits des Atlantik schätzen diesen "Leipziger", sein Erfolg wird nur noch von dem seines Leipziger Kollegen Neo Rauch übertroffen. Selbst Helmut Kohl fand daran Gefallen und ließ sich 2003 von Gehse für die Ahnengalerie im Bundeskanzleramt porträtieren. Der Maler erntete damit nicht gerade Lorbeeren, so handwerklich brillant das Bild auch gemacht ist. Aber der Politiker kommt zu gut weg, zu sentimental und harmlos sitzt der alte Machtbrocken im Bild. Mutig hat Gehse das artige Porträt jetzt zwischen die anderen, die wilderen und wüsteren in der Ausstellung, platziert, zwischen die politisch deutbaren Narrenschiffe, Maskeraden, Kaufhaustresen und Höllenbars.Er steht dazu, dass seine Leinwände Emotionsflächen sind, auch als "neue Historienmalerei" gedeutet werden und sich vergleichen lassen müssen etwa mit den "Café Deutschland"-Bildern Jörg Immendorffs im deutschen Westen Ende der Siebziger. Das Konfliktpotenzial hat seitdem nicht abgenommen. Schon Immendorffs Café Deutschland war kein Literatencafé, sondern eine lärmerfüllte Diskothek, die er zum fiktiven Austragungsort seines privaten Ost-West-Konfliktes machte.Gehse sucht nun, 15 Jahre nach dem Ende der deutschen Teilung, in tiefenperspektivischen Bildern anzusprechen, was desillusionierend schief gelaufen ist. Und weil Malerei nur Fragen stellen, aber auch keine Antworten geben kann, vermischen sich privater Horizont und politischer Sinngehalt zu expressiven Bilderrätseln.------------------------------Albrecht Gehse // Der Maler, geboren 1955 bei Leipzig, entstammt einer bekannten Malerfamilie, Großvater war Ludwig G'schrey, Vater Paran G'schrey. Gehses Lehrer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig waren u.a. Harry Blume und Bernhard Heisig, bis 1990 war er dessen Meisterschüler an der Akademie der Künste.In den Achtzigern gehörte Gehse zur Leipziger Künstlergruppe "37,2", zusammen mit Hartwig Ebersbach, W.A. Scheffler, Trak Wendisch. Seit 1991 lebt und arbeitet er in Berlin.Die Ausstellung richtete die Kunstallianz aus, zu sehen sind Bilder aus 25 Jahren, Treptowers 3., bis 31. 3., tgl. 10-18 Uhr. Eintritt frei------------------------------Foto: "Kohleträger Udo Hasenbein", 1981/82.------------------------------Foto: Die mit Sinnbildern aufgeladene Szenerie verheißt nichts Gutes: Albrecht Gehses "Tischgesellschaft", 2004.