Am kommenden Mittwoch beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder der zwölfjährigen Ulrike Brandt aus Eberswalde: "Die sollen den Täter nie wieder rauslassen"
EBERSWALDE. Das Grab fällt sofort auf. Es ist das mit den meisten Blumen auf dem Friedhof von Eberswalde. Fast alle leuchten in Orange - der Lieblingsfarbe von Ulrike Brandt. Neben dem Grab des ermordeten zwölfjährigen Mädchens liegen etwa hundert Plüschtiere, die Regen und Sonne ausgeblichen haben. Daneben steht eine neue Bank. Auch sie ist orangefarben. "Dort sitzen oft Mädchen aus Ulrikes Klasse", sagt eine alte Frau, die in der Nähe das Grab ihres Mannes pflegt. "Obwohl das Mädchen schon seit einiger Zeit tot ist, weinen sie noch immer."Zwischen den vielen Blumen liegt der Zettel einer Freundin von Ulrike. Mit wackliger Schrift hat sie geschrieben: "Liebe Riki, als du geboren wurdest, regnete es die ganze Nacht. Nicht weil es regnen sollte, sondern weil der Himmel um seinen schönsten Stern weinte, den er verlor. Doch jetzt scheint die Sonne, weil der Himmel dich wieder hat. Aber wir hier unten vermissen dich sehr." Auf dem leicht orangefarben schimmernden Grabstein steht schlicht "Ulrike". Als Sterbedatum ist der 22. Februar angegeben - der Tag, an dem das blonde Mädchen auf dem Weg zum Handballtraining ihrem Mörder begegnete.Uneingeschränkt schuldfähigAm Mittwoch beginnt der Prozess gegen Ulrikes mutmaßlichen Mörder Stefan J., der derzeit in Cottbus in Untersuchungshaft sitzt. Zehn Verhandlungstage sind vorgesehen. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Spiegel" gilt der arbeitslose 25-Jährige als uneingeschränkt schuldfähig. Das ergab die psychiatrische Untersuchung des Mannes. Ulrikes Eltern, Kerstin und Detlev Brandt, werden als Nebenkläger im Gerichtssaal erstmals dem mutmaßlichen Mörder ihres ältesten Kindes gegenübertreten. Gregor Gysi wird ihnen bei diesem schweren Gang als Anwalt zur Seite stehen. Noch bis zum letzten Tag hatten die Eltern damals im März gehofft, dass ihre Rike lebend zurückkehren würde. Noch als ein Spaziergänger die stark verstümmelte Leiche ihrer Tochter in der Nähe des Flugplatzes Werneuchen fand, saßen Kerstin und Detlev Brandt bei der Polizei in Eberswalde und entwarfen einen neuen Fahndungsaufruf.Stefan J. werden Mord, sexueller Missbrauch, Freiheitsberaubung, Autodiebstahl und Brandstiftung vorgeworfen. In Strausberg geboren, hatte J. laut Staatsanwaltschaft eine schwere Kindheit. Er wuchs ohne Vater auf, sein Stiefvater schlug ihn oft. Nach acht Jahren ging er mit dem Abschluss der sechsten Klasse von der Schule ab. Jahrelang lebte er in einem Kinderheim in Eberswalde. Einen Beruf erlernte er nie. Er versuchte, in der rechten Szene Fuß zu fassen und ließ sich in die Fingerknöchel seiner linken Hand das Wort "HASS" tätowieren, die letzten beiden Buchstaben wie SS-Runen. Stefan J. knackte Autos und wurde verurteilt. Als er Ulrike verschleppte, um sie mehrfach zu vergewaltigen, war er auf freiem Fuß - zur Bewährung.Ins Auto gezerrtDen Mord an der Schülerin der sechsten Klasse hat der Mann, der von Sozialhilfe lebte, gestanden. Bei seiner Vernehmung sagte er, dass er nur zufällig auf Ulrike traf, die mit dem Fahrrad zur nahe gelegenen Sporthalle unterwegs war. Als er sie auf dem Waldweg, der nur 400 Meter von Ulrikes Elternhaus entfernt ist, mit dem Auto anfuhr, stürzte das Kind und verletzte sich leicht am Knie. Stefan J. sagte, er habe zunächst versucht, den Lenker des Fahrrades wieder gerade zu biegen.Dann soll er es sich jedoch anders überlegt und das schreiende und verzweifelt um sich schlagende Mädchen ins Auto gezerrt haben. Damit Ulrike nicht fliehen konnte, brach er den Verriegelungsknopf an der Beifahrertür ab und fesselte die Hände des Mädchens mit Pflaster. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Ulrike bis zu ihrem Tod am Abend bei Bewusstsein war und versucht hat, sich gegen die Misshandlungen ihres Peinigers im Wald zur Wehr zu setzen. Auch geht die Anklagebehörde davon aus, dass J. die Vergewaltigungen offenbar geplant hat: Bei der Tat hatte der junge Mann Gleitmittel bei sich.Die Wunden, die Stefan J. dem Kind unter anderem mit einer abgebrochenen Flasche zugefügt haben soll, verband er immer wieder mit Binden aus dem Verbandskasten des Autos. Schließlich erdrosselte er Ulrike mit einer Mullbinde und versteckte die Leiche unter Zweigen und Laub. Dann floh er mit dem Wagen nach Bernau und zündete das Auto an, um Ulrikes Spuren zu vernichten. Die Staatsanwaltschaft will im Prozess auf eine "besondere Schwere der Schuld" von Stefan J. plädieren und für ihn nach Verbüßung der Haftstrafe eine Sicherungsverwahrung in einer Klinik für psychisch kranke Straftäter fordern."Wir hoffen, dass sie den Täter nie wieder rauslassen", sagt Erika Breit, eine Nachbarin der Familie Brandt. Niemand in der Siedlung habe das Kind und was ihm zugefügt worden sei vergessen. Wie Erika Breit denken viele Menschen in Eberswalde. Das zeigt unter anderem eine weinrote Kranzschleife, die jemand an den Baum neben Ulrikes Grab genagelt hat. Darauf steht: "Politiker und Richter sorgt dafür, dass solche Täter nie wieder frei kommen."Zwei Wochen Suche // 22. Februar 2001: Die zwölfjährige Ulrike verlässt gegen 15 Uhr ihr Elternhaus. Sie will mit dem Fahrrad zum Handballtraining fahren, dort kommt sie nie an. Bei der Suche findet ihre Mutter das beschädigte Fahrrad des Mädchens.23. Februar: Die Polizei richtet die Soko "Finow" ein. Ein Zeuge meldet sich. Er hat am Tatort tags zuvor Schreie gehört und ein weißes Auto gesehen.25. Februar: Durch die Spuren am Fahrrad ist sich die Polizei sicher, dass das Kind von einem weißen VW angefahren und darin verschleppt wurde. Erst jetzt stellt sie fest, dass am Abend des Entführungstages bei Bernau ein ausgebrannter VW Polo entdeckt wurde.26. Februar: Ulrikes Eltern appellieren an die mutmaßlichen Entführer, ihr Kind freizulassen. Die Polizei setzt 3 000 Mark Belohnung aus, zuletzt steigt diese Summe auf rund 200 000 Mark.28. Februar: Die Polizei veröffentlicht das Phantombild des Mannes, den der Zeuge am 22. Februar am VW gesehen hat. Ulrikes Mutter erkennt eine Haarspange und Reste des Rucksacks ihrer Tochter aus dem ausgebrannten Polo.1. März: Zwei Bundeswehrtornados fertigen Wärmebilder des Gebietes an, in dem Ulrike am 22. Februar verschwand.6. März: Ein Zeuge will Ulrike in einer Berliner Gartenkolonie gesehen haben. Die Polizei findet keine Spur.8. März: In der Nähe des Flugplatzes Werneuchen findet ein Spaziergänger die Leiche eines Kindes.9. März: Die Obduktion ergibt, dass das tote Kind Ulrike ist. Laut Staatsanwaltschaft ist das Mädchen schon am Tag seiner Entführung getötet worden.16. März: Ulrike wird beigesetzt.28. März: Die Polizei fasst den 25-jährigen Stefan J. Ein Fingerabdruck auf einer Flasche nahe der Leiche brachte die Polizei auf seine Spur. Damit endet der größte Einsatz der Polizei in Brandenburg mit 5 500 Beamten.RTC Das verbeulte Fahrrad Ulrikes ist vom frisch gefallenen Schnee bedeckt. So wird es am Abend des 22. Februar von Ulrikes Mutter gefunden.