"Am Rande": ein Dokumentarfilm über Aids in der Ukraine: Bericht aus der Hölle nebenan
Das ist einer der härtesten Dokumentarfilme über eines der deprimierendsten Kapitel unserer Gegenwart. Vor drei Jahren war der Filmemacher Karsten Hein mit der Krankenschwester Inge Banczyk schon einmal in die Ukraine gereist. Herausgekommen war die schockierende Dokumentation "So wollen wir nicht sterben - Aids in Odessa". Inzwischen hat im Land hinter der europäischen Grenze die Orangene Revolution stattgefunden. Die Menschen haben keine Angst mehr davor, ihre Meinung zu sagen. Und keiner macht sich mehr die Mühe, die himmelschreienden Verhältnisse zu leugnen oder zu kaschieren. Die haarsträubende Korruption der Behörden, die kriminellen Verwicklungen der Miliz in Prostitution und Drogenhandel und die Machtlosigkeit der wenigen, meist kirchlich organisierten "Guten" sind kein Geheimnis mehr.Für seinen neuen Film "Am Rande" fuhr Hein noch weiter in den Osten, bis ins Donez-Becken. In der ehemaligen Waffenschmiede der Sowjetunion haben inzwischen fast alle Bergbau-Minen und verarbeitenden Betriebe der Schwerindustrie dicht gemacht. So muss die Hölle aussehen. Die Stadt Torez zerfällt buchstäblich. Straßenkinder demontieren die letzten Heizungs- und Wasserrohre, um mit dem Schrottverkauf ein paar Grivna zum Überleben zu verdienen. Wenn die rudimentäre Kanalisation im langen Winter zufriert, wie im vergangenen Jahr bei 45 Grad minus, steigt die Scheiße bis in den dritten Stock. Aber viele der Häuser stehen ohnehin schon lange leer. Wer keine Möglichkeit zu entkommen hat, die Alten, die Kranken, die Waisen, der wartet hier auf den Tod. Das einzige, was überfüllt mit Menschen ist, sind die Gefängnisse und Zwangslager. 200 000 sind dort immer noch interniert.Die Ukraine hat 49 Millionen Einwohner. Acht Millionen davon sind Alkoholiker, eine halbe Million hat Aids. Der Anteil ist höher als irgendwo sonst in Europa. Karsten Hein strukturiert seinen Film in sechs Kapitel, die die gesellschaftlichen Ursachen dieser Epidemie analysieren. Eigentlich ist es eher ein fassungsloses Notieren von Lebensumständen, für die der Begriff "menschenwürdig" ein einziger Hohn ist. Als Ursachen des Elends werden betrachtet: Drogen, Prostitution, Zwangsarbeitslager, Armut, Tuberkulose und - die Waisen. Ja, Kinder sind süß. Als hätte der Himmel ein Erbarmen, spielen ein paar der wenigen glücklichen, die in einem Heim untergekommen sind, in einem verwahrlosten Garten.Die einzigen Szenen, in denen der Zuschauer Atem holen kann, sind diejenigen, in denen das Auto des Filmteams über regennasse oder von Schneematsch bedeckte Schlagloch-Pisten rauscht. Doch selbst die Landschaften sind unwirtlich bis zum weiten Horizont.Am Rande - Sechs Kapitel über Aids in der Ukraine Dtl. 2006. Buch & Regie: Karsten Hein. 106 Minuten, Farbe.Vom 7. bis 13. 12. im Kant-Kino; am 10. 12., 17.30 Uhr, Diskussion in Anwesenheit des Regisseurs. Vom 11. bis 13. 12. auch im Lichtblick-Kino.------------------------------Foto: (2) Fördern die Verbreitung von Aids: Drogen, Prostitution, Armut.