"Amphitryon" bei den Kleist-Festtagen in Frankfurt (Oder): Bisse oder Küsse im zeitlosen Raum
Ein lichter, dreieckiger Raum mit futuristischen Schiebetüren am Rand und Mondsand auf dem Boden (Bühne: Martin Fischer). Dieser Ort ist nicht in der Antike angesiedelt, nicht zu Kleists Zeiten und auch nicht im Heute. Der Raum schwebt über den Wolken und ist eine enge, geschlossene, sanft ausgeleuchtete Theaterkapsel jenseits der Zeit. Der lichte, dreieckige Raum ist ein Immer-Raum und spielt daher in unserem Kopf.Kleists sogenanntes Lustspiel "Amphitryon", in dem Jupiter Amphitryons menschliche Gestalt annimmt und dadurch einige Verwirrung stiftet, wurde im Rahmen der 6. Kleist-Festtage in der Regie von Roland May am Theater Bahnhof in Frankfurt (Oder) aufgeführt. Eine Produktion des ortsansässigen Kleist-Theaters, die auch am 3., 11., 12., 28., 29. und 30. November gezeigt werden wird."Amphitryon" ist eine Verwechslungskomödie in drei Schichten. Sie beginnt als schelmische Burleske, als lustiges und dabei bodenständiges Spiel um die eigene Identität der beiden Diener Sosias und Merkur. Sie hebt sich in den Bereich der tatsächlich existentiellen Verunsicherung Amphitryons, um schließlich Alkmene im Karussell der Fragen um Sein, Schein und wahre Liebe hinauf in den Wahnsinn zu schleudern.Das berühmte "Ach" seufzt nun auch die zierliche Anne Osterloh im Regen stehend, der ihre schöne Frisur und ihr schönes goldenes Fürstinnenkleid zum Zerfließen bringt wie den allerletzten Halt. "Ach", spricht sie und sagt doch nichts, weil das Reden zwei Stunden lang nur Lüge war und die Konstrukte der Realität weggespült hat wie eine Welle die Sandburg. Und weil nichts mehr so ist, wie es zu sein schien, beißt oder küßt sie ihren eigenen Arm. Wenn die Außenwelt zerstäubt, bleibt als letzter, hilfloser Bezug nur der eigene Körper.Roland May ist zum Glück ganz nah am Text geblieben und hat die unterschiedlichen Grade der Verwirrung weiter ausdifferenziert. Er fächert erst das Lustige auf, mischt schleichend das Tragische unter, um das Ganze im tragisch-schönen Wahnsinn enden zu lassen.Tobias Weber rennt als clownesker Sosias gegen Türen und ist nicht eigentlich daran interessiert, wer er ist. Hauptsache, er bekommt früher oder später was in den Magen.Alexander Höchst zeigt Amphitryon als selbstgefälligen Feldherrn, der witzelnd nicht glauben will, daß er nicht er sein soll. Später stürmt er, das Haar ins Gesicht gefallen, gegen seinen Kontrahenten Jupiter an, um dann geschlagen wie ein still gewordenes Kind kopfschüttelnd in der Ecke zu kauern. Andre Vetters dagegen als Jupiter, der Fadenzieher, der süffisante Verführer und Voyeur, raubt Alkmene den Verstand und streichelt sie dabei wie ein junges Kätzchen. Mit korrektem Scheitel spielt er um ihre Liebe und steht am Ende mit korrektem Scheitel so einsam da wie vor dem Spiel.Am beeindruckendsten, ruhigsten und gequältesten Alkmene. In Anne Osterlohs Gesicht spiegelt sich das gesamte Drama. Es lebt und leuchtet für die Liebe und zerfurcht sich zusehends mit jedem hinzukommenden Zweifel. Um zum Schluß, gewissermaßen jenseits der Wirklichkeit im Weltraumregen, wieder verloren-selig zu strahlen. Ach.Noch bis zum 3. November wird es zu den Kleist-Festtagen insgesamt 30 wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen gegeben haben, die sich nicht nur der historischen Figur Kleists, sondern auch der Aktualität seines Werks widmen. Auf dem Programm stehen Theater- und Tanzvorführungen, Kolloquien, Vorträge, Lesungen - am 2. November etwa des diesjährigen Kleist-Preisträgers Hans-Joachim Schädlich - und Ausstellungen.Erstmals vergab das Frankfurter Kleist-Theater einen "Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker". Gestern wurde der mit 15.000 Mark dotierte Preis an Guido Koster für sein Stück "Nachklang. Deutsche Farcetten" verliehen. +++