Anmerkungen zum Leipziger Bildstreit: Wohin mit dem Monstrum?
Als Martin Luther im August 1543 die vom sächsischen Kurfürsten der Universität übereignete Leipziger Dominikanerkirche als evangelischen Gottesdienstraum weihte, hatte der Senat der Stadt den Altar der spätgotischen Kirche bereits entfernen und durch einfache Schrifttafeln ersetzen lassen. Er blieb durch die Zeiten erhalten.Wie aber hätte Luther reagiert, wenn er in der umgewidmeten Kirche eine Abendmahlsszene von - sagen wir: Tizian vorgefunden hätte, in deren Hintergrund Papst Leo X. zu erkennen gewesen wäre, sein Widersacher aus der Zeit des Thesenanschlags? Luther hatte das Papsttum mit begründeter Polemik überzogen; hätte er, eines solchen Bildes ansichtig werdend, vom Leder gezogen wie Erich Loest wider ein Monumentalbild Werner Tübkes, in dessen Hintergrund der Wissende - und nur dieser - Paul Fröhlich erkennt: den Leipziger Bezirksparteichef von 1952 bis 1970, einen sonderlich verhängnisvollen Mann?Fröhlichs Konterfei und das zweier anderer Regionalpolitiker befindet sich hinter einer Gruppe stumm-beredter Bauarbeiter auf der rechten Seite eines Gemäldes, dessen Auftraggeber der Bezirksgewaltige gewesen war. Tübke hatte es nach einer Vorbereitungszeit von zwei Jahren und in einjähriger Arbeit auf eine 13,80 m lange und 2,70 m hohe Holzfläche gemalt, die im Rektoratsfoyer des Universitätsneubaus vom Boden bis an die Decke reichte. Um Platz für den belanglosen Betonbau zu schaffen, hatte der Bezirkssekretär auf Weisung seines Oberherrn, des Staats- und Parteichefs Ulbricht, nicht nur die nur halbzerstörte Ruine des alten Universitätsgebäudes in die Luft jagen lassen, sondern auch die unversehrte Universitätskirche, den spätgotisch erneuerten Wunderbau mit der von Bach geprüften Orgel. Die vandalische Machtdemonstration stand auf dem Hintergrund des Prager Frühlings, jener in Prag ausgebrochenen reformsozialistischen Bewegung, deren Übergreifen auf die DDR die SED-Führung offenbar befürchtete. Die Sprengung dieser im Zentrum sächsischer Kultur- und Kirchengeschichte stehenden Kirche 1968 war ein Terrorakt - brutale Abschreckung aller bürgerlichen Kräfte in der DDR, auch jener, die im blockpolitischen Zusammengehen mit der SED ein Mittel gesellschaftlichen Überdauerns gesehen hatten.Tübkes Bild folgte auf künstlerisch autonome Weise einer thematischen Vorgabe, die nicht kurzgefasst war: "Arbeiterklasse und Intelligenz sind im Sozialismus unter der Führung der marxistisch-leninistischen Partei untrennbar verbunden". Er hatte den Zuschlag 1970 im Zuge eines Wettbewerbs erhalten; was der Maler unter den Auspizien einer kulturpolitischen Lockerung aus der scholastischen Vorgabe machte, entsprach ihr und spottete ihrer durch eine malerische Exaltation, die sich durch die porträthafte Akribie gruppendynamisch verknüpfter Einzelfiguren zu ermöglichen suchte. Was sich zeigte, war nicht Uniformität, sondern eine Masse aus lauter Individuen; sie bildeten sechs Gruppen, die der Maler den Themen Gedankenaustausch, Forschung, Lehre, Lebensfreude, Repräsentation und Arbeit unterstellt hatte. Die führende Rolle der Partei war darauf beschränkt, die drei Regionalfunktionäre ins Statisch-Hintergründige zu setzen: die Stifter als Hintermänner disputierend-planerfüllender Werktätiger.Im Zentrum des Riesenbildes, dem Ingeborg Ruthe mit Recht vielfache "Metaebenen" attestiert hat (Berliner Zeitung vom 12. Mai 2007), bekundete ein tanzendes junges Mädchen eine gespenstische Art Lebensfreude, ganz links aber sah man Georg Mayer, den langjährigen früheren Rektor, einen bei den Studenten beliebten, überaus bürgerlichen Mann, der, bis 1963 im Amt, der Zwangsemeritierung Ernst Blochs und der Vergraulung Hans Mayers ohnmächtig-parteidiszipliniert hatte zusehen müssen. Die erkaltete Zigarre in der Hand, sitzt er, ein Stumm-Geschlagener, im Kreis der Jungen, die keine Verbindung zu ihm aufnehmen. Nicht eine der porträtgenauen Figuren des gigantischen Getümmels befindet sich zu einer andern in einem wirklichen Gespräch, sie spielen alle Theater. Die Arbeiter tun es in den Posen einer Sacra conversazione, eines Heiligen Gesprächs, wie es die Renaissance-Meister mit der Madonna im Mittelpunkt gemalt hatten. Der Brigadier nimmt ihre Stelle ein: "Christus im Sturzhelm", wunderte sich damals ein Betrachter.Erich Loest hat vollkommen recht: Paul Fröhlich, der kommunistische Bergmann, Vertrauensmann und Handlanger seines Förderers Ulbricht, "schaffte es, die bürgerlich-humanistische Universität zu zerschlagen", die es, antifaschistisch erneuert, in den Fünfziger Jahren noch gegeben hatte. Es war die Universität, an der das Zwickauer Arbeiterkind ebenso wenig wie der Leipziger Walter Ulbricht jemals die Chance gehabt hatte, sich Bildung anzueignen. Fröhlich war eine finstere Figur, Tübke hat ihn so wenig wie seine Nebenleute - Kresse, den Oberbürgermeister, und Grützner, den Vorsitzenden des Rates des Bezirks - ins Lichte gerückt. Fröhlich kommt nur eben vor. Entwertet dies das Bild mit dem bizarren Titel, diesen exzentrischen Versuch, dem sozialistischen Realismus Pathos und Kunsthöhe eines früheren Absolutismus, desjenigen der gegenreformatorischen Päpste, einzuhauchen?Tübkes Monumentalbild ist ein Malerei gewordener Glaubenskrampf, gegenreformatorisch wie die Vernichtung der lutherischen Kirche, deren Sprengung die Voraussetzung seiner Entstehung war. Nicht sein künstlerischer Wert steht in Frage, wohl aber sein Standort, die nun auch im architektonischen Umbau befindliche Universität.Erich Loest hat sich im vorigen Jahr Gedanken darüber gemacht, wie man Paul Fröhlich malerisch darstellen könnte; er kam darauf, "ihn als klassenkämpferische Krake darzustellen, vielarmig, wie er Köpfe widerborstiger Studenten und Professoren abbeißt" (LVZ vom 1. 9. 2006). Das lief auf eine Karikatur hinaus; inzwischen ist Loest auf den generösen Gedanken gekommen, seinerseits ein Gemälde mit politischer Thematik in Auftrag zu geben, eines, das ins Bild bringen soll, was Tübke mit Fleiß ausgeblendet hat: die Verluste, die Opfer, die Katastrophen, bis hin zu Wolfgang Natonek, dem oppositionellen Studentenratsvorsitzenden, der 1948 von der Besatzungsmacht verhaftet und für viele Jahre in ein sibirisches Straflager verbracht wurde.Loest ist so wenig ein Bilderstürmer wie Martin Luther. Sein erster Vorschlag wollte das Monsterbild dem neuen städtischen Museum übertragen, in dessen hochragenden Leerräumen viel Platz dafür wäre. Nun also ein dem 14-Meter-Bild gegenüberzustellender malerischer Einspruch gegen die Schön-Färberei des perfekten Manieristen, virtuosen Imaginators dessen, was der Staatssozialismus nicht war, aber hätte sein mögen. Ist es der rechte Weg? Zusammen mit Erich Loest sollte die Universität überlegen, ob es noch andere Alternativen zu Tübkes Monumentalbild gibt. Der künstlerische Gegenpol zu dessen verzweifelt-hingebungsvollem Figurentheater wäre nicht eine andre Figuration, sondern auch formal unabhängige Malerei.------------------------------Foto: Denkwürdige Szene im Tübke-Bild: einsamer Rektor Georg Mayer, bis 1963 im Amt.