Auf der Suche nach dem Paradies: zwei aufschlussreiche Arte-Dokumentationen über gescheiterte Aussteigerprojekte: Die Geiseln der Kommune

Der Himmel strahlt wolkenlos über Ithaka, die Badebucht ist paradiesisch einsam. Das ältere deutsche Paar, das hier täglich schwimmen geht, weilt nicht etwa im Urlaub. Beide gehören zu einer Kommune, die 1979 eine abgelegene Landzunge gekauft hatte, "um ein eigenes gesellschaftliches Konzept zu entwickeln und zu leben". Dem Aufruf des Künstlers Wido Buller waren über 200 Leute gefolgt, die sich an der Sarakiniko Alternatives Leben GmbH beteiligten. Filmemacher Thomas Schmitt hatte die Gründung der Aussteiger-Kommune mit der Kamera begleitet und besuchte das Projekt 30 Jahre später erneut - erstaunt darüber, dass überhaupt jemand so lange durchgehalten hatte. Er trifft alt gewordene Hippies, aber kaum junge Leute.Ein Paradies für Kinder schien der Friedrichshof im österreichischen Burgenland zu sein. In der Kommune des Aktionskünstlers Otto Mühl wurden sie dabei gefilmt, wie sie nackt mit dem Essen und mit Farben matschen durften und von den Großen noch Beifall dafür bekamen. Welch großem psychischen Druck sie damals aber ausgesetzt waren, erzählen fünf "Kinder vom Friedrichshof" mit dem Abstand von 20 Jahren der Filmautorin Juliane Großheim. Zum Themenabend "Aussteiger - Auf der Suche nach dem Paradies" zeigt Arte nach dem Klassiker "Easy Rider" diese beiden Dokumentationen, die sehr gut zusammenpassen, sogar ineinandergreifen.Beide Filme konfrontieren historische Aufnahmen, die von den einstigen Hoffnungen künden, mit den realen Entwicklungen, fragen dabei nach, wie weit die Aussteiger der 70er-Jahre tatsächlich eine Perspektive für nachfolgende Generationen bieten konnten. Die Antworten fallen in beiden Beiträgen ernüchternd aus: Weil Eiferertum und Intoleranz herrschten, wurden die Kinder zu Geiseln der Kommune.Die griechische Halbinsel Sarakiniko erwies sich als steinige Ödnis für Jugendliche: Sie mussten miterleben, wie ihre Eltern auf endlosen Vollversammlungen darüber stritten, ob sie weiter rauchen und Fleisch essen durften. Auch das Melken von mageren Bergziegen und das Mahlen von Korn mit einer Fahrrad-Mühle konnte die wenigen Kinder kaum begeistern - andere Abwechslungen gab es nicht. Heute leben nur ein rundes Dutzend Kommunarden dauerhaft auf Sarakiniko, manche pendeln noch. Doch einen festen Erwerb hat nur der eine Althippie, der die Hütten der Abwesenden in Ordnung hält. Immerhin, manche Kinder kommen im Sommer noch zu Besuch.Dramatischere Erfahrungen mussten die Kinder vom Friedrichs- hof machen, auch wenn die fünf Befragten vom Missbrauch von minderjährigen Mädchen durch den Sektengründer Otto Mühl offenbar nichts mitbekamen. Der Oberguru hatte die sexuelle Revolution und das Ende der Kleinfamilie ausgerufen. Kinder wurden von ihren Müttern getrennt, die Väter ließen sich gar nicht feststellen. Wie die Großen wurden auch die Kleinen tagtäglich in eine strikte Hierarchie, die sogenannte "Struktur", gepresst, ganz oben standen Otto Mühl und sein Sohn Attila. Wie sich die Kommune-Kinder von dieser Last befreiten, allesamt in kreativ-künstlerische Berufe fanden und sich ihren Müttern wieder annähern, das hat Autorin Juliane Großheim einfühlsam eingefangen. Wie Kollege Thomas Schmitt überlässt sie dem Zuschauer das Urteil - der indes froh ist, dass er nach jedem Ausflug ins (Ur laubs-)Paradies wieder in seinen Alltag zurückkehren darf.Die Dokumentationen zum Themenabend, Sonntag ab 21.45 Uhr, Arte------------------------------Foto: Trügerische Idylle: Baumhaus in Sarakiniko.