Ausgelesen "Fremd und rechtlos?": Die Fremden und das Recht
Zu den Rechtsbegriffen, die es aus der juristischen Fachsprache bis in die Feuilletons geschafft haben, gehören das „ius sanguinis“, das Recht des Blutes, und das „ius soli“, das Recht des Bodens. Die lateinischen Vokabeln wurden zu zwei Schlagworten, mit denen heute die Befürworter und die Gegner einer liberalen Einwanderungspolitik einander bekämpfen. Das „ius sanguinis“ gilt dabei als das deutsche Prinzip: Die Nation ist eine Abstammungsgemeinschaft, und wer fremden Blutes ist, hat auf deutschem Boden nichts verloren. Das „ius soli“, liest man, sei das französische, moderne, liberale: Zur Gemeinschaft der Staatsbürger hat jeder Zutritt, der hier lebt.
Aber so stimmt das gar nicht, wenigstens historisch nicht, wie zwei Autorinnen des Sammelbandes darlegen. Zwar erklärte die Verfassung von 1793 alle Bewohner Frankreichs zu gleichberechtigten Citoyens, sofern sie männlich, erwachsen und nicht arm waren. Aber schon die Direktoriumsverfassung zwei Jahre später nahm den Grundsatz wieder zurück.
Am deutlichsten ausgeprägt war und ist das „ius soli“ in Großbritannien, wo die Nation der Fiktion nach die Gesamtheit der Untertanen der Krone ist. Dennoch war die Einbürgerung von Ausländern stets schwierig. In Preußen dagegen war die Naturalisierung auch nach der deutschen Reichsgründung 1871 „bemerkenswert einfach“, schreibt Beate Althammer. Man musste nur unbescholten sein und sich und seine Familie ernähren können.
Lernen lässt sich aus alledem, dass es im Verhältnis zum Fremden auf das Recht nie wirklich ankam, und dass das Fremdenrecht auch das Selbstverständnis der eigenen Nation immer nur sehr gebrochen widerspiegelte. So nutzte Preußen sein modernes Staatsbürgerschaftsrecht 1885 dazu, mehr als 30 000 Polen aus den deutschen Ostgebieten auszuweisen – formal, weil sie keinen deutschen Pass hatten, und tatsächlich, weil sie eben Polen und somit keine richtigen Deutschen waren. Jedes Recht ließ sich über die Zeit mal zur Abschließung gegenüber Ausländern und mal zur Anwerbung nützen. Ob jemand eingebürgert wird, muss ein Staat nicht begründen. Was Ausländerrecht heißt, ist ein Gnadenakt.
Eine Moral, eine Lehre lässt sich aus dem weiten Blick über die Geschichte so einfach nicht ziehen. Dass zwei Jugendliche in derselben Schulklasse je nach Geburtsort der Eltern mehr oder weniger Rechte haben sollen, wird jedenfalls in ganz Europa schon heute kaum noch verstanden. Wer die modernen Verhältnisse in die passende rechtliche Form gießen will, orientiert sich wahrscheinlich eher an Amerika und Australien als an der europäischen Geschichte, die Einwanderung im Umfang von heute und in der Breite der Herkunftsländer nicht kennt.