Lange war Martin Heidegger aus den Diskursen verschwunden. Doch seit einigen Wochen füllen sich die Zeitungsspalten wieder mit Betrachtungen über dessen Leben und Werk. Anlass ist anstehende Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“ aus dem Nachlass des Philosophen, in denen er von Anfang der 1930er-Jahre über 40 Jahre lang philosophische Reflexionen und Gedanken zu den Zeitumständen notiert hatte. Durch französische Intellektuelle sind daraus vor kurzem schon antisemitische Stellen publik geworden. So zitiert der französische Philosophen François Fédier in der Zeit aus den Schwarzen Heften: „Eine der verstecktesten Gestalten des Riesigen (damit ist die Neuzeit gemeint) und vielleicht die älteste ist die zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens, wodurch die Weltlosigkeit des Judentums gegründet wird.“ Peter Trawny, der Herausgeber der Schwarzen Hefte, schrieb dazu, ebenfalls in der Zeit, dass Heidegger in den Schwarzen Heften bestürzenderweise einen „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ entfalte. Heidegger habe den Antisemitismus zum Anlass philosophischer Gedanken gemacht. „So erhält das Ressentiment eine ... erschreckende Dimension.“
Nun sollte das eigentlich nicht überraschen. Schon aus einer berühmten Schilderung Karl Jaspers oder aus Briefen Heideggers an Hannah Arendt sind antisemitische Äußerungen bekannt. Dennoch sorgen die Schwarzen Hefte für Aufregung. Der Zeit-Redakteur Thomas Assheuer glaubt nun etwa, dass sich Heidegger „nur noch schlecht verteidigen“ lasse, was seinen Kollegen Jürgen Kaube in der FAZ zu der analytisch scharfen Deutung veranlasst: „Weshalb man den Autor dieser Phrasen jetzt ‚nur noch schlecht‘ verteidigen kann, bleibt Hamburger Redaktionsgeheimnis. Denn klarerweise kann man es überhaupt nicht und konnte es auch noch nie. Heideggers Diagnose war, das Weltunglück im Allgemeinen wie die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts im Besonderen entsprängen der Rechenhaftigkeit und Technizität des abendländischen Denkens. Dafür machte er abwechselnd alle Philosophen nach Heraklit und vor Heidegger, … das neunzehnte Jahrhundert sowie die Amerikaner und die Russen verantwortlich. Und hier nun also auch die Juden.“
Das Verhältnis des Judentums zur Macht beschäftigt allerdings aktuell auch eine der westlichen Kultur gegenüber kritische Theorie. Micha Brumlik schlägt in der taz einen Bogen von Heideggers Philosophie zum postkolonialen Diskurs Walter Mignolos, der das „Institute of Global Studies“ an der renommierten Duke University in den USA leitet. In seinem Buch „Epistemischer Ungehorsam“ schreibt Mignolo etwa: „Warum der Judaismus nicht anstelle des Christentums hegemonial wurde, ist eine andere Geschichte, die mit der Konsolidierung eines jüdischen Staates nach 1948 in Verbindung gebracht werden muss und der Rolle, die JüdInnen in Komplizenschaft mit der aktuellen Machtstruktur einnehmen (z. B. in Russland ebenso wie in den USA).“ Das ist zumindest ebenso verwirrend wie Heideggers Denken in dieser Sache.