Ruth Landshoff-Yorck: Das It-Girl der Weimarer Republik

Sie war der Star der Berliner Bohème – Schauspielerin, Reporterin, Abenteurerin. 1933 ist ihr Leben in Berlin vorbei, aber das in New York wartet schon.

Tempo, Tempo! Als eine der ersten Berlinerinnen fährt Ruth Landshoff-Yorck ihr eigenes Auto. Das Foto zeigt sie 1927, den Kuhfellmantel hat sie natürlich auf ihren Hund abgestimmt. 
Tempo, Tempo! Als eine der ersten Berlinerinnen fährt Ruth Landshoff-Yorck ihr eigenes Auto. Das Foto zeigt sie 1927, den Kuhfellmantel hat sie natürlich auf ihren Hund abgestimmt. Zander & Labisch/Ullstein

Es gibt Menschen, von denen man sagt, sie hätten so viel erlebt, dass es für zwei Leben gereicht hätte. Auf Ruth Landshoff-Yorck trifft das nicht zu. Sie hat noch mehr Leben gelebt und jedes so intensiv, dass es fast logisch erscheint, dass sie bereits mit 62 Jahren starb. Im heutigen Deutschland kennt kaum jemand ihren Namen. Was sie selbst am wenigsten verwundern würde: „Ich werde jedes Jahr von Neuem entdeckt, aber wie Persephone kehre ich immer in den Untergrund zurück.“

Als Ruth Levy im Januar 1904 zur Welt kommt, sieht für sie alles nach einem Leben in bürgerlicher Sicherheit aus. Ihre Eltern entstammen dem wohlhabenden jüdischen Bürgertum, sie wächst mit zwei Brüdern sorglos in Karlshorst auf. In den 20er-Jahren gehört sie dann zu jener lebenshungrigen Avantgarde der Weimarer Republik, die womöglich tief in ihrem Innersten ahnt, dass diese Zeit bald einer viel schrecklicheren Platz machen wird.

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Die junge Ruth ist immer dort, wo etwas los ist. Ihre amourösen Abenteuer, die sie als Minderjährige erlebt, würden auch heutigen Eltern die Haare zu Berge stehen lassen. In der einzigen umfangreichen Biografie, die es von ihr gibt, schreibt Thomas Blubacher auch über eine Abtreibung, die dazu führt, dass sie kinderlos bleiben wird.

Selbstbewusst verkörpert Ruth Landshoff, hier 1928, den Typus der „neuen Frau“. Sie weiß ihr Leben zu genießen und hat natürlich auch ein Faible für Mode. 
Selbstbewusst verkörpert Ruth Landshoff, hier 1928, den Typus der „neuen Frau“. Sie weiß ihr Leben zu genießen und hat natürlich auch ein Faible für Mode. Frieda Riesch/ullstein

Als Schülerin übernimmt sie eine kleine Filmrolle in Murnaus „Nosferatu“. Später besucht sie die von Max Reinhardt gegründete Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin, aber auch danach bekommt sie nur kleine Rollen. Doch sie hat ein Auge für Talente: Sie empfiehlt eine Freundin, mit der sie Theater spielte, für den Film „Der blaue Engel“. Die Freundin heißt Marlene Dietrich.

Ruth wird als Rut Landshoff – das h hält sie für überflüssig, Landshoff ist der Mädchennamen ihrer Mutter – zum Star der Berliner Boheme. Vornehmlich weil sie mit berühmten Menschen verkehrt und sich zu inszenieren weiß. Sie reist durch Europa, fährt Auto und Motorrad, pflegt die androgyne Eleganz der Garçonnes, die sich über bisher geltende Regeln des guten Benehmens hinwegsetzen.

„Mädchen gehen im Sommer ohne Hut, weil es ihnen Spaß macht. Sie tun überhaupt allerhand, was sich durchaus nicht gehört, weil es ihnen Spaß macht. Zum Beispiel fahren sie gern Rad, essen schrecklich viel und lachen laut und oft.“ So steht es in einem der Texte, die Rut als Reporterin und Kolumnistin für die Berliner Feuilletons schreibt. Die Aufträge erhält sie, weil sie Teil der Gesellschaft ist, die sie ihren Leserinnen und Lesern näherbringen soll. Famous for being famous, ein It-Girl aus gutem Hause, das seine Beziehungen zu nutzen weiß. Als Charlie Chaplin 1930 Berlin besucht, ist sie es, die ihn in der Stadt herumführt und ihm so nahe kommt wie sonst niemand.

Außergewöhnlich: Ihre Karriere geht in den USA weiter

Zudem schreibt Rut Romane. „Die Vielen und der Eine“ wird 1930 veröffentlicht, „Roman einer Tänzerin“ darf nicht erscheinen. Mit dem Aufstieg der Nazis geht ihr Leben in Berlin zu Ende. Sie hat inzwischen einen Grafen Yorck von Wartenburg geheiratet. Anders als er wird sie nicht in Deutschland bleiben. Sie lässt sich 1937 von einer Freundin die Schiffspassage erster Klasse nach New York bezahlen und beginnt dort ein neues Leben als Publizistin, Übersetzerin und Theaterautorin.

Echte Berliner Avantgarde: Ruths Atelierwohnung mit Oberlichtern, Lackvorhängen, Kunst. Kein Biedermeier-Ballast, dafür ein Telefon auf dem Nachttisch. So lebte das It-Girl 1932, während sich unten die SA formierte.
Echte Berliner Avantgarde: Ruths Atelierwohnung mit Oberlichtern, Lackvorhängen, Kunst. Kein Biedermeier-Ballast, dafür ein Telefon auf dem Nachttisch. So lebte das It-Girl 1932, während sich unten die SA formierte.Martin Munkacsi/ullstein

Von ihrem Grafen, den sie Sohni nennt, ist sie in Freundschaft geschieden. New Yorker Zeitungen schreiben über das Eintreffen der „Countess“ aus Deutschland. Als höchstbezahlte Autorin Deutschlands bezeichnet sie sich gegenüber Reportern. Eigenmarketing ist wichtig, sie muss jetzt mit Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienen. In ihren Erzählungen und Radiostücken nimmt sie Stellung gegen die Nazis. Aber sie muss mehr als einmal hinnehmen, dass ihre auf Englisch verfassten Manuskripte abgelehnt werden.

Im Nachkriegsdeutschland, das sie nach einigem Zögern bereist, fällt es Ruth Landshoff-Yorck leichter, an Aufträge zu kommen. Aus der Bundesrepublik enthält sie eine kleine Entschädigungsrente, die es ihr erlaubt, das Leben etwas sorgenfreier zu gestalten. Das nimmt zu Beginn der 60er-Jahre noch einmal eine Wende: Landshoff-Yorck wird nun zur Avantgarde-Literatin. Sie unterhält so etwas wie einen Salon, in dem sie aufstrebende Schreiber mit Verlegern zusammenbringt, und schreibt Bühnenstücke, die an Stätten des New Yorker Off-Off-Broadway inszeniert werden. Ihr überraschender Tod gleicht einer dieser Aufführungen.

Sogar ihr Tod könnte einem Drehbuch entstammen

Mit der Theaterregisseurin Ellen Steward, ihrer Freundin, betritt Ruth Landshoff-Yorck am 16. Januar 1966 das Martin Beck Theatre am Broadway (heute Al Hirschfeld Theatre), um eine Nachmittagsvorstellung zu besuchen. Gezeigt werden soll Peter Weiss’ „Marat/Sade“. Als das Klingeln ertönt, bricht Ruth zusammen. Ihre Freundin Ellen stürmt in den Saal, ruft nach einem „fucking doctor“ – und das Publikum hält das Ganze für einen Teil der Inszenierung. Als ein Arzt eintrifft, kann er nur noch Ruths Tod feststellen. Herzinfarkt. Sie selbst sagte zu ihrem Leben: „Man muss akzeptieren, was geschieht, und damit zurechtkommen.“


Dieser Artikel stammt aus der fünften Ausgabe des Geschichtsmagazins B HISTORY. Weitere Artikel zum weiblichen Berlin des 19. und 20. Jahrhunderts finden Sie hier auf unserer Website.