Heute vor 90 Jahren: Das NS-Regime verbietet die Berliner „Weltbühne“
Am 7. März 1933 erscheint die von Carl von Ossietzky herausgegebene legendäre Zeitschrift zum letzten Mal. Was stand da drin?

Die Redaktion der Weltbühne mit Sitz in der Charlottenburger Kantstraße 152 war das Zuhause radikaldemokratischer Autoren, die früh, laut und stetig vor „der Reise ins Deutsche Reich“ warnten. So bezeichnete einer von ihnen– er hieß Kurt Tucholsky – die Ausrichtung des Blattes. Es schrieben Demokraten und Anarchisten, Kommunisten und Feingeister. Allesamt scharf denkende Menschen, die nicht weg-, sondern hinschauten. Unter ihnen (zwischen 1905 und 1933 schrieben mehr als 2500 Autoren für die Weltbühne) war auch die Berliner Crème de la Crème geistiger Wachheit: neben Tucholsky etwa Erich Kästner, Kurt Walter Mehring oder Gabriele Tergit.
Den Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky nahmen die Nazis in den frühen Morgenstunden des 28. Februar fest, nachdem es tags zuvor einen Brandanschlag auf den Reichstag gegeben hatte. Von Ossietzky und auch der als Anarchist bekannte Autor Erich Mühsam gehörten damit zu den ersten Opfern der Verfolgung politischer Gegner der NSDAP.

Von Ossietzkys Weltbühne wurde verboten. Am 7. März erschien die Wochenzeitschrift letztmalig in Berlin. In der Landesbibliothek in der Breiten Straße kann man sie sich heute ansehen. Was also steht drin in der letzten Ausgabe?
In der Rubrik „Verlustliste“ sind trocken die drastischen Maßnahmen aufgelistet, die nach der „Notverordnung“ in Folge des Reichstagsbrands am 28. Februar 1933 in Kraft traten. Unter anderem „die Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit“. Es folgt die Information, dass zwei Polizeipräsidenten und „17 Künstler des Berliner Staatlichen Schauspielhauses“ ihrer Ämter enthoben worden sind.

Eine lange und deshalb besonders triste Aufzählung der bereits verbotenen Zeitungen und Zeitschriften – darunter sozialdemokratische Blätter wie die Fränkische Tagespost, die Volkswacht und das Spandauer Volksblatt – zeichnet den Garaus publizistischer Vielfalt vor. Widerstand wird nicht geduldet: „In Berlin und im Reich wurden mehrere hundert Zentner Flugblätter der KPD, der SPD und des Zentrums beschlagnahmt.“ Der kommunistischen Theatergruppe „Truppe 1931“ werden weitere Aufführungen des Stückes „Wer ist der Dümmste?“ untersagt. Und eine „Verlustliste“ offenbart die unerträglichen Arbeitsbedingungen, die für Kunst-, Kultur- und Medienschaffende galten.
Es wird die Festnahme des Herausgebers Carl von Ossietzky vermeldet mit dem resignativen Hinweis: „Redaktion und Verlag der ‚Weltbühne‘ versichern den Lesern, daß sie und ihr Rechtsbeistand Kurt Rosenfeld alles tun werden, was im Rahmen des heute noch Möglichen liegt, um Carl von Ossietzky die Freiheit wieder zu beschaffen“. Viel war nicht mehr möglich. Trotz des großen Einsatzes vieler Unterstützer.

Der Berliner Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky
Die Journalistin Milly Zirker gehörte zu den engsten Vertrauten von Ossietzkys. Sie begann eine Initiative, betrieb Lobbyarbeit, um ihn als Kandidaten für den Friedensnobelpreis in Stellung zu bringen. Herbert Frahm (der spätere Bundeskanzler Willy Brandt), Thomas Mann, Albert Einstein und Romain Rolland waren nur einige der vielen prominenten Fürsprecher. Von Ossietzky bekam 1936 tatsächlich den Friedensnobelpreis verliehen, wurde auch aus dem KZ entlassen, starb jedoch zwei Jahre später an den Folgen seiner Haft. Er gehörte zu den „Moorsoldaten“, die unter schlimmsten Bedingungen im Emsland Moor stechen mussten.

Was steht noch in der letzten Ausgabe? Der Publizist Hans Wilhelm von Zwehl echauffiert sich über private Leihbuchhandlungen, die in Berlin wie Pilze aus dem Boden schießen. Ihr Sortiment: Liebe, Kriminalität, haarsträubende Abenteuer. Massenware also, verlegt von „rücksichtslosen Fabrikanten“. Der Hintergrund: In einer Zeit, in der gute Essayisten vor die Tür gesetzt werden, boomt der Markt der Liebes- und Abenteuerromane. „Dann schlingt man ein knalliges, auffallendes Titelbild möglichst mit einem schnäbelnden Liebespaar in schreienden Farben drumherum und der Geschmack des Leihpublikums ist getroffen“.
Auch Hans Wilhelm von Zwehl ist ein Unbeugsamer, er wird 1943 in Frankreich zum Tode verurteilt.

Es gibt Artikel zum russischen Außenhandel und einen Filmbericht zum Oscargewinner von 1932, dem Melodram „Menschen im Hotel“ (im Original „Grand Hotel“) mit Greta Garbo. Walter Mehring schreibt über „Fascistische Malerei“. Und Hilde Walter, die zum Unterstützerkreis von Ossietzkys gehört, schreibt über die Berliner Betriebsratswahlen: „Für Nationalsozialisten, Stahlhelme und gelbe Verbände sind insgesamt nicht ganz 11 Prozent aller Stimmen abgegeben worden, einundachtzig Prozent gehören der sozialistischen Arbeiterschaft.“ Berlin befindet sich im Schatten der Weltwirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit ist hoch und die Gewerkschaften sind längst in der Defensive.
Das Themenspektrum, so zeigt es die letzte Ausgabe, war breit. Dabei hatte das Blatt als reine Theaterzeitschrift begonnen. 1905 wurde es von Siegfried Jacobsohn unter dem Namen „Die Schaubühne“ gegründet. 1913 erfolgte die Umbenennung in „Die Weltbühne“, denn die Zeitschrift hatte sich thematisch zu Wirtschaft und Politik hin geöffnet.
Tucholskys Satz „Soldaten sind Mörder“ sorgt für Gerichtsverfahren
Nach dem Tod von Siegfried Jacobsohn 1926 übernahm Kurt Tucholsky das Steuer, merkte aber schnell, dass ihm die Rolle des Herausgebers nicht stand. Es schlug die Stunde von Carl von Ossietzky, der mit 37 Jahren im Mai 1927 der neue Verantwortliche wurde. Von Ossietzky verschaffte dem Blatt einen gewaltigen Auftrieb. Konsequent pazifistisch, antimilitaristisch und kritisch geriet die Redaktion ständig mit dem Reichswehrministerium aneinander, was zu mehreren Auseinandersetzungen vor Gericht führte. Höhepunkt war der „Weltbühne-Prozess“ im Jahr 1931, bei dem von Ossietzky wegen Landesverrats und Verrats militärischer Geheimnisse zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Tucholskys vielfach zitierte Aussage „Soldaten sind Mörder“ wurde ebenfalls in der Weltbühne veröffentlicht, von Ossietzky prompt wegen „Beleidigung der Reichswehr“ angeklagt.

Schon vor dem Verbot des Berliner Originals durch den NS-Staat gab es einen Ableger in Wien, die „Wiener Weltbühne“. Geleitet wurde die Zeitschrift vom Journalisten Willi Siegmund Schlamm. Viele Berliner Emigranten schrieben für die Wiener Weltbühne.
Nach der Entmachtung des österreichischen Parlaments verlegte die Exil-Redaktion ihren Sitz nach Prag, nannte sich um in „Die Neue Weltbühne“. Dort passte Schlamms radikal-republikanische Geisteshaltung allerdings auch nicht. Er wurde auf Betreiben der kommunistischen tschechischen Partei geschasst. Die Jacobsohn-Witwe verkaufte daraufhin Verlag und Titelrechte. Nach einem kurzen Wechsel 1938 von Prag nach Paris verboten die Behörden auch dort das Blatt. Am 31. März 1939 erschien es zum letzten Mal.

Doch Maud von Ossietzky, von Ossietzkys Witwe, führte nach dem Krieg das publizistische Erbe ihres Mannes fort und setzte sich stark für den Neuanfang der Weltbühne ein. Da im West-Sektor Berlins Streit mit den neuen Besitzern (die Jacobsohn-Witwe hatte ja die Rechte verkauft) anstand und die West-Alliierten der kritischen Weltbühne-Redaktion einen Lektor vorsetzen wollten, zog Maud von Ossietzky mit ihrem Vorhaben kurzerhand in den sowjetischen Sektor um. Im Juni 1946 erschien die Weltbühne wieder unter ihrem früheren Titel in Ost-Berlin. Ohne an ihre große publizistische Tradition wirklich anknüpfen zu können, wurde sie 47 Jahre später, 1993, endgültig eingestellt.