Vor 175 Jahren in Berlin: „Verrat! Verrat! Man mordet das Volk!“

Am 18. März 1848 brachen in Preußens Hauptstadt Barrikadenkämpfe aus. Mehr als 280 mehrheitlich junge Berliner starben. Wie kam es dazu, was folgte daraus?

Revolution! „Glorreicher Barrikadenkampf der Berliner Buerger gegen das Militair“: So lautet der Titel dieser kolorierten Kreidelithografie von 1848. Die schwarz-gold-rote Fahne symbolisiert die deutsche Einheit und eine deutsche Republik.
Revolution! „Glorreicher Barrikadenkampf der Berliner Buerger gegen das Militair“: So lautet der Titel dieser kolorierten Kreidelithografie von 1848. Die schwarz-gold-rote Fahne symbolisiert die deutsche Einheit und eine deutsche Republik.dpa picture-alliance/akg-images

Gespalten ist die Stimmung unter den mehreren Tausend Menschen, die sich am Nachmittag des 18. März 1848 vor den Toren des Berliner Schlosses versammeln. Die vorne stehenden „besseren Stände“, die Zylinder und dunkle Anzüge tragen, sind vergnügt, die sich hinten drängenden „einfachen Leute“, allen voran Arbeiter, skeptisch.

Seit dem Morgen dieses frühlingshaft warmen Sonnabends machen sensationelle Nachrichten die Runde: König Friedrich Wilhelm IV. hat die Pressefreiheit gewährt, vorbehaltlos. Und er hat den Vereinigten Landtag, die Ständeversammlung, vorfristig einberufen. Seiner Majestät geht es um nichts weniger als eine politische Neugestaltung des 1815 gegründeten Deutschen Bundes. Er verlangt, „dass Deutschland aus einem Staatenbund in einen Bundesstaat verwandelt werde“.

Etwa 10.000 Menschen befinden sich schließlich auf dem Schlossplatz, als der König auf einem der Balkone des Schlosses erscheint. Die von hinten nachrückenden Leute werden unruhig, als sie die einsatzbereiten Soldaten sehen, die an den Portalen zu den Schlosshöfen Stellung bezogen haben. Rufe werden laut: „Militär zurück!“, „Die Soldaten fort!“ Stattdessen rücken eine Schwadron Dragoner mit gezogenen Säbeln und eine Kompanie Grenadiere vor. Sie sollen den Platz räumen. Plötzlich, es ist kurz nach 14.30 Uhr, krachen zwei Schüsse. Die Menge stiebt panisch auseinander, schreit: „Verrat! Verrat! Man mordet das Volk! Zu den Waffen! Zu den Waffen!“

An der Ecke Königstraße/Burgstraße kommen dem Tierarzt Friedrich Ludwig Urban Flüchtende entgegen. Er, der im Garde du Corps gedient hat, überblickt rasch die Situation; er fürchtet, dass die Soldaten in die Wohnviertel eindringen. Daher schreit er spontan: „Barrikaden!“ Sturmglocken läuten. Unter Urbans Kommando entsteht an der Neuen Königstraße Richtung Alexanderplatz eine wehrhafte Befestigung – sie wird als eine der wenigen von stadtweit etwa 200 standhalten.

Der Diplomat und Schriftsteller Karl August Varnhagen von Ense wird auf dem Weg zu seinem Wohnhaus in der Mauerstraße 36 von den Ereignissen überrascht. „Um nicht ausgesperrt zu werden, musst ich eilen, nach Hause zu gelangen, wo die Tür schon verschlossen war“, schreibt er kurz darauf in sein Tagebuch. „Rechts nach der Jägerstraße, links nach der Behrenstrasse, vorwärts in der Französischen Straße, deren ganze Länge man von meinen Fenstern aus übersehen konnte, stiegen rasch die Schutzwehren empor, hinter denen wir uns bald wie in einer Festung abgeschieden fanden.“ Varnhagen sieht junge und alte Leute „eifrig am Werk“: Droschken und Wagen werden angehalten und umgestürzt, Fässer und Kästen herbeigeholt, Steine aus dem Straßenpflaster gerissen, etliche davon auf die Dächer der Eckhäuser geschleppt. „Noch bei Tage, dann aber heftiger bei Nacht (im hellen Mondschein), von allen Seiten Kampf, Gewehr- und Geschützfeuer (...) Der Kampf dauerte die ganze Nacht, bis nach 5 Uhr.“

Insgesamt 283 Zivilisten fallen dem Barrikadenkampf zum Opfer (nach Angaben des Historikers Rüdiger Hartmann in seinem 2022 erschienenen Buch „1848. Revolution in Berlin“), davon sind 270 namentlich bekannt; schätzungsweise 1000 Menschen werden verletzt. Unter den Soldaten gibt es mindestens 63 Tote (laut dem damaligen Innenminister Ernst von Bodelschwingh) und vermutlich 250 Verletzte. Wie konnte es so weit kommen?

Friedrich Wilhelm IV. (Ölgemälde eines unbekannten Künstlers aus dem Jahr 1847) agierte während der Märzrevolution mit viel Geschick. Von den Zugeständnissen des preußischen Königs blieb am Ende wenig übrig.
Friedrich Wilhelm IV. (Ölgemälde eines unbekannten Künstlers aus dem Jahr 1847) agierte während der Märzrevolution mit viel Geschick. Von den Zugeständnissen des preußischen Königs blieb am Ende wenig übrig.CC BY-SA 4.0

Die Befreiungskriege gegen Napoleon hatten den Völkern Europas keine Freiheit gebracht. Der Wiener Kongress von 1814/15 restaurierte die vornapoleonische Ordnung: Die Fürsten herrschten wieder uneingeschränkt. Politische Unfreiheiten, drückende Feudallasten und grassierende Massenarmut bildeten den Nährboden für ein stetig wachsendes Verlangen nach einem tiefgreifenden Wandel.

Es waren erneut die Franzosen, die das Feuer der Revolution legten: Sie stürzten am 24. Februar 1848 die Monarchie und riefen die Republik aus. Der Funke sprang über den Rhein, in die 34 deutschen Staaten und vier freien Städte. Das Königreich Preußen war noch kein zusammenhängender Flächenstaat. Seine Provinzen Westfalen und Rheinland im Westen waren von denen im Osten – Brandenburg, Sachsen, Schlesien, Pommern, Preußen und Posen – durch die Staaten Hannover und Hessen getrennt.

Das Verlangen nach einem Wandel verdichtete sich in den „Märzforderungen“. Zentral war der Ruf nach einer freiheitlichen Verfassung, die insbesondere die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit garantierte. Hinzu kamen Losungen, die auf eine Aufhebung aller feudalen Vorrechte abzielten. Wegweisender noch waren die Forderungen nach einem allgemeinen und freien Wahlrecht (allerdings nicht für Frauen) sowie nach der sofortigen „Herstellung eines deutschen Parlaments“.

Die Nachricht von der Revolution in Paris versetzt auch Berlin in Aufruhr. Ab 6. März formiert sich eine bürgerliche Protestbewegung, Bewohner der Arbeiterviertel schließen sich ihr an. Bei Volksversammlungen außerhalb der Stadt, zum Beispiel „In den Zelten“ im Tiergarten, fordern sie Reformen. Friedrich Wilhelm IV. ruft Truppen in die Stadt. Zwischen Bewohnern und Soldaten kommt es zu Auseinandersetzungen: Am 15. März wird der 19-jährige Kupferschmiedelehrling Carl August Wagner erschossen – er ist der erste Tote der Berliner Märzrevolution.

Meine lieben Berliner! Kehrt zum Frieden zurück!

König Friedrich Wilhelm IV. am 19. März 1848

Der König will die Krise eindämmen. Er macht seinen Untertanen Zugeständnisse, und so kommt es am 18. März auf dem Schlossplatz zu der eingangs erwähnten Kundgebung. Die allerdings führt zu einer Katastrophe. Verantwortung dafür übernimmt der Monarch nicht. In seiner Proklamation „An Meine lieben Berliner!“, die er in der Nacht zum 19. März schreibt, behauptet er: „Bösewichter, meist aus Fremden bestehend“, seien „die gräulichen Urheber von Blutvergießen“. Weil sie bis ins Portal des Schlosses vordrangen, „mußte der Platz durch Cavallerie im Schritt und mit eingesteckter Waffe gesäubert werden und zwei Gewehre der Infanterie entluden sich von selbst, Gottlob! Ohne irgend Jemand zu treffen.“ Die Truppen hätten erst dann von der Waffe Gebrauch gemacht, „als sie durch viele Schüsse aus der Königsstraße dazu gezwungen wurden“. Abschließend appelliert er an die Barrikadenkämpfer, zu denen auch Frauen gehören: „Kehrt zum Frieden zurück!“

Dass sich sein Volk gegen ihn wendet, will Friedrich Wilhelm nicht wahrhaben. Er sieht in dem Barrikadenkampf keine Revolution, sondern eine – von wem auch immer angezettelte – Verschwörung, wie aus seinem Briefwechsel mit Christian Karl Josias von Bunsen, dem Botschafter Preußens in London, hervorgeht. So behauptet er, dass dafür schon Wochen vorher „allergräßlichstes Gesinde“, 10.000 bis 20.000 Mann, planmäßig nach Berlin gebracht und bis zum „großen Tage“ vor der Polizei verborgen gehalten worden seien.

Der König will weiteres Blutvergießen verhindern. Daher lässt er seine Truppen – bis zu 15.000 Mann – am 19. März nach Potsdam abziehen. Die etwa 500 Gefangenen, die am Vortag in die Zitadelle Spandau gebracht worden sind, werden freigelassen und dürfen nach Berlin zurückkehren, in Zehnergruppen, zu Fuß. In der Stadtbevölkerung richtet sich die Wut weniger gegen Friedrich Wilhelm als vielmehr gegen dessen Bruder: Prinz Wilhelm, später als Wilhelm I. erster Kaiser des Deutschen Reiches, soll den Befehl gegeben haben, gegen die Barrikadenkämpfer ohne Wenn und Aber vorzugehen – er flieht nach England und wagt sich erst wieder am 8. Juni zurück nach Berlin.

Mit einem Säbel in der Hand verteidigt der 17-jährige Ernst Zinna mit seinem zwei Jahre älteren Freund Harald Glasewald eine Barrikade in der Friedrichstraße an der Ecke Jägerstraße  (kolorierte Federlithografie von Theodor Hosemann 1848).
Mit einem Säbel in der Hand verteidigt der 17-jährige Ernst Zinna mit seinem zwei Jahre älteren Freund Harald Glasewald eine Barrikade in der Friedrichstraße an der Ecke Jägerstraße (kolorierte Federlithografie von Theodor Hosemann 1848).dpa picture-alliance/akg-images

Am Nachmittag des 19. März 1848 versammeln sich am Schloss mehrere Tausend Menschen. Bürger tragen die offenen Särge von gefallenen Barrikadenkämpfern in den Schlosshof. Kurz nach 14 Uhr erscheint auf einem Balkon der König. Doch die Menschenmenge fordert ihn auf, die Toten aus nächster Nähe zu besehen.

Eines der aufgebahrten Opfer soll der 17-jährige Schlosserlehrling Ernst Zinna gewesen sein. Mit seinem zwei Jahre älteren Freund Heinrich Glasewald hatte er am 18. März eine Barrikade in der Friedrichstraße an der Ecke zur Jägerstraße verteidigt, wobei ihn eine Kugel in den Unterleib traf. Er starb tags darauf in der Charité. In der DDR wurden Schulen nach Zinna benannt; bis 1989 wurde der Ernst-Zinna-Preis der Stadt Berlin verliehen.

König Friedrich Wilhelm erscheint auf dem Vorplatz, an seiner Seite seine Frau Elisabeth Ludovika. In seinem 2022 erschienenen Buch „Die Flamme der Freiheit. Die deutsche Revolution 1848/1849“ beschreibt der Literaturwissenschaftler Jörg Bong die Szenerie so: „Harsch ertönt die Aufforderung eines Kämpfers: ,Hut ab!‘ Einen Moment zögert der König, dann zieht er tatsächlich den Hut. Der König gehorcht dem Befehl eines Aufständischen, erweist den Terroristen, der Kanaille, wie er sie nennt, die Ehre. (...) Die Demütigung ist hart, der König wird sie nie vergessen, sein ganzes Leben nicht. Eine Demütigung stählt. Er wird es ihnen heimzahlen.“

Nach außen hin scheint es, dass die Revolution gesiegt hat. Und Friedrich Wilhelm tut alles, um diesen Anschein zu wahren. Am 21. März erlässt er eine Proklamation, in der er sich zur deutschen Einheit und Freiheit bekennt: „Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen und Mich und Mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf.“

So anerkennt der König die bislang verbotenen Farben Schwarz-Rot-Gold der deutschen Nationalbewegung. Er kündigt an, eine preußische Nationalversammlung einzuberufen und die Bildung eines gesamtdeutschen Parlamentes zu unterstützen. Noch am selben Tag reitet er durch Berlin, eine schwarz-rot-goldene Binde um den Arm. „Die Reichsfarben musste ich gestern freiwillig aufstecken, um Alles zu retten“, schreibt er tags darauf seinem Bruder. „Ist der Wurf gelungen (...) so lege ich sie wieder ab!“

„Aufbahrung der Märzgefallenen“ heißt das Ölgemälde von Adolph von Menzel. Der Maler hatte an der Trauerfeier auf dem Berliner Gendarmenmarkt teilgenommen. Das Werk ist im Besitz der Hamburger Kunsthalle.
„Aufbahrung der Märzgefallenen“ heißt das Ölgemälde von Adolph von Menzel. Der Maler hatte an der Trauerfeier auf dem Berliner Gendarmenmarkt teilgenommen. Das Werk ist im Besitz der Hamburger Kunsthalle.CC BY-SA 4.0

Zehntausende Menschen nehmen am 22. März, einem Mittwoch, Abschied von 183 zivilen Opfern der Barrikadenkämpfe. Seit Mittag haben alle Geschäfte geschlossen. Kirchen läuten ihre Glocken. Auf dem Gendarmenmarkt sind die Toten aufgebahrt. Die Angehörigen versammeln sich im Deutschen Dom zu einem Gottesdienst. Gegen 14.30 Uhr nehmen Träger die Särge auf, und nach Trauerreden evangelischer, katholischer und jüdischer Geistlicher setzt sich der Zug in Bewegung. Er zieht am Schlossplatz vorbei. Auf dem Balkon des zweiten Schlossportales steht der König, „den Helm in der Hand“, um die Gefallenen zu ehren. Der Trauerzug, mehr als sieben Kilometer lang, braucht vier Stunden bis zum Friedhof, dem Lindenberg, der damals höchsten Erhebung des noch im Aufbau befindlichen Volksparks Friedrichshain. In den folgenden Wochen werden weitere Revolutionsopfer dort beigesetzt. Es sind letztlich 254.

Der Friedhof der Märzgefallenen liegt im südlichen Teil des Volksparks Friedrichshain, etwas abseitig und daher sehr ruhig. Vom ursprünglichen Bestand sind 18 steinerne Grabplatten, drei eiserne Grabkreuze, eine Stele und zwei Grabdenkmäler erhalten. Ein 1948 enthüllter Gedenkstein steht im Zentrum der Anlage; seine Rückseite trägt 249 Namen, ergänzt durch den Zusatz „ein Unbekannter“. Die meisten Gefallenen waren zwischen 22 und 26 Jahre jung; 157 waren Handwerker, 52 Arbeitsleute, 34 Dienstboten, 15 von gebildetem Stand, vier adlig. Unter den Opfern sind elf Frauen, vier Kinder und sechs Jugendliche. Der jüngste Tote war ein 12-jähriger Junge, der älteste ein 74-jähriger Tafeldecker (ein Diener, der an einem Hof oder in einem großen Haushalt den Tisch eindeckte und das Tischzeug beaufsichtigte).

An den Barrikadenkämpfen waren laut Historiker Rüdiger Hachtmann „nicht wenige Frauen“ beteiligt. „Eine größere Zahl von ,Frauen der niedrigsten Volksklasse‘, so berichten der Sympathie für die Revolution unverdächtige Zeitgenossen, trug ,ganze Steinladungen‘ in großen Körben in die oberen Stockwerke der Häuser. Sie bewegten sich ,ungeachtet der dicht fallenden Kugeln‘ an den Barrikaden ,zwischen den Schützen‘, um ihnen ,Erfrischungen (zu) bringen, neue Munition herbei(zu)schaffen, die Verwundeten in die Häuser‘ zu transportieren und dort zu versorgen.“

Drei Gräber erinnern an Frauen: Adeline Behm, 29, Arbeitsfrau; Caroline Gliesche, 28, Korbmacherfrau; und Henriette Fuchs, 63, Seidenwirkerfrau – ein eisernes Grabkreuz gedenkt der Ehefrau eines Seidenwebers, sie hinterließ vier Kinder.

Radikale Demokraten gegen bürgerliche Liberale

Die Revolution indes lebt. „Der Anblick Berlins heute, verglichen mit dem vor 14 Tagen, ist wahrhaft traumhaft. Überall Leben, überall Waffen, überall freie u. öffentliche Rede“, schwärmt Rudolf Virchow, Prosektor der Charité, am 24. März 1848 in einem Brief an seinen Vater. „Die Berliner selbst sind natürlich voll Siegesstolz, u. jeder Straßenjunge tut, als ob er mehrere Soldaten getroffen hätte. Das ist etwas ganz Neues u. fast das Wichtigste bei der Sache, daß wir jetzt Selbstgefühl, Selbstachtung, Selbstvertrauen gewonnen haben.“

Trotzdem ist Virchow, der sechs Tage zuvor eine Barrikade in der Tauben-, Ecke Friedrichstraße verteidigt hatte, skeptisch: „Für den Augenblick haben wir Ruhe, aber die Ruhe eines Vulkans, u. zwar eines noch nicht ausgebrannten. (...) Schon beginnt unter der Bürgerschaft (Bourgeoisie) die Reaktion gegen die Arbeiter (das Volk). (...) u. die Regierung beginnt allmählich wieder den Ton anzustimmen, der dem Ton vor dem 18ten März sehr nahe verwandt ist.“

Die Revolutionäre sind gespalten. Die radikalen Demokraten dagegen wollen die „ganze Revolution“, eine „demokratische Bunderepublik“. Die Rechtsanwälte Friedrich Hecker und Gustav Struve fordern bei der Offenbacher Volksversammlung am 19. März 1948 die Republik. Auf einem Flugblatt ist zu lesen: „Die Frage ist einfach: Können wir frei werden und einig und wohlfeil regiert unter 34 Fürsten?“ Beide rufen dreieinhalb Wochen später, am 12. April in Konstanz eine Republik aus. Das Militär schlägt den „Heckeraufstand“ nieder.

Die bürgerlichen Liberalen, allen voran die „Konstitutionellen“ – sie nennen sich bald „Ordnungspartei“ – wollen an der Monarchie festhalten, in reformierter Form. Sie wollen mit den Fürsten Kompromisse schließen, wobei diese Kompromisse ablehnen; sie wollen eine Revolution nach der Art, über die Wladimir Iljitsch Lenin später gespottet haben soll: Wenn deutsche Revolutionäre einen Bahnhof besetzen, lösen sie vorher eine Bahnsteigkarte.

Es lebe die Republik! Robert Blum spricht im Juni 1848 vor der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche (kolorierte Zeichnung von Ludwig von Elliott). Er wird die Revolution nicht überleben. Die letzten Revolutionäre strecken im Juli 1849 ihre Waffen.
Es lebe die Republik! Robert Blum spricht im Juni 1848 vor der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche (kolorierte Zeichnung von Ludwig von Elliott). Er wird die Revolution nicht überleben. Die letzten Revolutionäre strecken im Juli 1849 ihre Waffen.CC BY-SA 4.0

Am 18. Mai 1848 tritt in der Paulskirche zu Frankfurt am Main die Nationalversammlung zusammen. Aufgabe des ersten demokratisch gewählten gesamtdeutschen Parlaments ist die Gründung eines bundesstaatlich verfassten deutschen Nationalstaates auf der Grundlage einer konstitutionellen Monarchie. Am 27. Dezember verabschieden die Abgeordneten einen Grundrechtekatalog. Der sieht unter anderem vor: die Gleichheit vor dem Gesetz (Abschaffung des Adels als Stand), die unverletzliche Freiheit der Person (Abschaffung der Todesstrafe, des Prangers, der Brandmarkung), Presse-, Glaubens- und Gewissensfreiheit, freie Wissenschaft und Lehre. Weder Preußen noch Hannover noch Bayern erkennen diese Rechte an.

Im März 1849 wählt die Nationalversammlung König Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Kaiser. Der hat aber schon am 23. Dezember 1848 diesbezüglich gegenüber seinem Berater Joseph von Radowitz gelästert: „Jeder deutsche Edelmann, der ein Kreuz oder einen Strich im Wappen führt, ist hundertmal zu gut dazu, um solch ein Diadem aus Dreck und Letten der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrats geschmiedet, anzunehmen.“

Friedrich Wilhelm empfängt am 3. April 1849 die Abgeordneten, die ihm die Kaiserkrone anerbieten. Kurz darauf schreibt er Ernst August von Hannover, was er geantwortet habe: „Die Paulskirche (...) habe keine Krone anzubieten und ich folglich keine auszuschlagen und anzunehmen. Diese sogenannte Krone sei aber an sich keine Krone, wohl aber ein Hundehalsband, mit dem man mich an die Revolution von 48 ketten wolle.“ Und in einem Bericht an seinen Botschafter Bunsen in London macht er keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Demokratie: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten.“

Die Revolution war nicht vergebens

Die Fürsten entziehen der Nationalversammlung die Legitimität. Dem wollen sich nicht alle beugen. Aufstände brechen landauf, landab aus. Ende Juli strecken die letzten Revolutionäre ihre Waffen. Todesurteile werden gefällt, Freiheitsstrafen verhängt. Otto von Bismarck schreibt: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“

Gemessen an ihren Zielen war die Revolution gescheitert. Die politische Teilhabe an der staatlichen Macht wurde wieder beseitigt, und die Gründung eines liberal-konstitutionellen Nationalstaats gelang nicht. Jedoch war der Kampf nicht vergebens, denn: Die Rechtsreform, die Geschworene an der Urteilsfindung beteiligte und bestimmte Strafen wie den Pranger und den Verlust der Rechtsfähigkeit abschaffte, blieb erhalten; die Agrarreformen, die in der ländlichen Gesellschaft den Feudalismus beendeten, wurden ebenfalls nicht rückgängig gemacht; alle Staaten des Deutschen Bundes bekamen eine Verfassung – mit Ausnahme Österreichs.

Die Historikerin Sabine Freitag, die an der Universität Bamberg lehrt, hebt daher auch das Bleibende der Revolution von 1848/49 hervor: Der Grundrechtskatalog der Paulskirche wurde hundert Jahre später zum Vorbild für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, ebenso wie die dort entwickelte Vorstellung eines starken Parlamentes, das einen maßgeblichen Einfluss auf Regierungsbildung und -handeln haben soll. Und noch etwas habe der Kampf der Revolutionäre gezeigt: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit!


Buchtipps: Jörg Bong: Die Flamme der Freiheit. Die deutsche Revolution 1848/1849, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022; Rüdiger Hachtmann: 1848. Revolution in Berlin, be.bra, Berlin 2022