Küchen in Berlin: Herde ersetzten erst spät die Flammen in der schwarzen Küche
Brandgefährlich, ungesund, beschwerlich: Berliner Haushalte kochten jahrhundertelang auf offener Flamme. Die Berliner sahen Gas- und Elektroherde skeptisch.

Offenes Feuer ist eine bewährte Technologie zum Kochen. Seit mindestens 250.000 Jahren rösten, grillen, braten und garen Menschen Fleisch oder Wurzeln über brennendem Holz oder in der Glut. Schon der Steinzeitmensch – ohne festen Wohnsitz – legte Feuerstellen zum Zubereiten von Speisen an. „Wir Menschen sind die kochenden Affen, Geschöpfe des Feuers“, sagt der Anthropologe Richard Wrangham von der Harvard University. Essen machen habe der Gattung Homo einen evolutionären Riesenvorteil verschafft, sodass diese sich weit verbreiten konnte. Die Feuerstelle bildete das Zentrum einer Menschengruppe; die Fähigkeit zu kochen beförderte das Zusammenleben ebenso wie die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.

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Als feuerbeherrschender, stolzer Mensch schleudert Goethes Prometheus dem Göttervater Zeus entgegen: „… musst mir meine Erde doch lassen stehen / und meine Hütte, die Du nicht gebaut / und meinen Herd, / um dessen Glut / Du mich beneidest.“
Der Herd, Mittelpunkt des Menschendaseins
Die im Berliner Museumsdorf Düppel nachgebauten mittelalterlichen Feuerstellen sehen noch recht steinzeitlich aus: etwas eingetieft in der Erde liegend, ein Feldsteinring drumherum. Mit der Sesshaftwerdung vor etwa 10.000 Jahren begannen die Menschen, ihre Häuser um die Feuerstelle herum zu errichten. Meist befand sich der Hotspot, die heiße Stelle, in der Mitte des Hauses, der Rauch zog durch die Ritzen im Dach ab.

Zum Kochen stellten unsere Vorfahren den Kugeltopf in die Glut. Oder sie hängten Töpfe darüber, indem sie deren Henkel an den Zacken einer Stange hakten. Sollte der Topf näher an die Hitze, legte man einen Zahn (oder Zacken) zu. Einen Zahn zulegen, das sagt man heute noch, wenn mehr Feuer in eine Sache kommen soll. In einem der Düppeler Häuser hängt die Vorform einer solchen Zackenstange über der Feuerstelle von der Decke herab: ein etwa einen Meter langer Wurzelstock, an dessen unterem Ende quirlartig auf unterschiedlichen Höhen verteilte Holzauswüchse abstehen.
Hitze, Feuer, Qualm
Die Küche im Knoblauchhaus, heute ein Standort des Stadtmuseums im Nikolaiviertel, ist 500 Jahre jünger. Hier herrscht Biedermeier. Die wohlhabende Kaufmannsfamilie Knoblauch bewohnte das um 1760 errichtete Haus 170 Jahre lang. Viel änderte sich nicht in dieser Periode: Die für das Museum rekonstruierte Küche liegt fensterlos mitten im Gebäude. Der Herd funktionierte wie der des Düppeler Mittelalters: Holzscheite verbrannten offen, der Rauch zog durch eine Öffnung über dem Feuer in einen hölzernen Schornstein nur unvollständig ab. Der ohnehin dunkle Raum verrußte gewaltig, sodass er seinerzeit „schwarze Küche“ hieß. Das Kochen muss hier eine höllische Mühsal gewesen sein mit Hitze, Verletzungsgefahr, Qualm – und dann noch die Plackerei mit der Asche.

Eine Änderung machte das Kochen etwas komfortabler: Die Feuerstelle lag nicht mehr zu ebener Erde, sondern auf einem bis etwa 70 Zentimeter hoch gemauerten Ziegelblock. Abbildungen von Küchen jener Zeit zeigen im Gemäuer eine gewölbte Nische, wo das Brennholz lagerte und trocknete. Auf der Kochebene standen Dreibeingestelle bereit, in die man Töpfe einsetzen konnte. Auch Grillroste oder Drehspieße kamen über der Glut zum Einsatz. An den Wänden hingen Löffel, Kellen, Töpfe, Schüsseln, Krüge.
Erfindung des Berliner Kachelofens
So oder so ähnlich, meist wohl ärmlicher, sah es in den Küchen noch lange nach Inbetriebnahme der ersten Berliner Dampfmaschine 1799 aus. Selbst in der Zeit der großen Holznot um 1800, als die Wälder kahl geschlagen waren, modernisierten die Hausherren eher die Heizung der Stuben als den Kochherd. Für Heizzwecke hatte bereits Friedrich II. 1763 mit einem amtlichem Preisausschreiben nach einem „Stubenofen, so am wenigsten Holz verzehret“ gesucht. Die Erfindung des Preisträgers Johann Paul Baumer wurde als „Berliner Kachelofen“ berühmt: mit mehreren Zügen, Brennkammern, Rost, regulierbarer Luftzufuhr und Rauchgasklappe.

Um die Küche machte solcher Fortschritt einen Bogen. Sparsame Herde blieben bis um 1860 die Ausnahme. Viele Haushalte scheuten die Investition in die Umrüstung; traditionsbewusste Handwerker verweigerten sich ihr. Ein Raum, um sich darin aufzuhalten und wohlzufühlen, war das schwarze Loch mitnichten. Das änderte sich erst, als mit Dampfschiff und Eisenbahn Kohle en masse herankam, erst aus England, dann aus Schlesien. Steinkohle befeuerte Dampfmaschinen und verbilligte die Eisenproduktion erheblich. Nun wurde es auch für Durchschnittsverdiener bezahlbar, das Feuer in geschlossene Eisenkästen mit eisernen Türen zu sperren. Die sogenannte Kochmaschine („Küchenhexe“) sparte Unmengen an Brennmaterial.
Fortschritt Kochmaschine
Im nächsten Schritt ließen sich runde Eisen- oder Kupferplatten über den Kochstellen abnehmen und Töpfe in die runde Öffnung setzen. Den Brennraum regulierten nun Klappen, was weitere Ersparnis brachte. Fortan konnte auch Steinkohle im Herd benutzt werden. Die Rauchgasentwicklung nahm ab, die Küche wurde bewohnbar und die warme Wohnküche entstand. Wasserbecken und Backröhren ergänzten die Kochmaschinen.
Auch der zunächst schlichte grauschwarze Gussherd, von der Eisenindustrie als Ersatz für den gemauerten angeboten, änderte im Lauf der Jahrzehnte nicht nur seinen Aufbau – er wurde sparsamer und praktischer –, sondern auch sein Aussehen. Als er mit hellen, dekorativen Emailleplatten verkleidet wurde, wandelte er sich zum Schmuckstück der Küche.
Um das Jahr 1870 konnte sich dieser Familienherd etablieren. Nun erlaubten ineinandergelegte Ringe und eingeschliffene Platten das Kochen ohne direkten Feuerkontakt. Die Zeit der offenen Herdfeuer ging zu Ende; endlich entfiel das lästige Putzen der verrußten Topfunterseiten.
Gasherde setzen sich langsam durch
Die innovationsfreudige Zeit des Kaiserreichs fand um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auch in der Küche des gehobenen Stadthaushaltes ein Betätigungsfeld. Hygieniker und Wirtschaftstheoretiker entwarfen funktionsgerechte Arbeitsplätze. In modernen Großstädten wie Berlin, die Gaswerke und -netze für die Stadtbeleuchtung gebaut hatten, setzten sich ab 1900 Gasherde durch. Der Brennstoff kam nun auch für die Haushalte aus der Leitung. Keine Asche mehr! Doch es gab große Unterschiede in der Gasversorgung: Nur 14,4 Prozent aller Berliner Wohnungen hatten einen Anschluss – im wohlhabenden Tiergarten waren es 57,3 Prozent, im ärmlichen Wedding bloß 4,1 Prozent.
Herde, die mit Strom betrieben werden, blieben bis in die 1950er-Jahre Luxusgüter. Um 1910 gab es zwar bereits Elektrogeräte wie „Entstäubungspumpen“ (Staubsauger) und Waschmaschinen, doch waren sie teuer und unausgereift. Auch der Strom war kostspielig. Außerdem gab es lange Zeit ein Wirrwarr an Stromarten und -spannungen. Jetzt gibt es den nächsten Innovationsschub: Der Induktionsherd gart die Speisen – revolutionär! – auf Magnetfeldern. Nichts brennt an, das Kochtempo ist enorm, die Energieersparnis beachtlich. Aber die Umstellung kostet. Und dauert. Wie gehabt.
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