Schön, schöner, Beletage: So lebte der Berliner Filmstar Asta Nielsen
Gründerzeitbau, Vorderhaus, sieben Zimmer – so wohnte die Filmdiva Asta Nielsen. Heute befindet sich in den Räumen eine Pension.

Es muss ein aufwendiger Umzug gewesen sein, als Asta Nielsen im Frühjahr 1931 ihre herrschaftliche Wohnung an der Kaiserallee 203 (heute: Bundesallee) verlässt und eine noch prächtigere an der Fasanenstraße 69 in Charlottenburg bezieht. Trotz der anhaltenden Wirtschaftskrise kann sich die Stummfilmdiva ein Leben im Luxus leisten. Berlin ist seit 1912 Lebensmittelpunkt der Dänin, sie fühlt sich wohl in der Stadt mit ihren Kinopalästen wie dem Marmorhaus am Kurfürstendamm, wo jeder Filmstart einer Opernpremiere gleicht. Als „Duse der Kinokunst“ gilt die fast 50-Jährige, in Anlehnung an den Bühnenstar Eleonora Duse, deren Spiel dem Theater der Moderne den Weg wies. Aber die Zeit des Stummfilms geht zu Ende. Und so soll der Umzug auch ein Neuanfang werden.
Beletage der Asta Nielsen, Pension, Filmkulisse
Das Haus in der Fasanenstraße 69 steht noch. Gebaut wurde es 1895, ein Prachtbau aus der Gründerzeit. Beste Lage. Asta Nielsen zieht in eine der beiden Beletage-Wohnungen im ersten Stock: Vorderhaus und Seitenflügel mit sieben Zimmern. Einer der ersten Besucher ist Allan Hagedorff, der 16-jährige Sohn einer dänischen Freundin. Er schreibt rückblickend: „Sie lebte in einer riesigen Wohnung in der Fasanenstraße, dicht am Kurfürstendamm, mit Butler, Köchin, Haushälterin, Putzfrau, Sekretär und Chauffeur. Es war der verrückteste Luxus, den ich bis dahin erlebt hatte.“

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Heute befindet sich in der ehemaligen Wohnung der Diva eine Pension. Neben dem Eingangsportal des repräsentativen Gründerzeitbaus hängt ein in die Jahre gekommener Leuchtkasten: Hotel-Pension Funk. Ein hochherrschaftliches Entrée wie in einem italienischen Palazzo, das Treppenhaus mit Marmor verkleidet, an den Wänden Stuckaturen. Eine recht steile Treppe führt zum Hochparterre, in dem sich ein schmiedeeiserner Aufzug befindet.
Lüster, Parkett, Möbel aus vielen Stilepochen
Michael Pfundt betreibt seit 1991 die Hotel-Pension Funk. Die erstreckt sich über die komplette Beletage, auch über die ehemalige Nachbarwohnung, deren Grundriss jenen von Nielsens spiegelte – und in der nach dem Ersten Weltkrieg der Jagdflieger Ernst Udet gewohnt haben soll. Die Pension belegt das komplette Vorderhaus und beide Seitenflügel, 14 Zimmer! Lange Korridore, ausgelegt mit roten Teppichen, darauf abgewetzte Orientläufer, durchziehen die Flügel. An den Wänden Mustertapeten verschiedener Stilepochen, teilweise „noch Vorkriegsware“, betont Pensionswirt Pfundt, der das historische Inventar wie Türbeschläge und Klinken über jede Renovierung hinweggerettet hat. Er ist ein Bewahrer. Davon zeugt auch der Mix aus restaurierten Stilmöbeln in den Zimmern: Gründerzeit, Jugendstil, Art déco. Eine anmutige Chaiselongue, mit rotem Samt bezogen, gepolsterte Stühle mit geschwungenen Beinen, deren Füße wie Katzenpfoten aussehen, restaurierte Schminktische, Leuchten, Lüster und schwere Bakelit-Telefone mit großen Wählscheiben. An den Wänden Fotografien und Plakate von Asta Nielsens Triumphen.

Es dürfte hektisch zugegangen sein in der Wohnung der rastlosen Schauspielkünstlerin. Viel Personal organisierte und ermöglichte das berufliche, gesellschaftliche und private Leben des Stars. Zu ihrem Freundeskreis zählten Joachim Ringelnatz, den sie liebevoll Ringel nannte, die Ausdruckstänzerin Gret Palucca und Heinrich George. Zu Butterbrot und Bier lädt sie das Ehepaar Kracauer ein. Siegfried Kracauer, Chef des Berliner Feuilletons der Frankfurter Zeitung, revanchiert sich mit einem Artikel über „Asta Nielsen und die Filmbranche“. Sie war eine gute Gastgeberin und hielt intensiven Briefkontakt, schreibt Barbara Beuys in ihrer Nielsen-Biografie.
Natürlich bewohnte die Filmdiva die erste Etage des Vorderhauses, schließlich war es die prächtigste Wohnung im Haus. In Frankreich heißt dieses Geschoss bel étage, in Italien piano nobile, in Berlin Beletage. Ausgehend von den großen Schauräumen in den Schlössern der Könige und des Hochadels wurde in den Stadtpalais und Villen des niederen Adels und des wohlhabenden Bürgertums die Beletage konzipiert. Dieses Stockwerk, das schöne Geschoss, so die wörtliche Übersetzung, befindet sich über dem Parterre, dem Erdgeschoss, aber noch gut zu Fuß erreichbar und weit weg sowohl vom Souterrain, dem kalten, feuchten und lichtlosen Keller eines Hauses, und von den beengten Mansarden unterm Dach.
Ein zeitgenössischer Mietspiegel zeigt die Preisunterschiede am Beispiel eines Hauses in Tiergarten. Die Jahresmiete einer hochherrschaftlichen Wohnung mit sieben Zimmern beträgt 1908 im Parterre bis zu 5000 Mark, in der Beletage bis zu 6000 Mark, in der zweiten Etage bis zu 5500 Mark und der vierten Etage bis zu 3300 Mark. Zur Einordnung: Zu jener Zeit verfügt ein Berliner Facharbeiter, beispielsweise ein Maurer, über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 1500 Mark, ein Lehrer über 3300 Mark.
Berliner Mischung: Große Unterschiede zwischen den Geschossen
Was macht den Unterschied aus? Zum einen die Deckenhöhe. Die kann in einer Beletage über vier Meter betragen. Von außen lässt sich die Beletage an den opulenten Fensterrahmungen erkennen, die zu den oberen Geschossen hin immer einfacher werden, an den Balkonen und Erkern, die mehr Licht, Ausblick und eine optische Erweiterung des Innenraums bewirken. Auch die Innenausstattung orientiert sich am Wohnwert: Treppen, Stuck und Öfen sind hochwertiger, das gilt auch für die Fußböden mit edlem Fischgrät- und Tafelparkett statt einfacher Holzdielen.
In einem Vertrag zwischen einem Bauherrn und dem Baumeister aus dem Jahr 1901 ist genau vermerkt, wie viel die Tapeten in einem Mietshaus an der Skalitzer Straße 99 in Kreuzberg kosten dürfen. „Die Tapeten der Vorderzimmer und der Berliner Zimmer der großen Wohnungen im I. und II. Stock sind im Werte von 2 Mark pro Rolle zu verwenden.“ Im Seitenflügel und im Quergebäude kommt nur noch Tapete für 40 Pfennig die Rolle an die Wand. In der Beletage muss der Stuck teilweise vergoldet, „die Decke geseift und im Tapetenton gestrichen werden“.
Viele soziale Schichten wohnten in einem klassischen Berliner Mietshaus, die sogenannte Berliner Mischung, getrennt nur durch die Stockwerke, Vorder- und Hinterhäuser. Die Lebensbedingungen klafften dramatisch auseinander. Aber: Die Beletage-Kinder mussten durch denselben Hausflur wie die Hinterhofkinder gehen.

Nach ihrem Umzug in die Fasanenstraße beginnt Asta Nielsen eine zweite Karriere als Theaterschauspielerin. Doch die Zeiten sind schwer und werden immer schwerer. Am 27. Februar 1933 brennt in Berlin der Reichstag, am 5. März gewinnt Adolf Hitler die Wahlen, am 13. März ernennt er Joseph Goebbels zum Propagandaminister. Nielsen ist mit vielen Menschen befreundet, die für die Nazis „Volksfeinde“ sind. Die Berliner Theater-, Varieté- und Filmszene ist jüdisch geprägt. Ihr treuer Freund, der Publizist Kracauer, flieht 1933 nach Frankreich und von dort 1941 über Portugal in die USA.
Zum Tee mit Goebbels und Hitler
An einem Tag im März 1933 klingelt in der Fasanenstraße das Telefon. Jemand aus dem Propagandaministerium ist am Apparat, Asta Nielsen wird zu einem Tee-Empfang eingeladen. Sie berät sich mit ihren Freunden und geht hin. Ihre Biografin Barbara Beuys beschreibt, wie Nielsen erst Goebbels und dann Hitler als Tischherrn bekommt. Beide reden auf die Schauspielerin ein, versprechen ihr eine Filmfirma, freie Wahl bei den Filmstoffen, viel Geld. Sie lehnt ab, sie will keinen Film für die Nazis machen. Ihre Nische wird das Theater. Und dort feiert sie Erfolge, ohne sich politisch korrumpieren zu lassen.
Zum Opfer der Nazis wird auch Asta Nielsens Freund Joachim Ringelnatz, Schriftsteller, Kabarettist und Maler. Seine Bücher werden beschlagnahmt und verbrannt, er selbst wird mit Auftrittsverboten belegt, was ihn in den Ruin und in die Verzweiflung treibt. Im November 1934 stirbt er an Tuberkulose, mit nur 51 Jahren. Einer der wenigen Trauergäste – es sollen neun gewesen sein – ist Asta Nielsen; die Orgel spielt „La Paloma“. Vielleicht erinnert sie sich an die vielen fröhlichen Tage mit Ringelnatz und dessen Frau auf Hiddensee. Im „Capri des Nordens“, wie die Berliner Boheme die kleine Ostseeinsel nennt, besitzt sie ein kurioses Ferienhaus, die vom Berliner Architekten Max Taut gebaute Villa Karusel. Über die glückliche Inselzeit dichtete Ringelnatz: „Steht ein Häuschen in der Mitte. / Rund und rührend zum Verlieben. / ‚Karusel‘ steht angeschrieben / Dieses Häuschen zählt zu Vitte (...).“
Es wird still in der Fasanenstraße 69
Still wird es in der schönen Etage der Fasanenstraße 69. Immer mehr Freunde und Bekannte von Asta Nielsen fliehen ins Ausland. Nichts und niemand hält sie mehr in Berlin, sodass sie 1937 nach Dänemark zurückkehrt.
Nachmieter der Nielsen wird die Familie Krawielitzki-Schaefer. Im Adressbuch von 1941 steht Benno Krawielitzki als Vertreter der Auto Union AG. Seine Frau Doro bringt einen Sohn mit in die Ehe. Und dieser Sohn, der ab 1938 in der Fasanenstraße 69 lebt und aufwächst, besucht viele Jahre später Michael Pfundt, den Pensionswirt, um sich die Wohnung seiner Kindheit anzuschauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg liegt der Kurfürstendamm in Trümmern, 82 Prozent der Bauten sind zerstört. Doch der Boulevard berappelt sich rasch, die Sehnsucht der Berliner nach der alten Grandezza ist groß. Im Mai 1945 nimmt das Renaissance-Theater in der Hardenbergstraße seinen Spielbetrieb wieder auf. Es folgen Premierenkinos wie das Marmorhaus und das Astor. Auch Galerien und Lokale kehren zurück. Die Modemesse „Berliner Durchreise“ wird ab 1950 wieder Treffpunkt für Designer und Modehändler, Journalisten und Fotografen wie F. C. Gundlach. Ab 1951 ziehen die Filmfestspiele internationales Publikum an. Und 1954 beschreibt der Reiseführer Baedeker den Kurfürstendamm schon wieder als „Berlins eleganteste Geschäfts- und Vergnügungsstraße“.
Die Fasanenstraße 69 ist vom Bombardement verschont geblieben. Zwei Schwestern machen Anfang der 1950er-Jahre aus der Beletage die Hotel-Pension Funk.
Die Berliner Pensionswirtin
Von Frauen geführte Etagenhotels haben in Berlin eine lange Tradition. Pensionswirtinnen gab es schon im Kaiserreich. Ihr Ruf war mau. Die zeitgenössische Presse stellte sie als geizig, kleinlich und übertrieben neugierig dar. Außerdem herrschten arge Zweifel an ihrer moralischen Integrität. Man vermutete sexuelle Ausschweifungen, da Frauen und Männer in den Herbergen Zimmer an Zimmer logierten. Wegen des Verdachts der Kuppelei behielt die Berliner Polizei sie im Auge. Die Berliner Pensionswirtin bot ausreichend Stoff für Karikaturen, Gassenhauer und Dramen, sie schaffte es sogar auf den New Yorker Broadway: im Musical „Cabaret“. Es basiert auf dem Buch „Goodbye to Berlin“ von Christopher Isherwood, der 1929 das Berliner Nachtleben genoss und in Pensionen wohnte, mal in Kreuzberg, mal in Schöneberg. Das Musical hatte 1966 Premiere, die Verfilmung kam sechs Jahre später ins Kino. In dem Stück vermietet die Wirtin Lina Schröder vier Zimmer ihrer Wohnung und schläft selbst hinter einem Paravent im Wohnzimmer. Sie beherbergt auch eine kapriziöse Nachtclubsänge[1]rin namens Sally Bowles (im Film gespielt von Liza Minnelli).

Frauen drängten ins Pensionswesen, weil das Vermieten von Privatzimmern eine der wenigen Erwerbsmöglichkeiten für Witwen und ledige Frauen war. Während die Witwen von Kaufmännern oft das Geschäft weiterführten, blieb den Witwen von Beamten und Militärs zu wenig Geld, um ihre Wohnung weiter bezahlen zu können. Also vermieteten sie unter. Als Pensionswirtin durfte sich bezeichnen, wer mindestens vier Zimmer und volle Verköstigung anbot. Wirtinnen halfen sich gegenseitig, organisierten sich in Verbänden, gaben Fachzeitungen heraus. Nach 1945 blieb das Pensionsgeschäft in Frauenhand.
Die Beletage ist seit rund siebzig Jahren eine Pension
Bis 1991 leitete die Familie Funk die Pension in der Fasanenstraße 69, erst die Schwestern Funk, dann ihr Neffe. Michael Pfundt übernahm das Geschäft von ihm. Nicht nur Übernachtungsgäste beherbergt er. Seine Pension ist auch eine beliebte Kulisse für Werbe-, Mode- und Filmaufnahmen. Hier ließen sich beispielsweise die Supermodels Claudia Schiffer und Kate Moss sowie die Opernsängerin Elina Garanca fotografieren; hier entstanden auch Filmszenen für die erfolgreiche Fernsehserie „Ku’damm 56“.