Wo die Geschichte ein Zimmer frei hat
Ein Hotel ist ein Zuhause auf Zeit. In Berlin ist es oft eins mit einer faszinierenden Vergangenheit. Vier Beispiele.

SO/ Berlin Das Stue
Tagsüber ist es hier ungewöhnlich ruhig, nachts auch – der Tiergarten ist nur einen Sektflaschenwurf entfernt. Das einzige Geräusch, das man manchmal hört, ist ein sonores Knurren. In etwa wie das eines Löwen. Oder eines Vogels Strauß, der ganz ähnliche Laute von sich gibt. Tatsächlich ist das Straußengehege des Berliner Zoos gleich nebenan. Dessen Erweiterung auf dieser Seite des Landwehrkanals stammt aus dem Jahr 1987.
Das Gebäude, in dem sich das Hotel „SO/ Berlin Das Stue“ befindet, ist um einiges älter. Es handelt sich um eines der letzten Bauwerke, die in Berlin während des Zweiten Weltkriegs fertiggestellt wurden. Vorgesehen war es für die Königlich Dänische Gesandtschaft als Teil von Albert Speers größenwahnsinnigen Plänen für die neue deutsche Hauptstadt Germania. Die mit Muschelkalkstein verkleidete, der Form des Grundstücks an der Drakestraße folgende und also leicht geschwungene Fassade weist die typischen Merkmale der Architektur nach 1933 auf: der mächtige, schmucklose Portikus mit den scharf geschnittenen Doppelpfeilern als Stützen, die punktsymmetrisch geteilten Fenster mit ihren vereinfachten pseudoantiken Giebeln, das Dachgebälk mit dem auffallenden Zahnschnitt.

Die Königlich Dänische Gesandtschaft an der Drakestraße 1/Tiergartenstraße 48 (heute: Thomas-Dehler-Straße) war 1940 fertiggestellt, sodass die Diplomaten um Herluf Zahle einziehen konnte. Im Krieg wurde das Gebäude beschädigt, aber schon kurz nach dessen Ende diente es den Dänen als Militärmission. Später veräußerten sie es an die DGB-Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat. Anschließend ging es ans Land Berlin, dann an die Bundespost, die dort, zur Deutschen Telekom geworden, bis in die 2000er-Jahre ein Weiterbildungszentrum betrieb, ehe auch sie es wieder verkaufte – an ein spanisch-andorranisch-panamaisches Familienkonsortium. 2009 begann der Umbau zum Luxushotel.
Die Entwürfe dafür entwickelte Patricia Urquiola, eine Spanierin mit Büro in Mailand. Man hätte wohl niemand Geeigneteren finden können, um der unterkühlten, steinernen ehemaligen Botschaft Leben einzuhauchen. Urquiola hat ein Faible für das skandinavische, italienische und französische Design der 1950er-, 60er- und 70er-Jahre. Und sie weiß, wie man Räume so gestaltet, dass einen ein unbestimmtes wohliges Gefühl überkommt, eine Ahnung von Lagerfeuer und Wolldecken im Winter, von Dolce Vita und Cocktails am Abend im Sommer. Das hat immer etwas von einem gediegenen Private Members’ Club in London.

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Aber Urquiola liebt auch frische Farben und auffallende Muster. Und sie hat als Architektin die Souveränität und den Wagemut, beides auf überraschende Art miteinander zu verbinden. Sie hat aus dem Stue eines der Hotels gemacht, die man in den Metropolen Europas mit der Lupe suchen muss: ein Hotel, in dem man eine Geborgenheit spürt, von der man nicht gedacht hätte, dass man sie nötig hat; und das einen gleichzeitig auf eine Weise anregt, auf die man als durchschnittlich kreativ begabter Mensch nie gekommen wäre. In dem Restaurant hängen über den Tischen Kupferlampen und Kupferpfannen. Und von den Zimmern aus sieht man die Baumwipfel des Tiergartens. Mehr kann man von einer Bleibe in einer fremden Stadt nicht wollen.
SO/ Berlin Das Stue
Drakestraße 1, 10787 Berlin, Tel. +49 30 311 72 20
Bauzeit: 1938–1940
Architekt: Emil Schaudt
Baustil: monumental neoklassizistisch
Umbau: 2009–2012
Architektin: Patricia Urquiola
Zimmer ab 300 Euro, Junior Suite ab 500 Euro, Suite ab 730 Euro.
Park Inn by Radisson Berlin Alexanderplatz
Das Hotel Stadt Berlin gehörte zur zweiten Kategorie der Interhotels – das war die Luxus-und-Devisenklasse der DDR-Gastronomie. Die 1037 Zimmer waren vor allem gedacht für Gäste des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes und jene aus Ländern des „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ – de facto: hauptsächlich aus der Sowjetunion. Sie verfügten nicht nur über alle Einrichtungen zeitgemäßen Komforts, sondern angeblich auch über gut funktionierende Abhöranlagen mit direkter Verbindung zu aufmerksamen Stasi-Mitarbeitern.

Architektonisch orientierte sich der Bau von Roland Korn, Hans Erich Bogatzky und Heinz Scharlipp am internationalen Stil von Bauhaus- und New-Bauhaus-Tradition. Daran hat sich wenig geändert: Die Fassade des Hochhaus-Riegels und des angrenzenden dreistöckigen Flachbaus ist gekennzeichnet durch eine klare Gliederung von vertikal und horizontal verlaufenden Fensterbändern.
Mit der umliegenden Randbebauung gehörte das Hotel zur 1964 begonnenen Neugestaltung des Alexanderplatzes – im weitesten Sinn, denn diese Planungen reichten streng genommen von der Karl-Marx-Allee über das Marx-Engels-Forum (1974/75) bis zum Palast der Republik (1976) auf der Spreeinsel.
Hier war man immer mittendrin, auch am 4. November 1989, als zu Füßen des Hotels die größte nicht staatlich gelenkte Demonstration in der Geschichte der DDR stattfand. Bis zu 500.000 Menschen hörten die Reden von Bürgerrechtlerinnen, Schriftstellern und Schauspielern wie Jens Reich und Marianne Birthler, Christa Wolf, Stefan Heym, Ulrich Mühe oder Jan Josef Liefers, aber auch vom SED-Politiker Günter Schabowski. Fünf Tage später fiel die Mauer.

Im Jahr 1993 übernahm die Interconti-Gruppe das 125 Meter hohe Hotel und benannte es in Forum Hotel um. Die Gebäude wurden saniert, die Zimmer umgestaltet. Seitdem präsentieren sie sich in jenem Mix aus Alt und Neu, aus Vintage-Design und aktuellen Entwürfen, der deswegen so beliebt ist, weil er etwas von gelebtem Leben hat, von etwas natürlich Gewachsenem. 2003 wechselten die Besitzer erneut, seitdem heißt das Hotel „Park Inn by Radisson Berlin Alexanderplatz“.
Zwei Jahre darauf erhielt das Haus eine neue Glasfassade, und es stieg in die Top Ten der umsatzstärksten Hotels in Deutschland auf. Nachdem es damals schon 53 Suiten zu bieten hatte, kamen beim Umbau 2018 auf der früheren Event-Etage im 37. Stock noch 16 Sky-Suiten und eine exklusive Lounge hinzu.
Während der Arbeiten stießen Handwerker auf einen Gruß aus der Vergangenheit: Hinter Rigipsplatten verbarg sich ein spektakulär wandfüllendes abstraktes Mosaik aus reliefierten Keramik- und Glasfliesen in leuchtenden Farben, eine Arbeit der Künstlerinnen Gertraude Pohl und Gunda Walk. Das Werk, das 1970 den Roten Salon im Haus schmückte, hängt nun in der Sky-Lounge. Und ob Hotel Stadt Berlin, Forum Hotel oder Park Inn, eines ist dabei immer gleich geblieben: der grandiose Blick.
Park Inn by Radisson Berlin Alexanderplatz
Alexanderplatz 7, 10178 Berlin, Tel. +49 30 238 90
Bauzeit: 1967–1970
Architekten: Roland Korn, Hans Erich Bogatzky, Heinz Scharlipp
Baustil: Internationaler Stil/New Bauhaus
Zimmer ab 80 Euro, Panoramazimmer ab 112 Euro, Sky Suite ab 264 Euro.
Hotel am Steinplatz
Vis-à-vis das Hauptgebäude der ehemaligen Königlichen Kunstschule zu Berlin, die heute Universität der Künste heißt, und der Savignyplatz ist auch nur drei Minuten zu Fuß entfernt: Das Hotel am Steinplatz liegt dort, wo der vergnügliche Teil von Charlottenburg, also der in Kudamm-Nähe, beginnt. In den vergangenen Jahren sind etliche Kunstgalerien, die zuvor im Bezirk Mitte waren, hierhergezogen. Und Restaurants und Bars gibt es in dieser Gegend ohnehin seit jeher in Hülle und Fülle. Damit schließt sich umstandslos ein Kreis.
Die wenigsten werden wissen, welch eminente Bedeutung das Hotel am Steinplatz einmal für das Berliner Nachtleben hatte. Erbaut 1906/07, war es vom Architekten August Endell als Wohnhaus gedacht (Endell errichtete auch die Hackeschen Höfe am Hackeschen Markt in Mitte). Seitdem gilt es als ein bedeutendes Zeugnis des Jugendstils in Berlin.

Doch bald schon wurde aus dem Wohnhaus die Pension Steinplatz. Das war freilich eine Untertreibung: Diese Pension bot großzügige Zimmer und herrschaftliche Suiten, wo sich nach der Oktoberrevolution von 1917 russische Adlige gerne einmieteten. Auch die Berliner Prominenz ließ nicht lange auf sich warten. Und so gab sich in den 1920/30er-Jahren eine Mischung aus Aristokratie und Hautevolee, Schriftstellern, Filmstars und Filmsternchen am Steinplatz ein Stelldichein.
Den Zweiten Weltkrieg überstand das Hotel besser als vieles andere in der Umgebung. Bereits 1947 konnten die vier Erben des Bankiers und Erbauers des Hauses, Max Zellermayer, den Hotelbetrieb wieder aufnehmen. Zwei Jahre später schlug die Stunde des Heinz Zellermayer: Es gelang ihm, Frank Howley, den Kommandanten des amerikanischen Sektors, zu überreden, die Sperrstunde abzuschaffen. Ab da galt das Motto „Volle Pulle“ – so hieß die Bar im Keller, in der sich Schauspielerinnen und Sänger sowie Autoren trafen, darunter Romy Schneider und Brigitte Bardot, Luciano Pavarotti, Heinrich Böll, Günter Grass und Paul Celan.

Irgendwann kam der Hotspot in die Jahre, sogar buchstäblich: Aus dem Hotel wurde ein Seniorenheim. Später lohnte sich auch das nicht mehr, und das Gebäude, in dem die Berliner das Feiern bis in die Puppen wieder erlernt hatten, stand leer.
Im Jahr 2010 begann das nächste Kapitel in der Geschichte des Hauses des Bankiers Zellermayer, es war die Fortsetzung seiner alten Bestimmung mit neuen Mitteln: Es wurde wieder ein Hotel. Drei Jahre dauerten die Arbeiten, die denkmalgeschützte Fassade an der Ecke Uhlandstraße erhielt ihren charakteristischen hellgrauen Anstrich, der Innenhof wurde zum Lichthof.
Die Architektin des Umbaus, Claudia Dressler, kennt die Kundschaft eines 5-Sterne-Hotels und was diese auf Reisen sucht – Dressler war auch für das Trianon Palace Versailles verantwortlich, eines der Waldorf-Astoria-Hotels. Für das Interieur lieferte Tassilo Bost die Entwürfe, auch er brachte reichlich Erfahrung mit anspruchsvoller Klientel mit. Er gestaltete unter anderem im Hotel Atlantic in Hamburg die Suite, in der Udo Lindenberg dauerhaft wohnt.
Im neuen Hotel am Steinplatz entstanden 87 helle, freundliche Zimmer, 16 davon als Junior-Suiten, drei als Suiten. Im Dachgeschoss gibt es nun ein Spa, im Erdgeschoss ein Restaurant, und auch die einst legendäre Hotelbar knüpft nahtlos an vergangene Erfolge an. Schon zweimal, 2017 und 2018, war sie in Deutschland „Hotelbar des Jahres“.
Hotel am Steinplatz
Steinplatz 4, 10623 Berlin, Tel. +49 30 554 44 40
Baujahr: 1906–1907
Architekt: August Endel,
Baustil: Jugendstil
Umbau: 2010–2013
Architekten: Claudia Dressler, Tassilo Bost (Interiors)
Zimmer ab 250 Euro, Junior Suite ab 455 Euro, Suite ab 655 Euro.
Rocco Forte Hotel de Rome
Dieser Name klingt – und dabei schwingt eine Menge mit: der Glanz Roms, dieses Stein gewordenen Schichtenmodells von mehr als 2000 Jahren imperialer Architektur. Dazu kommen französische Lebensart, Genuss und kulinarische Abenteuer. Als der britische Unternehmer Rocco Forte 2006 das Hotel de Rome am Bebelplatz in Berlin-Mitte eröffnete, wusste er genau, was er tat.
Forte, von Kindesbeinen an in der Welt der Fünf-Sterne-Hotellerie zu Hause, war klar: Für ein einzigartiges Hotel in der jungen deutschen Metropole brauchte er nicht nur eine zentrale Lage, ein geeignetes Gebäude und eine exquisite Ausstattung, er brauchte auch eine Aura. Deshalb: Hotel de Rome. Und nicht etwa Römischer Hof, obwohl das historische Grand Hotel Römischer Hof, das bis zum Jahr 1910 an der Ecke Unter den Linden/Charlottenstraße stand, die Namensgebung zweifellos inspirierte.

Der Standort zwischen Oper, St.-Hedwigs-Kathedrale und der Knobelsdorff’schen Königlichen Bibliothek war schon damals eine der besten Adressen der Stadt. Ursprünglich war das Gebäude als Sitz der Dresdner Bank Teil des gründerzeitlichen Berliner Bankenviertels. Die Deutsche Bank, die Berliner Handels Gesellschaft, das Bankhaus Magnus, Mendelssohn & Co. und Hugo Oppenheim & Sohn – sie alle waren in diesem Viertel vertreten. Nach 1945 zog erst ein Kino ein, dann die Bezirksleitung der SED und die Staatsbank der DDR.
Ab 1990 teilte das hundert Jahre zuvor vom Architekten Ludwig Heim im Stil der Spätrenaissance errichtete Gebäude mit seinen auffälligen, über zwei Stockwerke reichenden korinthischen Halbsäulen – von Fachleuten Kolossalordnung genannt – das Schicksal so vieler anderer in Berlins Mitte: Es stand die nächsten zehn Jahre leer.
Trotzdem: Seine Vergangenheit schadete ihm nicht, als man sich daran machte, es zu einem Luxushotel umzubauen. Die Zentrale einer Bank, da gehört das Repräsentative praktisch zur Serienausstattung: extrahohe Säle, dunkle Holzvertäfelung an den Wänden, Pilaster hier, gläserne Oberlichter dort. Die Architekten des Berliner Büros Aukett+Heese und Interior-Designer Tommaso Ziffer mussten eigentlich nur aufräumen und alles neu einrichten.
Und klar ist auch, dass das natürlich nicht ganz so einfach war. Eine glamouröse Atmosphäre zu schaffen, das ist nie einfach. Die Architekten widerstanden der Versuchung, das Hotel in ein historisierendes Kitschparadies zu verwandeln. Der Eingang, Empfangshalle und Rezeption, die Bar und das von Fernsehkoch Tim Mälzer geführte Restaurant Chiaro im Erdgeschoss – das alles ist in einem gehobenen, aber nicht abgehobenen international-mondänen Stil gehalten.


Die Zimmer und Suiten wurden elegant, zeitgenössisch funktional und irgendwie auch preußisch zurückhaltend gestaltet. Beim Design gibt es Anklänge an die Fünfziger- und Sechzigerjahre, an das späte Art déco eines Jean-Michel Frank, an Pop-Art und an die Achtziger.
Und es wäre überraschend, wenn das Vorleben des Hotel de Rome als Bankzentrale nicht auch ein paar üppige Stilblüten hervorgebracht hätte. Der heutige Ballsaal und seine Glasdecke mit den imposanten Lüstern, das war einmal die Kassenhalle. Das Direktoren-Zimmer von Dresdner-Bank-Gründer Eugen Gutmann ist jetzt die Gutmann-Suite. Und auch der ehemalige Tresorraum im Keller hat eine neue Bestimmung gefunden: Dort sind nun Spa und Schwimmbad des Hotels untergebracht.
Rocco Forte Hotel de Rome
Behrenstraße 37, 10117 Berlin, Tel. +49 30 460 60 90
Bauzeit: 1887–1889
Architekt: Ludwig Heim
Baustil: Neorenaissance
Umbau: 2003–2006
Architekten: Olga Polizzi, Tommaso Ziffer (Interiors),
Zimmer ab 415 Euro.
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