Wohnungen berühmter Berliner: Hübsch haben Sie’s hier

Wo und wie lebten berühmte Berlin:innen? Eine Spurensuche quer durch die Stadt.

Hier wohnte einst die Berliner Fotografin Yva: Schlüterstraße 45.
Hier wohnte einst die Berliner Fotografin Yva: Schlüterstraße 45.ullstein-bild/Martin Lengemann/WELT

Berlin-Das Werk berühmter Berliner ist mehr oder weniger bekannt. Heinrich Zilles Milieustudien. Wolf Biermanns Lieder. Die Theaterinszenierungen von Erwin Piscator. Doch wie lebten diese über ihre Zeit hinaus bekannten Berliner? Wir haben uns auf Spurensuche begeben und stellen fünf Wohnorte vor.

Fotografin Yva in der Schlüterstraße 45

„Seit einiger Zeit findet sich auch in Deutschland eine junge Lichtbildnerin, die ,des trockenen Tones‘ satt es unternommen hat, ihre eigenen und auch recht eigenartigen Wege zu gehen.“ Die Zeilen stammen von einem gewissen Hans Böhm, seine Hommage erscheint 1926 in der Zeitschrift Photofreund. Böhm stellt die Porträtfotografie des 26 Jahre alten „Fräulein Yva“ in eine Reihe mit den Arbeiten international renommierter Fotokünstler wie Man Ray und Francis Bruguière. In der für Experimente offenen Atmosphäre unter Künstlerinnen und Künstlern in Berlin kann Yva, die am 26. Januar 1900 in Berlin-Kreuzberg als Else Ernestine Neuländer (auch: Neulaender) in eine jüdische Familie geboren wurde, sich ausprobieren.

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Berliner Verlag/Coverfoto: Yva
So wohnte Berlin
Es ist ein Urbedürfnis des Menschen: ein Dach über dem Kopf. Darunter findet sich Geborgenheit aber nicht von allein. „Ein Haus wird gebaut, aber ein Zuhause wird geformt“, wie das Sprichwort besagt. Ein Zuhause in Berlin war schon immer in vielerlei Hinsicht besonders.

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Als Böhm seinen Text veröffentlicht, hat Yva – sie wird schon als Kind so gerufen – ihr Atelier an der Friedrich-Wilhelm-Straße, heute Klingelhöferstraße, 1930 zieht sie in die Bleibtreustraße. Der neue Westen gilt als the place to be. Anfangs experimentiert sie mit Mehrfachbelichtungen, dann spezialisiert sie sich auf Werbe- und Modefotografie und beliefert Illustrierte und Magazine. Ihre Arbeit erklärt sie wie folgt: „Worauf es in meinen Bildern ankommt, das ist, das Wesen der Photographie von allem fremden Beiwerk zu befreien und zugleich die künstlerischen Möglichkeiten der reinen Photographie stärker auszuschöpfen.“

Im August 1933 wird Yvas Name im Verzeichnis der Pressefotografen in der Rubrik „Ausländer und Juden“ veröffentlicht. Obwohl ein NS-Mob im April jüdische Geschäfte geplündert hatte, muss sich die Fotografin noch sicher gefühlt haben, zieht sie doch 1934 in ein repräsentatives Gebäude in der Schlüterstraße 45. Kurz zuvor hat sie den aus wohlhabender Familie stammenden jüdischen Kaufmann Hermann Simon geheiratet. Er wird der kaufmännische Leiter ihres Ateliers. Die Atelierwohnung in dem 1910/11 gebauten Haus in der Charlottenburger Schlüterstraße muss man herrschaftlich nennen: 14 Zimmer, die sich über die vierte und fünfte Etage erstrecken, ein zweigeschossiges Entrée mit Innenbalkon und dazu ein Dachgarten. Es ist eine Umgebung wie geschaffen für Yvas Modeaufnahmen.

Dieses Modell posiert auf der Treppe in Yvas Atelier in der Schlüterstraße.
Dieses Modell posiert auf der Treppe in Yvas Atelier in der Schlüterstraße.ullstein-bild/Imago

Hier entstehen viele der für sie typischen, sorgfältig ausgeleuchteten Fotografien. Und sie nutzt die Innenarchitektur der Wohnung für die Auftritte ihrer Modelle, stellt sie in Türbögen oder auf Treppen oder inszeniert sie auf dem Dachgarten. Zeitweise beschäftigt die Fotografin zehn Angestellte. Der Druck der Nazis auf Juden verstärkt sich. Yva versucht, dem zu entgehen, indem sie 1936 die Leitung ihres Ateliers der Kunsthistorikerin Charlotte Weidler, einer Freundin, überträgt.

Es ist das Jahr, in dem der 16-jährige Berliner Helmut Neustädter eine Lehre bei ihr antritt. Später wird er als Fotograf Weltkarriere machen – unter dem Namen Helmut Newton. Nachdem ihr einst wichtigster Auftraggeber, der Ullstein-Verlag, an eine Auffanggesellschaft der NSDAP verkauft worden ist, werden die dort archivierten Fotos von Yva und anderen Fotografen mit dem Judenstern markiert. Sie erhält nur noch vereinzelt Aufträge, bekommt schließlich 1938 Arbeitsverbot und ist gezwungen, ihr Atelier zu schließen. Bald darauf muss sie mit ihrem Mann das Haus verlassen. Es ist von heute aus gesehen schwer zu verstehen, warum die beiden trotzdem in Deutschland bleiben.

Erst 1941 fassen sie den Entschluss zum Auswandern, in der Zwischenzeit war Yva als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus verpflichtet worden. Doch es ist zu spät. Am 1. Juni 1942 verhaftet die Gestapo die Eheleute. Sie müssen eine Erklärung unterschreiben, durch die ihr Vermögen von 1,5 Millionen Reichsmark an die NSDAP fällt. Zwölf Tage später sitzen sie in einem Deportationszug, der das Vernichtungslager Sobibor zum Ziel hat. Einige Männer und Frauen werden nach Majdanek verschleppt. Wohin Yva und ihr Mann kommen, ist nicht bekannt. Ihre Spur verliert sich, ein Todesdatum gibt es nicht. Das Haus an der Schlüterstraße 45 wird 1942 enteignet und die Adresse der „Reichskulturkammer“.

Nach Kriegsende richtet die britische Besatzungsbehörde in dem Gebäude eine Entnazifizierungsstelle ein. Die Erben des enteigneten Besitzers verkaufen das Haus nach der Rückübertragung an den Deutschen Gewerkschaftsbund. Im Jahr 1964 zieht das Hotel Bogotá dort ein. Seine berühmte Vormieterin ehrt es mit einer Fotoausstellung im vierten Stock. Nach Schließung des Hotels 2013 nutzt der Designer Wolfgang Joop die Räume als Sitz seiner Firma Wunderkind.

Heute befindet sich hier eine Rechtsanwaltskanzlei. An Yva und ihren Mann erinnern an der Schlüterstraße 45 zwei Stolpersteine. Seit 2011 gibt es in Berlin den Yva-Bogen, es ist die Passage entlang des Stadtbahnviaduktes zwischen Hardenbergstraße und Kantstraße. Die Berlinische Galerie besitzt die Negative für 17 ihrer Werke. Yvas junger Auszubildender Helmut Neustädter, der später als Helmut Newton weltberühmt wurde, floh 1938 vor den Nazis ins Ausland. „Dass ich bei Yva lernen durfte“, sagte er mal, „war der Olymp für mich.“ Suz


Heinrich Zille in der Sophie-Charlotten-Straße 88

Heinrich Zille im Kreise seiner Familie in der Charlottenburger Wohnung in der Sophie-Charlotten-Straße 88.
Heinrich Zille im Kreise seiner Familie in der Charlottenburger Wohnung in der Sophie-Charlotten-Straße 88.ullstein-bild

Stolz blickt der Hausherr auf seine Familie. Den rechten Arm hat er in die Hüfte gestemmt, in der Linken hält er eine Zigarre. Direkt vor ihm, an einem kleinen runden Tisch, sitzen seine Schwiegermutter, links von ihm seine Frau und rechts von ihm seine Tochter. Ihm gegenüber steht sein jüngster Sohn, um den sich an diesem Tag alles dreht – er ist gerade eingeschult worden.

Das Foto oben zeigt den Grafiker, Maler und Fotografen Heinrich Zille und seine Familie, mit Ausnahme seines älteren Sohnes, im Jahr 1897. Es entstand in Zilles Wohnung in der Sophie-Charlotten-Straße 88, Ecke Seelingstraße 59 in Charlottenburg.

Das Eckhaus (rechts) ist ein typischer Gründerzeitbau, errichtet 1886: fünf Geschosse, Balkone, Stuckaturen. Das Haus war damals Teil eines bevölkerungsreichen Arbeiterviertels. Für Heinrich Zille und seine Frau Hulda ist es die vierte Mietwohnung. Ihre erste war eine Kellerwohnung in Rummelsburg (Lichtenberg), die anderen beiden lagen auch dort.

Seit 1. September 1892 wohnen sie mit ihren Kindern Margarete, Hans und Walter in Charlottenburg. Zille ist dort seinem Arbeitgeber näher, der Photographischen Gesellschaft, für die er als Zeichner arbeitet und die sich im Villenviertel Westend niedergelassen hat. Es wird allgemein angenommen, dass Zilles im vierten Stock wohnten; einem einst in dem Haus lebenden Ehepaar zufolge soll es der dritte gewesen sein. Auch die Größe der Wohnung ist nicht zweifelsfrei bekannt. Waren es drei Zimmer, wie meist zu lesen ist, oder doch fünf, sechs, weil ursprünglich die Wohnungen in die Seelingstraße übergingen?

Unstrittig ist, weil den Fotos aus der Wohnung zu entnehmen: Die Zilles wohnen gründerzeitlich bürgerlich. Dunkle Möbel – Stühle, Tisch, Vertiko mit Aufsatz – verdüstern das Wohnzimmer mit den hohen Decken, dem Stuck und den Holzdielen. Da kann auch die geblümte Tapete nichts aufhellen. Das Arbeitszimmer ist vollgestellt mit ebenfalls dunklen Möbeln und vollgehängt mit Bildern in dunklen Rahmen.

Die Wohnung tut Zille gut. Hier verbringt er die beruflich fruchtbarsten Jahre seines Lebens. Er etabliert sich als freischaffender Künstler. Vor seiner Haustür findet er das „Altberliner Milljöh“, das er in Zeichnungen, Malereien und Fotografien festhält. Als seine Frau 1919 stirbt, mit 54 Jahren, da steht für Zille fest: „Meine Wände sollen mein Heim sein, bis ich sterbe.“ Noch einige Zeit nach seinem Tod am 9. August 1929 hängt über dem Messingschild zu seiner Wohnung ein Zettel, auf den eine zittrige Hand geschrieben hat: „Bin krank. Bitte keinen Besuch.“ Mib


Wolf Biermann in der Chausseestraße 131

Biermann in seiner Wohnung. Das Foto diente auch als Plattencover seiner LP „Warte nicht auf beßre Zeiten“.
Biermann in seiner Wohnung. Das Foto diente auch als Plattencover seiner LP „Warte nicht auf beßre Zeiten“.Roger Melies

Wer sitzt denn da unter den Bildern? Mit jedem Blick, den wir auf das Plattencover (oben ein Ausschnitt) werfen, werden es mehr Menschen. Zwei, vier. Auf dem Sofa sitzt ja noch jemand. Und zu wem gehören die Füße unterm Tisch?

Außer Wolf Biermann, der in einem Hemd, rot wie die Arbeiterfahne, selbstbewusst in die Kamera blickt, verstecken sich die Besucher seines Universums. Wir sehen das Wohnzimmer in Biermanns legendärer Wohnung, Chausseestraße 131 in Mitte, Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR, gleich gegenüber der Ständigen Vertretung, der inoffiziellen Botschaft der BRD. In dieser Wohnung traf sich die Boheme aus Ost und West: Künstler, Musiker, Schriftsteller, Journalisten, Schauspieler. Hier wurde gefeiert, musiziert, diskutiert. Und hier nahm Biermann, der ab 1965 mit einem Auftritts-und-Publikations-Verbot gestraft war, seine Platte „Chausseestraße 131“ auf.

Die Aufnahme schmuggelte er in den Westen, wo sie ein Riesenerfolg wurde. Einer der Großen der deutschen Fotokunst, Roger Melis, hat das hier abgebildete Plattencover inszeniert und geschossen. „Warte nicht auf beßre Zeiten“ heißt die LP, im Jahr 1973 wurde sie im Westen veröffentlicht. Die Einrichtung ist schnörkellos: Klavier, Ledersofa, Ledersessel, Stellagen, Bilder, Fotos. Mittendrin steht ein Tisch, der mit weißem Spießer-Kaffeeservice samt Kerze eingedeckt ist. Kaffeekränzchen bei Künstlers.

Merkwürdig ist das Arrangement der Personen. Außer Biermann erkennen wir kein Gesicht. Mittig im Bildvordergrund die Rückseite eines Sessels, lange blonde Haare fallen über die Lehne. Der unbekannten Frau gegenüber zwei Personen auf einem schweren Ledersofa. Eine Frau in weißer Bluse hält sich ein Buch vor die Augen. Rechts neben ihr sitzt ein Mann mit Händen auf dem Kopf gefaltet. Er ist durch die blonde Frau im Vordergrund verdeckt. Rechts davon, man kriegt fast einen Schreck, zeigen sich zwei Hände auf den Armlehnen eines Sessels. Und auf dem linken Sessel sitzt offenbar ein Mann, verdeckt von Biermann, der gerade zu einer Bierflasche greift. Und nun wird es absurd. Auf dem Fußboden, riesiger Orientteppich, wahrscheinlich Vorkriegsware, liegen zwei Füße überkreuz, in hellen Socken und feinen Lederschuhen. Was, um Himmels willen, war da bei Biermann los? Haben die wirklich nur Kaffee getrunken?

Biermann wusste sich zu inszenieren und drehte kunstsicher den Spieß gegen seine „Freunde“ von der Stasi um. Der Liedermacher wusste, dass „der Verein“ ihn überwachte, und begehrte mit diesem Cover dagegen auf. Der Subtext war klar: Ich mache Lieder, viele hören mich, die Platte kommt im Westen raus, und im Osten ist sie auf dem Schwarzmarkt zu haben. Fuck you, VEB Horch und Guck! Ilk


Rahel Varnhagen von Ense in Jägerstraße 54, Französische Straße 20 und Mauerstraße 36

Eine Zeichnung der Rahel Varnhagen von Ense um 1810
Eine Zeichnung der Rahel Varnhagen von Ense um 1810IMAGO/Leemage

Goethe ist beeindruckt, als er sie 1795 kennenlernt. Als „ein Mädchen von außerordentlichem Verstand“, charakterisiert er sie, „stark in jeder ihrer Empfindungen und dabei leicht in ihren Äußerungen“. Rahel heißt die 24-Jährige, die Berlinerin schickt sich an, die berühmteste Salonnière ihrer Zeit zu werden. Ein Leben als Hausfrau und Mutter haben die Eltern für Rahel vorgesehen. „Mir wurde nichts gelehrt“, schreibt sie, „ich bin wie in einem Walde von Menschen erwachsen.“

Als bedrückend empfindet sie ihr Dasein als Frau und Jüdin, das ihr eine akademische Bildung und die intellektuelle Teilhabe an der Gesellschaft verwehrt. „Ich verstell’ mich, artig bin ich, daß man vernünftig sein muß, weiß ich; aber ich bin zu klein das auszuhalten (...).“ Ihre erste Lebenshälfte verbringt sie in Abhängigkeit von ihrer Familie, weil sie eine arrangierte Ehe ablehnt.

In die Jägerstraße 54 lädt sie Männer und Frauen unterschiedlicher Stände und Berufe zur „Geselligkeit“. Diese Treffen setzt sie nach ihrer Heirat mit Karl August Varnhagen von Ense fort, ab 1819 in der Französischen Straße 20, ab 1827 in der Mauerstraße 36. „Meine Gäste sind immer sehr zufrieden und loben Eßen und Abend“, schreibt sie 1821 ihrem Bruder Ludwig, „auf jedem Ende des Tisch’s ein Erdbeeren und ein Kirschenteller und Saltz und Pfepfer. alles Symetrisch alles mit weinblättern. schönen geliehen Silber, und weißem Porzelan; einigen guten Gläsern und Tassen und Tischzeug.“

Es sind illustre Geselligkeiten. Zu ihren Gästen zählen Prinz Louis Ferdinand und dessen Geliebte Pauline Wiesel, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Heinrich Heine, Fürst Hermann von Pückler-Muskau, die Tänzerinnen Fanny und Therese Elßler.

„Die kühnsten Ideen, die schärfsten Gedanken, der sinnreichste Witz, die launigsten Spiele der Einbildungskraft wurden hier an dem einfachen Faden zufälliger und gewöhnlicher Anlässe aufgereiht“, schildert Hugo Franz Altgraf zu Salm-Reifferscheidt-Raitz eine typische Geselligkeit im Hause Varnhagen. „Alle waren auf natürliche Weise tätig und doch keiner aufdringlich, man schien ebenso gern zu hören als zu sprechen.“

Rahel Varnhagen von Ense stirbt 1833 mit 61 Jahren. Ihr größtes Vermächtnis? Goethes Schwiegertochter Ottilie: „Kein Mann bestreitet uns mehr das Recht uns zu der Classe der denkenden Wesen zu rechnen.“ Mib


Erwin Piscator in der Oranienstraße 83

Die Wohnung Piscators in der Kreuzberger Oranienstraße
Die Wohnung Piscators in der Kreuzberger Oranienstraßeullstein-bild/Sasha Stone, 1928

Da hatten sich zwei gesucht und gefunden: Erwin Piscator, Theaterintendant, und Marcel Breuer, Architekt. Revolutionär kreativ sind beide. So beauftragt der eine („Es ist unmöglich, Staub aufzuwirbeln, ohne dass einige Leute husten“) den anderen („Moderne Architektur ist kein Stil, sondern eine Haltung“), in seine Berliner Altbauwohnung die Neue Sachlichkeit einziehen zu lassen. Ob sie ahnen, dass das Ergebnis Generationen von Künstlern und Kunstliebhabern begeistern und ermutigen wird? Berlin 1927.

Erwin Piscator ist einer der innovativsten Theatermacher seiner Zeit. Als Leiter der Piscator-Bühne inszeniert er Stücke mit Simultanbühnen und Filmeinspielungen. Er arbeitet mit László Moholy-Nagy zusammen, einem der bedeutendsten Lehrer an der Kunst-, Design- und Architekturschule Bauhaus, der auch Bühnenbilder entwirft. Marcel Breuer ist einer der innovativsten Möbelmacher seiner Zeit. Am Bauhaus hat er eine Reihe von Stahlrohrmöbeln entworfen. Es geht ihm darum, ganz Bauhaus-Ideal, größtmögliche Funktionalität mit ästhetischem Anspruch zu verbinden und Objekte aus gleichartigen, nur geringfügig variierten Einzelteilen zusammenzufügen.

Die Wohnung bezieht Piscator mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Hildegard Jurczyk.
Die Wohnung bezieht Piscator mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Hildegard Jurczyk.ullstein-bild/Lotte Jacobi, 1928

Die Wohnung, die Piscator mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Hildegard Jurczyk, bezieht, liegt in der Oranienstraße 83 in Kreuzberg. Breuer will helle Räume schaffen, denn dort „wirken organische Wesen intensiver“, wie er sagt. Er lässt Stuck und Flügeltüren entfernen, die Zimmer mit Spannteppichen auslegen. Das Wohnzimmer möbliert Breuer mit den Stahlrohrstühlen B5, mit Eisengarn bezogen, und mit den Satztischen B9, aus vernickeltem Stahlrohr und schleiflackierten Holzplatten gefertigt, sowie mit einem Couchtisch, dessen Stahlrohrgestell eine Glasplatte trägt. Nur die biederen Gardinen und Vorhänge passen nicht zum Breuer’schen Bild. Ein auf zwei Kufenfüßen stehender, höhenverstellbarer Tisch, der M40, dominiert das Esszimmer. Für Erwin Piscator und Hildegard Jurczyk gibt es auf dieser Bühne der Moderne kein Happy End.

Sie lassen sich 1930 scheiden. Ein Jahr später kehrt Piscator Deutschland vorerst den Rücken. Marcel Breuer emigriert 1933. In den USA baut er mit dem Bauhaus-Gründer Walter Gropius die Architekturfakultät an der Harvard University auf. Berlin? Tempi passati. Mib

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