Beate Zschäpe und der NSU-Prozess: Die Angepasste

München - Zwei der Angeklagten im Münchner NSU-Prozess, Holger G. und Carsten S., verstecken sich zu Beginn eines jeden Verhandlungstages hinter einem Aktendeckel oder unter einer Kapuze. Zwei andere Angeklagte, Ralf Wohlleben und André E., schauen in die Kameras, sitzen breit und geben mit jeder Pore zu erkennen: Wir sind wir. Wir sind anders. Und wir wollen mit euch da im Saal nichts zu tun haben. Beate Zschäpe aber, die Hauptangeklagte in dem Rechtsterroristenprozess, kommt auf die Kameras zu, dreht sich auf dem Absatz um und zeigt den Fotografen dann ihre Rückseite. Das ist kein Verstecken, das ist eine Absage.

Jeden Morgen dasselbe Ritual: Beate Zschäpe redet lächelnd und angeregt mit ihren Anwälten, ganz so, als ob es in diesem Augenblick etwas zu bereden gäbe. Die Szene gleicht jener in dem großen Wirtschaftsprozess, wo ein mächtiger Bankmanager genauso mit seinen Anwälten parlierte, dann aber die Finger zum Victory-Zeichen gegen die Menge erhob. Einen vergleichbaren Fehler hat Beate Zschäpe bisher nicht gemacht.

Die heute 37-Jährige, von ihrer Ausbildung her Malergehilfin und Gemüsegärtnerin, präsentiert sich in einem dunklen Hosenanzug , so, als hätte sie in ihrem Leben noch nie etwas anderes getragen. Das muss man erst einmal können. Die Kleidung wechselt, aber sie ist immer so, wie eine Rechtsanwältin ihre Tochter zur Prüfung schicken würde. Auch während der Verhandlung, in den Pausen, kommuniziert Zschäpe lächelnd mit ihren Verteidigern; sie hat eine lebhafte Körpersprache, redet mit den Händen, setzt ihre Arme ein, sie sucht den Blickkontakt, macht große Augen. Das ist kein Small Talk mehr. Da wirbt ein Mensch für sich, um Anerkennung.

Als das unsägliche, zynische Video gezeigt wird, in dem die Terrorgruppe mit ihren Taten prahlt, tut Zschäpe ganz so, als sei das kein Stück von ihr. Sie soll es verteilt haben. Die Mitangeklagten würdigt Beate Zschäpe kaum eines Blickes. Es scheint so, als ob sie mit ihnen nie etwas zu tun gehabt hätte. Aber als Carsten S. seine Lebensbeichte ablegt und wieder einmal mit den Nerven am Ende ist, da dreht sich Beate Zschäpe einige Male zu ihm um. Er sitzt direkt hinter ihr, sein Gesicht ist ihr nah. Und sie betrachtet ihn mit Interesse. Nicht so, wie man einen alten Bekannten ansieht, auch nicht so, wie man einen Menschen ansieht, der zum Feind geworden ist, eher wie einen Probanden.

Sie macht eine gute Figur

Die junge Frau weiß sich in Kreisen zu bewegen, die ihr bisher fremd waren. Auch in einem Gerichtssaal. Sie macht eine gute Figur.
Die Taten des NSU, über die in München verhandelt wird, die zehn Morde, für die sie als Mittäterin angeklagt ist, die Brandstiftung in Zwickau, die als Mordversuch gewertet wird, die Raubüberfälle, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, das alles scheint sehr weit weg zu sein. Es fällt schwer, sich auch nur vorzustellen, dass diese Frau im Hosenanzug, für die immer noch die Unschuldsvermutung gelten muss, mehr als ein Jahrzehnt mit Mehrfachmördern zusammengelebt hat, die vom Hass gegen Ausländer zerfressen waren. Das doch zumindest. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie dieses Trio ganz bieder Campingurlaub auf Fehmarn gemacht, mit anderen Urlaubern Karten gespielt hat, Katzen versorgt hat.

Zschäpes Katzen spielen in der Verhandlung eine große Rolle. „Vor dem Brand“, vor der Brandstiftung, hat sie sie noch aus der Wohnung gebracht. Nach ihrer Verhaftung hat sie sich als erstes danach erkundigt, wie es ihren Katzen geht. Über die Katzen hat das Bundeskriminalamt versucht, einen Gesprächszugang zu ihr zu finden, sie zu einer Aussage zu bewegen. Der Beamte, der sie zum Haftrichter gebracht hat, wurde eine Woche später mit diesem Auftrag und der ihr zunächst abgenommenen Brille, extra in die Haft nach Köln geschickt. Die „Chemie stimmte“, so der Beamte. Mit ihm hat sie sich lange unterhalten. Aber sie hat nichts gesagt.

Zum Haftrichter in Karlsruhe wird Zschäpe kurz nach ihrer Verhaftung von Zwickau aus per Hubschrauber transportiert. Soeben ist ihr verkündet worden, dass man ihr neben der Brandstiftung nun auch noch die Beteiligung an den zehn Morden vorwirft. Festgenommene, die zu ihrem Richter gebracht werden, denken normalerweise darüber nach, was ihnen bevorsteht, was sie dort sagen, was sie nicht sagen. Beate Zschäpe aber beschreibt etwas anderes; sie schreibt an einen Gesinnungsgenossen über den Flug: „Das Elbsandstein-Gebirge aus der Vogelperspektive ist herrlich und als die Dunkelheit einbrach, wirkten die Städte wie ein Weihnachtsmarkt.“
Die linken Terroristen der RAF haben einst im Gerichtssaal gewütet, getobt, geschrien, die Justiz an den Rand der Funktionsfähigkeit gebracht. Beate Zschäpe schweigt, wirbt für sich, ist brav. Dieses Abgründige an ihr macht jeden Versuch des Begreifens schwer. Sie hat eine ganz außergewöhnliche Fähigkeit, sich anzupassen; sich in jede Situation einzupassen.

Ein hoher Beamter des Bundeskriminalamtes, der sie im vergangenen Jahr aus der Kölner Haftanstalt zu einem Treffen mit ihrer Familie nach Jena transportiert hat, beschreibt am Mittwoch das Reden im Kleinbus – vier Stunden hin und vier Stunden zurück. „Es waren Gespräche in freundlicher, angenehmer und sachlicher Atmosphäre und die Zeit verging wie im Flug.“ Zschäpe war dabei in einer Form gefesselt, dass man mit einem einzigen Zug ihr die Arme eng an den Körper pressen konnte; sie trug Fußfesseln. Und doch: Die Frau sei fröhlich gewesen; sie habe sich darauf gefreut, ihre Mutter und ihre Großmutter wiedersehen zu können. Zschäpe sei wichtig gewesen, was ihre früheren Nachbarn in Zwickau über sie dachten. Über die Eltern des NSU-Terroristen Böhnhardt habe sie gesagt: „Das waren nette Leute.“ Sie habe sie gut leiden können. Nur an dieser Stelle habe sie leichte Emotionen gezeigt. Ansonsten sei sie immer ruhig und sachlich gewesen. Acht Stunden haben zwei beredte BKA-Beamte trickreich versucht, Zschäpe zu einer Aussage zu bewegen, ihr Aussagen zu entlocken. Sie habe viel geredet. Wesentliches aber hat sie nicht gesagt.

Mit ihren Anwälten, die ihr geraten haben, keine Aussage zu machen, war sie unzufrieden. Wenn sie aussage, so meinte sie, dann werde sie „umfangreich und vollständig aussagen.“ Sie sei niemand, „der nicht zu seinen Taten steht.“ Zu ihren Anwälten, so der Beamte, „hat ein Vertrauensverhältnis zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden.“

Den Kölner Dom würde sie gerne einmal besichtigen, berichtet der Beamte über Zschäpes Wünsche. Am Rhein wolle sie einmal spazieren gehen. In einem Biergarten sitzen. Dass die BKA-Beamten ihr darauf hin erklärt haben könnten, sie würden ein Zschäpe-Geständnis auch in einem Biergarten aufnehmen, wie die Anwälte suggerierten, daran konnte sich der sonst so beredte BKA-Beamte „nicht erinnern“ Wohl aber daran, dass er Zschäpe gesagt habe, es gäbe auch Anwälte, die ihrer Mandantin zu einer Aussage raten würden. Dass sie von einem Beamten als „bauernschlau“ eingeschätzt wurde, hat Zschäpe geärgert. Das sei eine Beleidigung.

Sie flirtet auf 26 Briefseiten

In der Haftanstalt gelten andere Regeln als im Gerichtssaal. Zschäpe hat dort mit anderen Menschen zu tun. Sie wird gefesselt dorthin gebracht. Sie muss ihren Hosenanzug ausziehen. Sie muss sich nackt ausziehen. Sie wird kontrolliert. Sie muss sich mit anderen Gefangenen auseinandersetzen. Die meisten Menschen leiden unter den Haftbedingungen, sie werden depressiv, zumal, wenn sie zum ersten Mal in der Vollzugsanstalt sind. Ihre gesamte Gedankenwelt kreist um ihre Situation. Beate Zschäpe kann schon heute ziemlich gewiss sein, viel länger als ein Jahrzehnt dort bleiben zu müssen. Und was tut sie? Sie flirtet in einem 26 Seiten langen Brief mit einem Gesinnungsgenossen in einer anderen Haftanstalt.
26 Seiten wollen erstmal geschrieben sein. Es ist, wenn auch nicht ganz frei von Rechtschreibfehlern, ein bemerkenswert differenzierter, reflektierender, selbstironischer, aber auch träumerischer und erotischer Text. Von Depression keine Spur: „Was soll ich sagen, das ist mein Leben, die Bürde muss ich erhobenen Hauptes tragen. Eine Reise durch den Wahnsinn, durch Licht und Dunkelheit.“

Ihre Gemütssituation vor Prozessbeginn beschreibt sie so: „Gestern war ich zu sehr auf Krawall gebürstet, meine Schimpforgien hätten dir Schwindelgefühle bereitet. Heute bin das reinste Sonnenscheinchen, die Ausgeglichenheit in Person.“ Zschäpe deutet an, dass sie eine lange Haft für möglich hält. Die sei „tragbar“, auch „ohne sich zu verlieren“. Nur die Hafträume in Köln, sagt sie den BKA-Beamten, seien mit 18 Grad zu kalt und es gebe auch nur kaltes Wasser. Und die Thüringer Bratwurst, die könnten nur die Thüringer richtig machen. Bei ihrem Ausflug nach Thüringen habe sie leider aber nur Königsberger Klopse bekommen.

Wer das Abgründige an Beate Zschäpe nicht begreifen kann, muss sich erinnern. Was immer dieser Frau am Ende juristisch nachgewiesen werden kann, es hat in Deutschland schon einmal politisch motivierte Gewalttäter gegeben, die zugleich biedere Bürger waren. In der Zeit des Nationalsozialismus haben Familienväter, die zuvor unauffällig waren, als es ihnen erlaubt war, tagsüber Menschen gequält und ermordet, abends mit ihren Kindern gespielt – und sich danach als Mitläufer in einer gewandelten Gesellschaft erneut völlig angepasst verhalten. Der terroristische NSU hat ein Umfeld gehabt, das solche Gewalt erst für gut geheißen und die Gewalt so provoziert hat. Er hat Unterstützer gehabt, die die Täter gedeckt haben.

Ausgerechnet die zur Gewalt bereiten Rechtsextremisten glauben, gute Deutsche zu sein. Sie hätten damit gerechnet, eines Tages aufzufliegen, hat Beate Zschäpe den Ermittlern verraten. Jetzt könne sie wieder ruhiger schlafen.
Die Anpassung ist eine deutsche Tugend. Sie erklärt nicht alles. Aber sie kann eine furchtbare, eine verhängnisvolle Eigenschaft sein.