Beim Ball am Sonnabend bleiben die Adligen unter sich, den Rest des Jahres mischen sie sich lieber unters Volk: Kein leichter Stand

Spätestens bei der Quadrille wird am Sonnabend abend alles wieder ein wenig sein wie einst: Wenn sich Herren und Damen gegenüberstehen, einen Schritt nach vorn machen, und einen zurück, Karrees bilden und wieder auflösen, alles nach dem Kommando "Maitre de Plaisir" der abwechselnd "traversez!" ruft, "chassez!" oder "visitez!". Nicht alle 160 Ballgäste im Hotel Interconti werden den 250 Jahre alten Tanz, eine Art noblen Squaredance, beherrschen. Aber ein paar von den Jungen haben sich extra getroffen in den vergangenen Wochen und geübt.Am Sonnabendabend ist Kurmärkerball im Hotel Interconti, wie jedes Jahr im Januar. Die Menschen, die ihn besuchen, haben gemeinsam, dass sie ihre Vorfahren ein wenig besser kennen als sonst üblich, und dass fast alle ein "von" im Namen tragen. Der Kurmärkerball ist das traditionelle jährliche Treffen der Adligen aus Berlin und Brandenburg. Vor dem Krieg fand es im Hotel Adlon statt, danach zog man etwas ratlos umher, seit ein paar Jahren wird im Interconti gefeiert.Organisiert hat den Ball, wie auch in den vergangenen drei Jahren Heidi Freifrau von Kettler, die Vorsitzende der Vereinigung des Adels in Berlin und Brandenburg. Beim Anblick der sich drehenden Paare in Smoking, Frack, Uniform und bodenlangen Abendkleidern, wird sie vielleicht denken, dass es sich doch lohnt: den Ball zu organisieren, und die Landpartien ins Riesengebirge oder nach Breslau, und Zugezogene dem Deutschen Adelsblatt bei Hildesheim zu melden.Während des Jahres beschleicht sie immer wieder das Gefühl, dass es doch eine reichlich undankbare Aufgabe ist, der örtlichen Adelsvereinigung vorzustehen. Denn vor allem jüngere Menschen scheinen sich nicht mehr so recht was daraus zu machen, dass ihre Vorfahren Bedienstete des Kaisers waren, oder Ritter, dass sie Steuern erheben durften, und in Schlössern lebten. "Vor allem die jungen Leute haben oft anderes zu tun, als sich für ihre Herkunft zu interessieren." 220 Mitglieder hat die Vereinigung, nur ein kleiner Teil der Adligen, die in Berlin und Brandenburg leben. Niemand weiß, wie viele es tatsächlich sind, denn es gibt "vons" im Namen, die dort aus anderen Gründen hineingeraten sind, mit nobler Abstammung jedenfalls nichts zu tun haben. Und es gibt das wahre Übel, Freifrau von Kettler nennt es den "Pseudoadel". Der wächst und bedroht den Kreis der Blaublütigen seit 1919: Da wurde, was die edle Herkunft belegt, zu einem bloßen Bestandteil des Namens und kann damit wie dieser weitergereicht werden. Eine Gräfin kann nun aus Herrn Müller einen Grafen machen. Vorher durfte sich dem Stand nur zugehörig fühlen, wer ehelich vom adeligen Vater geboren war oder die Bürgerliche, die ein Adeliger zur Frau nahm. Der Standesbewusste hat aber eine Instanz im Regal, die hilft, der Konfusion Herr zu werden: Wann immer Heidi von Kettler wissen muss, ob sie es mit Sein oder Schein zu tun hat, greift sie zum "Genealogischen Handbuch des Adels", das das Adelsarchiv in Marburg betreut. Zuweilen scheint es der Freifrau, als wäre eine Genealogie des Scheinadels mittlerweile angemessener.Zwar sind in den vergangenen Jahren viele, auch viele echte, Adlige nach Berlin gezogen. Doch haben die anscheinend keine rechte Lust, das schon als Grund zu sehen, Zeit miteinander zu verbringen. Natürlich, Namen mit dem immer noch bedeutungsvollen "von" tauchen öfter in Klatschkolumnen auf als früher. Maya von Hohenzollern, ihr Mann Ferfried, Tini Gräfin Rothkirch, die Chefin des Dorinth-Hotels, Isa Gräfin von Hardenberg, der eine der bekanntesten Event-Agenturen gehört - sie haben die Rolf Edens des alten Westberlin auf der gesellschaftsbühne ersetzt.Man könnte aber sagen, dass die Vorsitzende der Vereinigung des Adels die Eventkultur und die Teilnahme des Adels daran mit Skepsis verfolgt. Die Zusammenkünfte, an denen ihr liegt, würden in den Klatschspalten gar nicht erst auftauchen, weil es eben darum geht, unter sich zu bleiben, und das zu pflegen, was die Statuten der Adelsvereinigung die "Kräfte und Tugenden" des abgeschafften Standes nennen. Man sieht es der Witwe eines Juristen an, dass für sie zu diesen Tugenden vor allem Bescheidenheit und Diskretion zählt. Die Haare zum Dutt hochgesteckt, in blauweiß gestreifter Bluse, an den Ohren zarte Perlen, sitzt sie auf dem Biedermeiersofa ihrer Steglitzer Wohnung. In den 60er-Jahren ist sie mit ihrem Mann aus Schleswig-Holstein nach Berlin gekommen, seitdem ist sie in der Adelsvereinigung aktiv.Was sie erhalten will, ist "diese gewisse Kultur, miteinander umzugehen". Wie nach Hause zu kommen sei es, bei einer anderen Familie von Stand zu Gast zu sein. Darum ist sie auch für die standesgemäße Heirat: "Man versteht sich eben sofort". Die jüngere Generation habe, durchaus verständlicherweise, anderes im Sinn. Die meisten zumindest. Nicht Konrad von Kloeden, der zwar schon 36 Jahre alt ist, aber dennoch Jugendsprecher der Adelsvereinigung. "Weil ich gefragt wurde, ob ich es mache", sagt er. Sich nicht in Ämter zu drängen, sondern zu warten, bis sie einem angetragen werden, kann durchaus auch als adlige Eigenschaft gelten. Zu den Aufgaben des Jugendsprechers gehört es, zu einem Adelsstammtisch einzuladen. Einmal im Monat reserviert Konrad von Kloeden, der den vom Vater gegründeten Spielzeugladen an der Wielandstraße führt, einen Tisch in einem Restaurant am Kudamm. Manchmal kommen zehn, manchmal 20, und es kommt vor, dass der Älteste der Jungen, für die das Treffen sein soll, um die 40 Jahre alt ist. Vielleicht, sagt von Kloeden, kommen die Jungen zu seinen Treffen und auch auf die Bälle nicht gern, weil sie glauben, es würde steif zugehen, man müsse sich benehmen und tanzen können. Immerhin, den Berliner Stammtisch gibt es noch, der in München hat sich aufgelöst.Er sagt, für ihn sei es eine Art Flucht nach vorn gewesen, sich der eigenen Vorfahren zu besinnen. Er sagt auch "wir kommen aus dem Spessart" und meint die Ahnen, die vor über 900 Jahren in die Mark Brandenburg eingewandert sind. Seit fünf Generationen ist die Familie in Berlin. Eine Flucht nach vorn, weil er das "von" im Namen als Kind als Stigma empfunden hat. "Man fällt auf, und kann nichts dagegen tun." Darum habe ihm "Harry Potter" so gut gefallen, weil der auch Außenseiter ist, und oft verlegen, obwohl er stolz sein könnte auf seine Herkunft. Konrad von Kloeden kommt sich nicht mehr albern vor, wenn er zur Quadrille hüpft. Er wird mittanzen, am Sonnabend."Bald brauchen wir wohl ein Handbuch des Scheinadels. " H. v. Kettler, Adelsvereinigung Berlin/Brandenburg.BERLINER ZEITUNG/GERD ENGELSMANN Aristokraten unter sich: Konrad von Kloeden in seinem Spielwarenladen an der Wielandstraße.