Berliner Landgericht sah kein vorsätzliches Handeln: Freispruch für Münchener "Auto-Geher"
Der Münchener "Auto-Geher" Michael Hartmann ist gestern vor dem Berliner Landgericht erstmals vom Vorwurf der Sachbeschädigung freigesprochen worden. Der 30jährige Gegner von falsch geparkten Autos hatte 1995 in Kreuzberg bei einer Aktion gegen die "todbringenden Automobile" eine Delle in der Kühlerhaube eines Opel Vectra hinterlassen.Er springe durchschnittlich einem Auto pro Tag aufs Dach und auf die Haube, rechnete der bekennende Fußgänger gestern dem Gericht vor. Aus Protest gegen die Falschparker, die rücksichtslos die Lebensqualität der Bürger einschränkten. "Der Bürgersteig ist nur für die Bürger zum Steigen da", erläuterte Hartmann seine Position. Und so sei er 1988 auf die Idee gekommen, Falschparker auf seine Art zu ignorieren. Seitdem "steigt" er über im Weg stehende Autos hinweg und macht selbst vor Einsatzwagen der Polizei nicht halt. Bis zu 80 Millionen Mark im Jahr könnte die Münchener Stadtverwaltung durch Bußgelder von jenen einnehmen, die auf dem Bürgersteig parken. Michael Hartmann stand bereits zum vierten Mal als "Auto-Geher" vor Gericht. "Carwalking - das ist mein Beruf", gibt er an. Ungläubiges Staunen beim Vorsitzenden Richter. Dann die Nachfrage: "Ist das ihr einziger Beruf?" "Na ja", räumt der Angeklagte mit ernster Mine ein, zeitweise würde er auch Kreuzungen diagonal überqueren. Im Oktober 1994 habe er seine "Berufung zum Beruf" gemacht. Mit seinen regelmäßigen "Carwalking"-Seminaren würde er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Zu einem solchen Seminar war Hartmann auf Einladung des Fußgängerschutzvereins "Fuss e.V." zum Beispiel auch im Juni 1995 nach Berlin gekommen. Etwa 50 bis 70 Leuten zeigt Hartmann während einer solchen einstündigen "Schulung", wie man ein Auto überqueren kann, ohne Schäden zu hinterlassen: Rauf auf die Kühlerhaube, dann quer übers Dach, auf den Kofferraum und dann mit einem Sprung wieder nach unten. "Das ganze geht ziemlich schnell."An der Geschwindigkeit soll es auch gelegen haben, daß der Opel am Chamissoplatz in Kreuzberg eine Beule bekam. "Ganz ungewollt", wie Hartmann vor Gericht beteuerte. Denn sonst mache er seine Sache immer perfekt, rechtfertigte sich der Angeklagte. Das Blech sei weicher gewesen, als er vermutet habe. Aber als Hartmann es merkte, war es zu spät: "Wenn Sie einmal angefangen haben, können sie nicht mehr aufhören." Auch eine Richtungsänderung sei nicht mehr möglich gewesen, erläuterte der Münchener den Richtern. Und versicherte zudem: "Ich versuche immer, leichtfüßig über die Autos zu gehen. Niemals trete ich auf die einen Zentimeter erhöhten Kanten der Motorhaube, weil ich weiß: Das gibt eine Delle." Zur Anschauung erzählte er von einem "überstiegenen" Jaguar, den er am nächsten Tag wieder gesehen hätte. "Kein einziger Kratzer. Nur die staubigen Fußabdrücke waren immer noch da."Das Gericht entschied gestern zu Hartmanns Gunsten. Im Februar war der Münchener vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen "fahrlässiger Sachbeschädigung" zu einer Strafe von 750 Mark verurteilt worden. Gestern gewann er die Berufungsverhandlung. Selbst der Staatsanwalt folgte dem Antrag der Verteidigung und forderte im Plädoyer die Aufhebung des Urteils."Nicht alles was verboten ist, ist strafbar", begründete der Vorsitzende Richter gestern das Urteil. Zwar müsse niemand dulden, wenn jemand über die Kühlerhaube seines Privatautos spaziere. Aber höchstwahrscheinlich sei es nicht die Absicht des Angeklagten gewesen, das Auto zu beschädigen. Und daher gelte in diesem Fall der Rechtsgrundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten." +++