Berliner Patientenbeauftragte: „Ohne Scheu als Querulant erscheinen“

In mindestens 630 Fällen sind Patienten in Berlin und Brandenburg 2013 fehlerhaft behandelt worden. Das sind mehr als ein Drittel aller 1 638 begutachteten Beschwerden. Von sich aus geben Ärzte kaum einmal Fehler zu. Doch Karin Stötzner, Patientenbeauftragte des Berliner Senats, verweist auf die neue Regelung, wonach sie bei einem Verdacht Auskunft geben müssen.

Frau Stötzner, worüber beschweren sich Patienten am häufigsten?

Es gibt viele Beschwerden über die zahnärztliche Behandlung. Auch die Versorgung von Menschen mit Demenz läuft nicht immer gut. Im Krankenhaus sind es Operationen sowie nicht abgestimmte Prozesse etwa zwischen Behandlung und Nachsorge.

Weshalb kommt es zu Fehlern?

Die starke Ökonomisierung in den Kliniken, die zu immer mehr Leistungen einerseits und zu einem Personalabbau andererseits führt, ist einer sicheren Versorgung nicht dienlich.

Gilt das auch für niedergelassene Ärzte?

Es gibt sehr viele engagierte Mediziner, aber ihre Einkommenssituation spielt natürlich bei der Behandlung eine erhebliche Rolle. Patienten werden weggeschickt, wenn das Budget erschöpft ist, oder sie müssen lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

Gilt es auch als Behandlungsfehler, wenn ein Krebsverdacht besteht, der Patient aber erst sechs Wochen später im CT untersucht wird?

Ja, etwa dann, wenn Patienten sich selbst einen Facharzt suchen müssen. In einem dringenden Verdacht sollte der überweisende Arzt das machen. Andernfalls ist das geteilte, arbeitsteilige Verantwortungslosigkeit. Oft interessiert sich der Kardiologie nur für seinen Bereich, ohne wissen zu wollen, was der Neurologe herausgefunden hat. Ich plädiere daher für einen Patientenbrief, in dem alle Diagnosen und Therapien in der Hand des Patienten zusammengefasst sind.

Wie können sich Patienten wehren?

Sie können direkt klagen oder sich an die Ärztekammer wenden. Auch Krankenkassen müssen ihre Versicherten unterstützen. Das neue Patientenrechtegesetz regelt, dass Ärzte verpflichtet sind, Patienten zu informieren, wenn etwas falsch gelaufen ist. Leider nur auf deren Nachfrage. Das sollten die Patienten bei einem Verdacht immer tun und sich nicht scheuen, als Querulant zu erscheinen. Wenn etwa bei einer Operation ein Nerv durchgeschnitten wurde, könnte bei einem frühen Eingreifen schneller auf mögliche Fehlentwicklungen reagiert werden. Aber bei einem Prozess sind es noch immer die Patienten, die Fehler nachweisen müssen.

Ist das nicht sehr schwer? Ärzte neigen ja eher nicht dazu, Patienten gegenüber Fehler einzugestehen.

Die Kliniken halten Ärzte oft davon ab, weil sonst das Haftungsrisiko bei Schadensersatzforderungen erhöht wird. Daher wird ein Arzt auch auf Nachfrage nur sagen, dass die Operation kompliziert verlaufen ist. Es ist daher sehr wichtig, alle Dokumente kopieren zu lassen und auch Zeugen zu notieren: Zimmernachbarn, Schwestern, Angehörige.

Das Gespräch führte Thorkit Treichel.