Besserer Schutz für Anwohner gefordert: Fluglärm-Streit erreicht Bundesregierung
Berlin/Frankfurt a. M. - Angesichts des erbitterten Streits um Flugrouten am künftigen Berliner Hauptstadt-Airport BER sowie am Flughafen Frankfurt a. M. wächst der Druck auf die Bundesregierung, die Bewohner der betroffenen Gebiete besser vor Fluglärm zu schützen. Die Planung von Flughäfen und -routen müsse in dieser Hinsicht von Grund auf reformiert werden, heißt es in einem Sondergutachten des einflussreichen Sachverständigenrats für Umweltfragen, das am Mittwoch der zuständigen Ministerin Barbara Hendricks (SPD) übergeben wurde.
„Der deutsche Luftraum ist einer der verkehrsreichsten der Welt“, sagte der Vorsitzende des siebenköpfigen Expertengremiums, der Clausthaler Umwelttechnik-Professor Martin Faulstich. Pro Tag gebe es hierzulande mehr als zehntausend Flugbewegungen, auch in den kommenden Jahren sei eine weitere Zunahme des Passagier- und Frachtverkehrs zu erwarten. Für die Anwohner von Flughäfen werde das mit weiteren Belastungen einhergehen.
Im Großraum Berlin hatten Hunderttausende Bürger in den vergangenen Jahren überraschend zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihre Häuser mitten in An- und Abflugschneisen des geplanten neuen Großflughafens am südlichen Stadtrand liegen werden. Im Genehmigungsverfahren für den Neubau in Schönefeld hatten diese Routen keine Rolle gespielt. In Frankfurt a. M. und Umgebung gibt es ebenfalls Ärger um Flugrouten. Die betroffenen Bürger fürchten nicht nur um ihre Ruhe am Tag und in der Nacht, sondern häufig auch um ihre Gesundheit.
Die Umwelt-Sachverständigen fordern nun unter anderem, dass Flugrouten künftig „so weit wie möglich“ Teil der Planfeststellungsverfahren werden sollen. Sie sollten grundsätzlich einer verpflichtenden Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden, die auch eine Beteiligung der Öffentlichkeit mit einschließt. Das Verkehrsministerium hatte am Dienstag unter dem Druck der EU-Kommission bereits eine derartige Gesetzesänderung in Aussicht gestellt. Der Sachverständigenrat will jedoch noch weiter gehen: Nach seiner Auffassung sollten auch die sogenannten Einzelfreigaben strikt begrenzt werden, mit denen die Flugsicherung den Piloten ein Abweichen von den offiziell festgelegten Flugrouten gestattet.
Allmählicher Kapazitätsausbau
Solche Freigaben würden oft regelmäßig erteilt, sodass faktisch weitere Routen mit enormer Lärmbelästigung entstanden seien, monierte der Berliner Jura-Professor Christian Calliess. Dies gelte insbesondere für den völlig überlasteten Flughafen Berlin-Tegel: Laut einer internen Betriebsanweisung der Deutschen Flugsicherung dürfe bei Abflügen ab einer Flughöhe von rund 1?500 Metern generell eine abweichende Einzelfreigabe erteilt werden. Das nutzten die Piloten auch aus, um schnell in Richtung ihres Flugziels abzudrehen. Sie sparen auf diese Weise Zeit und Treibstoff.
Die interne Anweisung der staatlichen Flugsicherung sei „als rechtswidrig anzusehen“, heißt es in dem Gutachten. Die Fachleute fordern den Gesetzgeber auf, klarzustellen, dass Fluglotsen grundsätzlich die festlegten Routen zu beachten hätten. Aus Gründen der Sicherheit müssten Einzelfreigaben grundsätzlich möglich sein, sagte Calliess – aber nicht aus ökonomischen Gründen.
Die Fachleute kritisierten zudem, dass bestehende Flughäfen derzeit durch kleinteilige Ausbauten ihre Kapazitäten nach und nach erhöhen können, ohne dass dafür förmlich Prüf- oder Beteiligungsverfahren notwendig wären. Das umgehe die verfassungsrechtlich geboten Beteiligung der Lärm-Opfer und untergrabe das Vertrauen der Bürger in staatliche Planungen, kritisierte Calliess. Er sprach von Salamitaktik und einer schleichenden Erweiterung von Flughäfen, die wiederum mehr Lärm nach sich zögen. Jede wesentliche Baumaßnahme, die auf eine Erhöhung der Kapazität abziele, sollte einer planungsrechtlichen Überprüfung unterworfen werden.