Biathlet Holger Schönthier wird von der deutschen Nationalmannschaft als unerwünschte Person behandelt: Der Nestbeschmutzer hat noch eine Chance
Vielleicht hatte ihm ja nur ein Schreiberling übel mitgespielt. Pünktlich zur Weltmeisterschaft 1995 stand in einer sportiven Boulevard-Postille zu lesen, der Biathlet Holger Schönthier (Ruhpolding) verdächtige seinen Kollegen Sven Fischer (Olympiasieger aus Oberhof) des Dopings. Und die Dinge nahmen ihren Lauf.Die schmerzerfahrenen Biathleten ernteten Schlagzeilen. Doch anders als beim von Jens Steinigen gegen den ehemaligen DDR-Auswahltrainer Kurt Hintze gewonnenen Dopingprozeß - in dem auch der heutige Bundestrainer Frank Ullrich belastet wurde - oder der Stasi-Mitarbeit einiger Athleten und Trainer, blieb der "Fall Schönthier" faktenarm und mysteriös. Schönthier bestritt zwar seine Aussagen vor dem Sportgericht des Deutschen Skiverbandes (DSV), wollte allerdings keine Ehrenerklärung für Fischer abgeben. Statt dessen alarmierte er die Anti-Doping-Kommission des deutschen Sports. Der ADK waren jedoch die Hände gebunden, da sie allein im Auftrag von Verbänden handeln kann.Fortan wurde Schönthier als Nestbeschmutzer verbannt. Olympiasieger Mark Kirchner erklärte, niemals mit ihm in einer Staffel zu laufen. Die Auswahlkollegen ließen eine Herbstüberprüfung platzen, zu der Schönthier noch vorgesehen war; woraufhin dieser ein Disziplinarverfahren gegen die Boykotteure beantragte. Doch er selbst mußte büßen: Zeitsoldat Schönthier flog aus Nationalmannschaft und Sportkompanie und landete im Bosnien-Kontingent der Bundeswehr - nur als Ersatzmann, er hatte Glück.Günstig auch der Umstand, daß der Biathlet in seinem Kompaniechef einen großzügigen Sponsor fand, der ihm Trainingszeiten gewährte. Bei den deutschen Meisterschaften 1996 holte Schönthier Bronze und gewann als B-Kader im Herbst zweimal im Europacup. Als er vor wenigen Wochen die im Trainingslager weilende Auswahl per Fax etwas steif um Verzeihung "für die Unannehmlichkeiten durch die Pressemitteilungen während der WM in Antholz" bat, hatte er die Vorgabe des Verbandes erfüllt. Er kehrte zum Weltcup in Oberhof ins Team zurück.Doch war, angeblich, im Mannschaftshotel kein Bett mehr frei, so daß Schönthier im einige Kilometer entfernten Luisenthal nächtigen mußte. Bundestrainer Frank Ullrich sah ferner keinen Grund, Schönthier an den Teambesprechungen teilhaben zu lassen, weil dieser lediglich gewisse "sportliche Qualitäten" aufweise, die "zu seiner Persönlichkeitsentwicklung" in einer "enormen Diskrepanz" stünden. "Deshalb", erklärte Ullrich, "wird der Holger Schönthier persönlich eingewiesen". Von B-Kadertrainer Remo Krug.Krug stand am Schießstand neben dem fürs Schießen verantwortlichen Bundestrainer Norbert Baier, um allein Schönthiers Fehler zu korrigieren. Als "Vorsichtsmaßnahme zu seinem und zum Schutz der Trainer" bezeichnete dies DSV-Sportdirektor Thomas Pfüller. "Stellen sie sich vor, der Baier korrigiert Schönthier, und beim zweiten Mal schießt der dann öfter daneben." Eine Katastrophe wäre dies, glaubt Pfüller. "Es würde heißen, wir hätten manipuliert."Also wurden die Kontakte weiter gegen Null gefahren. Das höchste der Gefühle: Auf der Strecke nannten sie Schönthier die Zwischenzeiten. Ansonsten versuchten die mit wenigen Ausnahmen (Baier und zwei Nachwuchsathleten) aus Oberhof stammenden Trainer und Sportler, den Namen Schönthier nicht einmal auszusprechen. Hat sich während des Weltcups das Verhältnis verbessert? Schießtrainer Baier: "Das kann ich verneinen." Bundestrainer Ullrich "Wie bitte? Mmh, ja, was soll man sagen." Staffel-Olympiasieger Sven Fischer: "Ich will dazu nichts sagen. Denn ich will fair bleiben."Holger Schönthier, unerwünschte Person im deutschen Team, tröstete sich mit Rang 23, seinen ersten Weltcup-Punkten seit drei Jahren, und damit, vom Publikum nicht ausgepfiffen worden zu sein. Das fand er "wahnsinnig toll". Die Reaktionen der Kollegen indes mochte er nicht verstehen. "Das ist doch schon zwei Jahre her." Noch nicht lang genug. "Was uns da unberechtigterweise angetan wurde," sagt Bundestrainer Baier, "ist nicht so schnell gutzumachen." Vermutlich nie.Wie soll es weitergehen? "Wir machen Leistungssport," sagt DSV-Funktionär Pfüller, "da klärt sich vieles von selbst". Soll heißen: Wenn Holger Schönthier am Wochenende in Ruhpolding nicht unter die ersten Acht kommt, hat er die WM-Qualifikation verpaßt. Dann müßte er erneut im B-Kader beim Europacup laufen, und die Nationalmannschaft wäre ihren Quälgeist wieder los. +++