BITTERFELD - Von der dreckigsten Stadt Deutschlands zur touristischen Attraktion. Rund um den Goitzschesee entstand das flächenmäßig größte Landschaftskunstprojekt der Welt.: Wildnis aus zweiter Hand
Das Naherholungsgebiet Goitzsche ist nicht nur das größte Landschaftskunstprojekt der Welt, es verfügt auch über unverwechselbare Natur, die bisweilen sogar als Wildnis bezeichnet wird. Etwa 13 der insgesamt 60 Quadratkilometer umfassenden Bergbaufolgelandschaft sind im Besitz der Stiftung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Die Stiftung, die sich seit dem Jahr 2000 für die Erhaltung und Sicherung der Natur einsetzt, betreibt dort ein Wildnis-Projekt, das von Falko Heidecke geleitet wird.Herr Heidecke, kann nach diesen tiefen Eingriffen in die Natur durch den Bergbau hier überhaupt noch von Wildnis gesprochen werden?Für mitteleuropäische Verhältnisse mit dicht besiedeltem Raum, wo es großflächig keine unberührte Natur mehr gibt, sind wir schon ziemlich nah dran an einer Wildnis. Man kann sagen, es ist eine Wildnis aus zweiter Hand. Denn Wildnis bedeutet ja nichts mehr als Natur zuzulassen, nicht planend, nicht steuernd einzugreifen, sondern sich entwickeln zu lassen. Das ist ein Prozess, der Raum und Zeit benötigt. Bisher haben sich auf den nicht sanierten Flächen wertvolle Biotope mit einer reichen Artenvielfalt entwickelt.Für welche Tierarten bietet die Goitzsche einen Lebensraum?Unter anderem sind Biber und Fischotter von der nahe gelegenen Mulde eingewandert. Seit 2004 brütet auf der Bärenhof-Insel im letzten erhaltenen Auwald-Relikt ein Seeadler-Paar. Ein Fischadler-Paar hat sich angesiedelt. Die größte Kormorankolonie Sachsen-Anhalts mit mehr als 300 Brutpaaren und eine Flussseeschwalbenkolonie mit 20 Brutpaaren können beobachtet werden.Ist es schwer, nach so vielen Jahren Bergbau eine Wildnis entstehen zu lassen?Nein, eigentlich nicht. Denn die Natur bahnt sich ihren eigenen Weg, auch auf einem so nährstoffarmen Boden, wie es ihn im Goitzschegebiet gibt. Er ähnelt stark dem nach der Eiszeit, als sich die Gletscher über den Boden gewalzt hatten. Dadurch entwickelt sich alles langsamer. Aber Tiere und Pflanzen fangen komplett von null an. Und mittlerweile kann man schon Veränderungen sehen. Da, wo vor zehn Jahren noch Wiesen voller Silbergras standen, entstehen heute kleine Wälder. Die Aufgabe des Projektes ist es, der Natur Raum und Platz zu geben.Was erinnert heute noch an den alten Tagebau?Ab und zu findet man noch ein Stück Kohle, mehr aber auch nicht. Das ist eigentlich schade, weil so die Leute die Leistungskraft der Natur vollkommen ausblenden. Wenn man nicht wüsste, dass das einmal ein Bergbaugebiet war, fällt es überhaupt nicht mehr auf.Das Gespräch führte Anne Böttger.------------------------------Foto: Falko Heidecke leitet das Wildnis-Projekt der BUND-Stiftung. Die Natur, sagt er, bahnt sich allmählich wieder ihren Weg.