Chemikalien für Syrien: Merkel verteidigt deutsche Chemielieferungen

Angela Merkel hat die frühere Ausfuhr von waffenfähigen Chemikalien nach Syrien verteidigt, die die schwarz-rote Bundesregierung in ihrer ersten Amtszeit genehmigt hatte. „Nach allen Erkenntnissen, die mir zur Verfügung stehen, sind sie für zivile Dinge benutzt worden“, sagte die Kanzlerin den ARD-Tagesthemen. Rot-Grün habe seinerzeit "sehr klar nachgeschaut", wofür die Chemikalien benutzt würden. Im Mai 2011 seien die Sanktionen gegen Syrien so verschärft worden, dass diese Art von Gütern nicht mehr exportiert werden darf. „Für die anderen Zeiten klären wir das“, versprach Merkel aufgrund der neuen Erkenntnisse. „Aber die ersten Erkenntnisse sagen: keine Nutzung für die Herstellung zum Beispiel von Sarin."

Zugleich sprach die Bundeskanzlerin von „sehr starken Indizien“ dafür, dass das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad für den Einsatz von Giftgas gegen die Bevölkerung verantwortlich ist. Sie wolle, dass die Verantwortlichen vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden. Im August waren in Syrien Hunderte Menschen mit Giftgas getötet worden. Syrien hat sich inzwischen bereit erklärt, seine gesamten Bestände an Chemiewaffen offenzulegen und zu vernichten.

Pikanterweise war am Mittwoch nun aber bekannt geworden, dass die Bundesregierung sowohl zu Zeiten der Großen Koalition, als auch unter Rot-Grün erlaubt hatte, dass Chemikalien nach Syrien geliefert wurden, mit denen auch Giftgas herstellbar war. Es handelt sich um insgesamt mehr als hundert Tonnen des Materials, heißt in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, die jetzt veröffentlicht wurde. Die Ausfuhr der sogenannten „Dual-Use“-Güter, die für zivile wie für militärische Zwecke genutzt werden können, wurde in den Jahren 2002/03 und 2005/06 genehmigt. Laut heutiger Bundesregierung wurde die Erlaubnis, die gesetzlich vorgeschrieben ist, nur unter der Bedingung erteilt, dass die Chemikalien für zivile Zwecke genutzt werden. Sie sehe auch nach erneuter Prüfung dieser Tage „keinerlei Hinweise“ auf eine andere Nutzung. Daher sei es falsch, einen Zusammenhang mit einer missbräuchlichen Nutzung für C-Waffen herzustellen.

„Vor Genehmigung sorgfältig geprüft“

Demnach lieferten deutsche Firmen in den Jahren 2002/03 insgesamt fast 40 Tonnen und 2005/06 nochmals mehr als 97 Tonnen an Syrien. Es handele sich um Fluorwasserstoff, Ammoniumhydrogendifluorid und Natriumflorid sowie Zubereitungen mit Kalium- oder Natriumcyanid. Laut Experten können die Stoffe für zivile Zwecke verwendet werden, etwa bei der Schmuckherstellung oder in der Ölindustrie. Auch zur Behandlung von Metall oder zur Herstellung von Zahnpasta kommen die genannten Chemikalien zum Einsatz. Die Bundesregierung geht davon aus, dass genau das auch mit den Lieferungen geschehen sei. In der Regierungsantwort des Wirtschaftsministeriums heißt es, die Genehmigungen seien erst nach „sorgfältiger Prüfung aller eventueller Risiken, einschließlich von Missbrauchs- und Umleitungsgefahren im Hinblick auf mögliche Verwendungen in Zusammenhang mit Chemiewaffen, erteilt“ worden.

Chemiewaffen-Experten erklärten jedoch, dass die genannten Stoffe auch zur Fertigung von Giftgasen wie Sarin genutzt werden können. Für die Linke reicht das, um den Schluss zu ziehen, dass Merkel von falschen Fakten ausgeht und das Assad-Regime die Chemikalien sehr wohl zum Waffenbau nutzte. „Deutschland ist offenkundig mitschuldig am Tod von über 1400 Kindern, Frauen und Männern durch den Chemiewaffenanschlag vom 21.08. bei Damaskus“, erklärte Linken-Spitzenkandidat Gregor Gysi sogar über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Vor einigen Tagen hatte bereits die britische Regierung eingeräumt, Chemikalien nach Syrien geliefert zu haben, die für die Herstellung von Chemiewaffen genutzt werden können. Nach einer Übereinkunft der USA mit Russland muss das Assad-Regime sein Arsenal bis zu diesem Samstag offenlegen.

Assad spricht im US-Fernsehen

Derweil setzte Syriens Präsident Assad ein Jahr und eine Milliarde Dollar Kosten für die Zerstörung der Chemiewaffen in seinem Land an. Es handele sich um ein „sehr kompliziertes Vorhaben“, sagte er in einem Exklusiv-Interview mit dem US-Sender Fox News. Assad sagte, sein Land werde dem UN-Chemiewaffenabkommen vollständig nachkommen, inklusive der Zerstörung seiner C-Waffen-Bestände. „Wenn wir als Syrien einer Vereinbarung beitreten, dann halten wir uns immer an solche Vereinbarungen“, so Assad. Er sei damit einverstanden, dass die amerikanische Regierung die Waffen zur Vernichtung in die USA bringe, wenn sie bereit dazu sei, die Kosten dafür zu tragen.

Zugleich bestritt er, dass sein Regime für den Giftgasangriff auf die eigene Bevölkerung am 21. August verantwortlich sei. „Jeder kann Sarin machen“, weshalb man es auch als „Küchengas“ bezeichne. Er wies die Schuld den Rebellen zu und nannte die Attacke ein Verbrechen.

Bis Mitte 2014 sollen die Chemiewaffen aus dem Land gebracht und zerstört werden. Experten bezweifeln aber, dass der Plan mitten im Bürgerkrieg umgesetzt werden kann.