Das Filmmuseum Berlin zeigt eine Sonderausstellung über Viscontis deutsche Trilogie: Der Trieb ist das deutsche Betriebsgeheimnis

Der italienische Filmkünstler Lucchino Visconti hat seine Faszination für den Nationalsozialismus nie verhehlt: "Der Nazismus", äusserte er 1969 in einem Interview, "übte auf mich jene Art von Terror und geheimnisvoller Anziehung aus, die der Henker stets auf sein Opfer ausübt." Ein seltsames Spiel der Identifikationen klingt in diesem Satz an, denn weder musste sich der Grossbürger Visconti als Opfer der NS-Diktatur fühlen (auch wenn er im Zweiten Weltkrieg im besetzten Rom im Widerstand gewesen war), noch ging in den sechziger Jahren von Deutschland noch Terror aus. Visconti suchte wohleher nach einer Deutung des Nationalsozialismus, die seinen ästhetischen Vorlieben und seiner mondänen Gesellschaftskritik entsprachen. Opern waren ein wesentliches Modell für seine Interpretation historischer Phänomene, denen er sich - etwa in seinem Hauptwerk "Der Leopard" - mit dem Interesse eines Choreographen und der Sensibilität des Pathetikers näherte. Auf eine ähnliche Weise entwarf er seit 1969 seine "deutsche Trilogie", drei Filme über den Todestrieb, der während der Reichseinigung ("Ludwig II", 1973) verdrängt wurde, in der Gründerzeitdekadenz ("Tod in Venedig",1971) wieder manifest wurde und schliesslich auch die Unternehmerklasse nach 1933 ("Die Verdammten", 1969) beherrschte. In einer Zeit, in der "Faschismus" für die Studentenbewegung zu einer allgemeinen Chiffre des historischen Verdachts wurde, suchte Visconti nach spezifischenTraditionslinien in den deutschen Untergang. Statt eines historischen Subjekts fand er nur die zynische Paktbereitschaft des Kapitals auf der einen, und ästhetizistische Grössenfantasien shwacher Herrscher auf der anderen Seite. Die Sonderausstellung "Götterdämmerung - Lucchino Viscontis deutsche Trilogie" im Filmmuseum Berlin zeigt seit heute Materialien zu diesem Komplex, dessen filmhistorische Wirkung kaum zu überschätzen ist. Fassbinder war von "Die Verdammten" beeeindruckt, Syberbergs "Hitler - Ein Film aus Deutschland" ist in jeder Hinsicht eine Überbietung von Visconti, und eine Reihe prekärer Filme - vor allem Liliana Cavanis "Der Nachtportier" - spekulierte in den siebziger Jahren auf den "Widerschein des Nazismus", von dem der Historiker Saul Friedländer in seiner kritischen Studie "Kitsch und Tod" schrieb. Die von Wolfgang Storch kuratierte, kleine Ausstellung spart diese Zusammenhänge aus, und beschränkt sich auf einewerkimmanente Erschliessung. Im Mittelpunkt der Ausstellung, die über zwei Räume verläuft, stehen "Die Verdammten". Es geht darin, nach dem Muster von Shakespeares "Macbeth", um die Industriellenfamilie Essenbeck, Viscontis Name für die Dynastie Krupp, über die er sich schon in den fünfziger Jahren Material aus italienischen Zeitungen ausgeschnitten hatte. Die grosse Tischgesellschaft am Abends des Reichstagsbrands, die den Film eröffnet, ist Modell für den Hauptraum der Ausstellung, die Tafel das Modell für eine Deutung des Films als Kräftespiel zwischen schwachen und starken Individuen (mit ihren unterschiedlich ausgeprägten Wunschenergien). Der Berliner Dokumentarfilmemacher Thomas Heise hat "La Caduta degli Dei" (Die Verdammten) in eine Videoinstallation mit dem Titel "Play Visconti" übersetzt. Heise bedient sich einer Verfahrensweise, die in der bildenden Kunst häufig angewandt wird, er rearrangiert das filmische Material, um dessen implizite Bedeutungen klarer hervortreten zu lassen. Viscontis Ansatz einer libidinösen Ökonomie des Nazismus wird in dieser auf mehrere Bildschirmeverteilten Montage nachvollzogen. Damit werden die Grenzen dieser Deutung auch die Grenzen der Ausstellung, die sich dieser "Götterdämmerung" mit dem Gestus der Dekonstruktion nähert, ohne deren metaphorische Wucht mit Ansätzen zu konfrontieren, die nicht auf dem theoretischen Stand von 1968 sind. Filmmuseum: "Götterdämmerung - Lucchino Viscontis deutsche Trilogie". Potsdamer Straße 2., bis 16. November., Di-So 10-18/Do 10-20 Uhr. Katalog 14,80 Euro. Kino Arsenal zeigt "Die Verdammten" am 5., 17. und 28. September. Filmrezensionen im Kulturkalender.FILMMUSEUM BERLIN/MARIO TURSI Nach dem Muster von Shakespeares "Macbeth": die Industriellenfamilie Essenbeck in "Die Verdammten".