Das Hochamt der Nachrichten, die "20-Uhr-Tagesschau", läuft Silvester zum 20000. Mal: Seriös in alle Ewigkeit
Susanne Daubner liest einfach weiter. Kein Lächeln huscht der "Tagesschau"-Sprecherin über die Lippen, obwohl sich an jenem Sonntagvormittag eine Putzkraft unter ihren Moderationstisch beugt, der Sprecherin "Guten Morgen" wünscht und - völlig unbeirrt - den Mülleimer leert. Das Video dieses lustigen Fauxpas' ist ein Hit auf dem Videoportal Youtube. Mehr als eine Million Mal wurde der Auftritt des fleißigen Reinemachers aufgerufen.Dass Frau Daubner damals gar nicht darüber lachen konnte, lag auch daran, dass die "Tagesschau" eine vor Seriosität strotzende TV-Maschine zu sein hat, komme, was da wolle. Ausnahmen wie die aus dem Februar 2000 bestätigen nur die Regel. Passenderweise ist die Szene noch im Adventskalender auf tagesschau.de zu sehen.Silvester geht die Hauptausgabe, die "20 Uhr", wie sie intern genannt wird, zum 20000 Mal über den Schirm. Start war am zweiten Weihnachtsfeiertag 1952, damals nur mit ein paar Dutzend Zuschauern. Heute sehen regelmäßig knapp über neun Millionen Menschen zu. Auch mit ihrer Jubiläumsausgabe wird die "Tagesschau" vorleben, was sie letztlich zum Erfolg führte: Sie destilliert das Wichtige des Tages auf eine überschaubare Viertelstunde. Vor allem aber zahlt sich ihr konsequenter Verzicht auf all jenes aus, das sich auf dem Boulevard herumtreibt. Die "Tagesschau" bildet damit einen Gegensatz nicht nur zu den privaten Sendungen wie Peter Kloeppels "RTL aktuell", sondern auch zu "heute" im Zweiten.Küblböcks UnfallFehlgriffe sind rar. Sie lösen zudem unweigerlich jedes Mal aufs neue Proteste aus - bei Zuschauern, vor allem aber in der Hamburger Redaktion. Chefredakteur Kai Gniffke stand nie so sehr unter Beschuss wie am 24. Februar 2004.Damals verlas Sprecher Jens Riewa - auf Betreiben seiner Chefs - die Meldung über einen Gurkenlaster-Unfall: "Der Sänger und Medienstar Daniel Küblböck ist bei einem Verkehrsunfall in Niederbayern verletzt worden." Bilder des C-Promis ("Deutschland sucht den Superstar") flimmerten über den Bildschirm. Relevant war das nicht - und so ein Patzer ist seitdem nicht mehr vorgekommen.Schon als das ZDF 1963 mit seiner Nachrichtensendung das Monopol der "Tagesschau" kippte, hinterließ das keine Spuren - "heute" setzte schon damals mehr auf Buntes und auch seine Moderatoren mehr in Szene. Auch das Jahr 1984, der Start der Privaten, stürzte das ARD-Flaggschiff nicht in die Krise. Und selbst als 1992 mit n-tv und 2000 mit N24 private Nachrichtenkanäle starteten, konnte die "Tagesschau" Kurs halten. Das Publikum spielte mit. Es sucht ganz offensichtlich das Kontrastprogramm zu den schnellen, bunten Bildern.Während die "Tagesschau" einst mit einer einzigen Sendung am Tag begann, wuchs über die Jahrzehnte auf dem Gelände des NDR in Hamburg-Lokstedt eine High-Tech-Zentrale heran. Heute denkt die Redaktion mehr in Themen und weniger in Sendungen. Das, was an Neuigkeiten aus aller Welt einläuft, wird verteilt, vor allem in die Sendungen im Ersten: Im wöchentlichen Wechsel mit ZDF-"heute" mehrmals am Vormittag in das "Morgenmagazin", in jedem Fall aber um 14, 15, 16, 17 und 20 Uhr in die "Tagesschau"-Ausgaben, in "Tagesthemen" und "Nachtmagazin", "Wochenspiegel" sowie in zwei Nachtsendungen.Die zentrale Redaktion "ARD-aktuell" steuert auch die "Tagesschau in 100 Sekunden" bei, die einst für Handys gedacht war, heute aber auch viele Internetportale wie das des Handelsblatts und der TV Movie bestückt. Außerdem folgte die "Tagesschau" dem Trend der Nachrichtenkanäle: Zum Leid der Privatsender läuft auf dem Digitalkanal EinsExtra werktags von 9 bis 20 Uhr und nun auch immer häufiger am Wochenende jede Viertelstunde eine neue Ausgabe der "Tagesschau" - live moderiert. Mit einem Computer, über die "Apps" für Mobiltelefone und auch sogenannte Hybridfernseher lässt sich zudem "Tagesschau 24" abrufen.Das alles ist immens viel, bis zu zwölf Stunden täglich. Ob das die Informationsgesellschaft alles braucht? Die Privatsender agitieren dagegen jedenfalls fleißig an, lassen aber mit echtem Gegenprogramm auf sich warten. Viel spannender ist ohnehin die Frage, wie es weitergeht. Gniffke wird seine Sendung Ende 2012 auf eine Gratwanderung schicken. Moderationstische, die wie moderne Telefone auf Berührungen reagieren, soll es dann geben, 3D inklusive.Zugutekommen soll das laut Gniffke vor allem den moderierten Nachrichtenmagazinen, den "Tagesthemen" und dem "Nachtmagazin". Die Anmutung des Klassikers will Gniffke dagegen bewahren: Durch die "20 Uhr" soll auch künftig kein Moderator, sondern ein Sprecher führen. Zu groß ist offensichtlich die Angst vor Veränderung. Vor der hat sich die "Tagesschau" schon fast sechs Jahrzehnte erfolgreich gedrückt.ZettelwirtschaftAuch deshalb erzählt die Redaktion ein paar Details aus ihrem Tagesgeschäft lieber nicht zu laut. Zum Beispiel, dass die Macher der "Tagesschau" schon vor zwei Jahren das Ende der Zettelwirtschaft eingeläutet haben. Wer genau hinschaut, der erkennt, dass auch die Sprecher der Hauptausgabe viele Passagen vom Teleprompter ablesen, der die Texte über die Linse der Kamera laufen lässt. Offiziell ist stets davon die Rede, der "Prompter" unterstütze die Sprecher lediglich, damit die in den ersten und letzten Sekunden ihrer Moderationsblöcke länger Blickkontakt mit ihren Zuschauern halten könnten. Letztlich aber spielt auch die "Tagesschau" damit nur noch jene Präzision vor, um die sie andere Sendungen beneiden.------------------------------DauerbrennerDie "Tagesschau" wurde am 26. Dezember 1952 zum ersten Mal ausgestrahlt. Die Hauptnachrichten sendet die ARD täglich um 20 Uhr. Sie dauern 15 Minuten und laufen im Ersten Programm sowie in den Dritten Programmen der ARD. Nur der Bayerische Rundfunk und der Mitteldeutsche Rundfunk beteiligen sich nicht.Am Silvesterabend zeigt die ARD die 20000. Ausgabe der "20-Uhr-Tagesschau". Die Redaktion der Sendung, "ARD aktuell" genannt, ist beim NDR in Hamburg angesiedelt. Sie ist auch für alle anderen Ausgaben der "Tagesschau" und für die "Tagesthemen zuständig------------------------------Foto: "Mr. Tagesschau" Karl-Heinz Koepcke