Der Bundestag lässt sich über die Kunstrestitution aufklären: Rückgabe soll Frieden stiften

Ohne Ernst Ludwig Kirchner hätte es diesen Nachmittag wohl nicht gegeben. Aber seit das Land Berlin im vergangenen Sommer die berühmte "Straßenszene" aus dem Brücke-Museum an die Enkelin des ursprünglichen Besitzers Alfred Hess rückübertrug, ist das Thema der Kunstrestitution in aller Munde. Es gab erregte Debatten darüber, was unter "verfolgungsbedingtem" Verlust von Kunstwerken zu verstehen ist, wie es in der maßgeblichen "Handreichung" zur Restitution heißt. Viele fürchten seither einen schweren Aderlass der Museen.Dass der Kirchner-Fall nicht glücklich gelaufen ist, die Senatsverwaltung schwere Fehler gemacht hat, dass Berlin das Bild nicht halten konnte, obwohl sehr hohe Summen zum Rückkauf geboten wurden, am Ende vor allem Christie's und ein teures Anwaltsbüro in New York profitierten - all das führte dazu, dass die Politik sich des Themas annahm. Kulturstaatsminister Bernd Neumann berief einen Expertenstab, um mögliche Änderungen und Präzisierungen der "Handreichung" auszuarbeiten. Und auch der Kulturausschuss des Bundestages hat sich intensiv - dieser Eindruck zumindest war zu gewinnen - mit der Kunstrestitution auseinandergesetzt. Gestern Nachmittag ließen sich die Parlamentarier bei einer öffentlichen Anhörung von Experten informieren. Wie sehr das Schicksal von Kunstwerken aus ehemals jüdischem Besitz einen Nerv trifft, das war daran zu sehen, dass die Zuschauerplätze bis auf den letzten Platz besetzt waren.Es ging um mancherlei Details in den zwei Fragestunden, vor allem aber ging es um Grundsätzliches. So kritisierte die Historikerin Monika Tatzkow, die seit fünfzehn Jahren ein privates Institut für Provenienzforschung führt und soeben ein Standardwerk zur Kunstrestitution veröffentlicht hat, dass der Kenntnisstand in vielen deutschen Museen über ihre Werke mit womöglich jüdischer Herkunft noch völlig unzureichend sei. Wie in den USA oder in Großbritannien sollten endlich auch die deutschen Museen endlich all ihre Verdachtsfälle ausfindig und im Internet zugänglich machen. Das muss nicht immer zum Verlust eines Bildes führen, denn nicht selten führt gerade dieses Vorgehen zu einem Hinweis, dass der Ankauf völlig unanfechtbar vor 1933 geschah.Um dieser Aufgabe der Provenienzforschung gerecht zu werden, bedürfen gerade kleine Museen der Hilfe; darüber waren sich alle Redner einig. Der Berliner Anwalt Jost von Trott zu Solz plädierte für die Einrichtung einer zentralen Instanz, etwa im Bundesamt für offene Vermögensfragen, wo Streitfälle zwischen Museen und den Erben der beraubten Familien entschieden werden könnten.Vor einer juristischen Überregulierung warnte dagegen Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die legendäre Washingtoner Raubkunstkonferenz von 1998, die die weltweite Restitutionswelle auslöste, wollte "faire und gerechte" Lösungen, die alte und neue Besitzer miteinander aushandeln sollen. Gerade den Deutschen ging es bei der Umsetzung des Washingtoner Abkommens nicht um neue Gesetze, sondern um Gesten der Befriedung und der Wiedergutmachung. Die Museen müssten sich angesichts des historischen Unrechts in ihren Häusern selbst der Verantwortung stellen und dürften diese nicht an andere Dienststellen abschieben, so Lehmann. Er schilderte bewegende Fälle, in denen er mit den beraubten Familien verhandelt und stets auch zu einer gütlichen Einigung gefunden hatte.Es gehe nicht um Verrechtlichung, sondern um Freiwilligkeit der Rückgaben, sagte Raimund Bartella vom Deutschen Städtetag. Das heißt: Es geht um menschliche Schicksale, nicht um Paragrafen.