Der erfolgreichste Ringer der Welt ruht in sich und lehnt Millionenangebote aus Hollywood ab: Lieblicher King Kong

Ihm zu Ehren hatte sich sogar IOC-Präsident Samaranch an die Matte begeben. Alexander Karelin, ein 130 Kilo schwerer Hüne aus Nowosibirsk, schickte sich an, im griechisch-römischen Ringkampf seine dritte olympische Goldmedaille in Folge zu gewinnen.Nur noch der im Iran geborene Amerikaner Matt Ghaffari stand dem Russen im Weg. Vor wenigen Jahren noch wäre das Duell martialisch zu einem Kampf der Systeme aufgebauscht worden. Gut gegen Böse. Ost gegen West. Diesmal war schon die Einmarschmusik freundlicher gewählt. Zu 'Eye of the tiger' stürmte Ghaffari unter höllischem Lärm in die mit 5000 Fans gefüllte Halle F des Georgia World Congress Centre. Karelin dagegen tapste gemächlich - wie ein russischer Bär - in die Arena. Wenig später war es allerdings der seit neun Jahren ungeschlagene Champion, der unermüdlich marschierte. Er diktierte den Kampf, Ghaffari war eigentlich nur darauf aus, ungeschoren über die Zeit zu kommen. Was blieb ihm auch anderes übrig gegen einen Mann, der ihn in 21 Duellen ebensooft bezwang? Der ihn vor Jahren einmal über seinen Kopf stemmte, dabei gelassen dem Ringrichter zuwinkte und den Amerikaner anschließend über die Matte schleuderte. Leicht und erbarmungslos. Karelin ist der erfolgreichste Ringer aller Zeiten. War sechsmal Welt- und neunmal Europameister. Hat den letzten Punkt vor fünf Jahren einem Italiener gewährt. "Der gewinnt auch mit einem Arm", sagte der Frankfurter Maik Bullmann, Olympiasieger von 1992, einmal anerkennend. Nur zweimal mußte Karelin in seiner Karriere in die Verlängerung: im WM-Finale von 1991 und schließlich Dienstag nacht in Atlanta im Kampf um Olympiagold gegen Ghaffari. Diesmal triumphierte der 28jährige Russe mit einer winzigen Wertung. 1:0 nach acht Minuten, für einen wie ihn war es fast demütigend knapp. Doch was heißt das schon? Wegen einer Schulteroperation Anfang April hatte Karelin fast drei Monate nicht trainiert. Er explodierte in Atlanta zwar nicht wie früher, Schultersiege blieben diesmal aus. Doch in Gefahr geriet der lädierte Sascha Karelin auch im Finale nicht eine Sekunde.Als es geschafft war, taumelte er erschöpft an den Mattenrand, schüttelte sich ein paar Mal und spreizte fast verstohlen drei Finger seiner rechten Hand. Die große Jubelgeste ist ihm fremd. "Er ist vielleicht nicht mehr der Alte, aber wenn du Alexander schlagen willst", hat Ghaffari hinterher resigniert festgestellt, "dann mußt du mit wilden Tieren trainieren. Am besten mit einem Gorilla. Denn Alexander ist so stark wie King Kong." Das war keinesfalls böse gemeint.Karelin grinste dazu. Er weiß, wie sehr ihn seine Gegner fürchten: "Ich möchte auch nicht in mein schreckliches Gesicht sehen." Die unter mächtigen Brauen verborgenen Augen blitzen aufmerksam und freundlich. Sein riesiger Schädel mit den weit abstehenden Ohren scheint wie aus Stein gemeißelt. Doch Karelin lächelt so sanft, daß man sofort Vertrauen zu dem Riesen faßt.Man kann sich vorstellen, wie daheim in Nowosibirsk Kinder über seinen mächtigen Leib krabbeln. Fernab von der Ringermatte muß ihn niemand fürchten. Wenn der Fight beendet ist, nimmt Karelin des Schreckens seine Maske ab. Karelin, das klingt wie Karelien. Klingt nach Weite, Moos und klarer Luft. Der Mann ruht in sich. Erschüttern kann ihn scheinbar nicht viel. Der "Zeit" hat er einmal Einblick in seine russische Seele gewährt: "Was geschieht, das geschieht. Dann ist es zu Ende, und dann fängt es wieder an. In Sibirien lebt man mit dem, was ist."In Sibirien geht Karelin fischen, jagt Bären und rennt des Winters im Training mit einem Baumstamm durch meterhohen Schnee. Karelin, das ist ein Stück Urgewalt. Der Ringer findet in seiner Heimat Kraft, er lebt in Einklang mit der Natur. Würde er diese Heimat verlassen, ahnt Karelin, zerstörte er sein inneres Gleichgewicht. Ein Filmangebot aus Hollywood gab es schon. Die Dallas Cowboys wollten ihn für die amerikanische Football-Liga verpflichten. Karelin hätte vielleicht Millionen scheffeln können. Doch er sagte allen ab. Fühlt die Pflicht, seinem Land etwas zurückzuzahlen. "Ich bin Russe. Ich habe gelernt, daß ich kein anderes Leben führen kann, als ein russisches Leben." Daran wird sich nichts ändern. "Warum soll ich etwas Neues ausprobieren?" Ja, warum eigentlich? +++