Der Fluxus-Code
Ob das geplant war? Weiße Papierflugzeuge segelten durchs Künstlerhaus Bethanien. Man hob sie auf, ließ sie noch mal fliegen. Ein jedes trug eine simple Botschaft, etwa: Lächle jeden an, den Du triffst. Alison Knowles, die große, alte Dame der New Yorker Fluxus-Szene, machte das ohnehin schon den ganzen Tag. Sie gab Interviews und lächelte. Sie sang aus dem Stehgreif und lächelte. Wie alle ihre Fluxus-Mitstreiter begann sie Anfang der Sechziger mit alltäglichen Dingen zu experimentieren. Sie cremte beim "Action Concert" sich und ihren Freunden vor dem Mikrofon die Hände mit Nivea ein und adelte den schmatzenden Ton zum Event. Heute sind von Fluxus-Aktionen der ersten Jahre nur noch Filmfetzen und Fotos zu finden.Kann man Fluxus, diese aktionistische Eruption von Happenings, Konzerten und Soireen eigentlich ausstellen? Ein sich selbst fragendes Lächeln gab es darauf bei Professor Jaroslaw Kozlowski. Er stellte sich vor die Plakate von damals, stand wie vor einer Ehrengalerie aus "akumulatory 2"- Zeiten. Es wurde offensichtlich, dass sich die späte Würdigung seiner damaligen "Netz"-Aktionen heute wie ein Who's who der Legenden liest. Zu Recht ist Fluxus ein Mythos. Es war Global Art im Kalten Krieg. Es funktionierte als internationales Kunstnetzwerk. Man tauschte Adressen, Telefonnummern, Partituren. Die Kunst war leicht, die Künstler waren listig. Keiner spekulierte auf einen Platz in der Kunstgeschichte.Viele von ihnen wurden trotzdem zu Legenden. Und heute fragt sich Kozlowski zu Recht: "Ob man sich überhaupt noch eine Vorstellung davon macht, wie viele Umwege, Tricks und Mühe wir aufbrachten, nur um uns damals allein für eine simple Druckerlaubnis an den Behörden vorbeizumogeln?" Vielleicht soll man das auch gar nicht verlangen. Die umfassende Dokumentation über Fluxus in Osteuropa ist dennoch ein Gewinn und in der Präsentation (Kuratorin Petra Stegmann, Architektur Andrea Pickl) gelungen. Keine Vitrinen schreinen im Bethanien das Fluxus ein. Stattdessen geben ausrangierte Ost-Schrankwände einer fröhlichen Visualisierungsfeier verwohnten Charme und stimmigen Halt.Amtlich stammte die Idee von einem Ostler im Westen. Eine Kunst-Zeitschrift des Litauers George Maciunas sollte Fluxus heissen. Die Zeitung gab es nie. Nur der Begriff überstand und begann wie ein geheimes Codewort die Runde zu machen. Fluxus wurde zum Sammelbegriff für neuartige Intermedia-Aktionen, Happenings, Konzerte mit "Action Music". Im September vor 45 Jahren schwappte Fluxus zurück nach Europa. Mit heiligem Ernst, voller Witz und Weisheit hat die Runde um George Macunias, John Cage, Mieko Shiomi, Ben Vautier, Dick Higgins, Larry Miller die Regeln des üblichen Kunstbetriebes in Frage gestellt. Ihr Credo: Statt mit kommerziellen Werken solle der Künstler mit seinen Ideen, alltäglichen Aktionen oder sozialen Experimenten in Erscheinung treten. Jede Barriere zum Publikum sei zu ignorieren, der Status des Künstlers als kreatives Ego gehe im kollektiven Tun auf.Für die Fluxus-Gemeinde hinter dem Eisernen Vorhang - Jaroslaw Kozlowski, Robert Rehfeldt, Tadeusz Kantor, Tibor Hajas, Gabor Altorjay und viele andere - gab es die Verlockungen des Kunstmarktes ohnehin nicht. Dafür gab es Zoff mit Staat und Zensur. Fluxus wurde hier zum Code, zum offenen Versteck, in dem man spontan, mit Witz und Spaß an der Oberfläche spielte und so die Zensoren verarschte. Die Gefahr für die eigene Existenz wie die tatsächliche Energieleistung können Exponate nicht mehr sichtbar machen. Aber man kann Vorträge der Fluxus-Protagonisten hören, ihren Beschreibungen in Videos lauschen. Bis heute vermitteln Objekte, Fotos, Dokumente, Event-Partituren etwas vom Geist dieser Jahre. Aus gutem Grund wird die Ausstellung von Berlin nach Vilnius, Krakau und Budapest weiterreisen.Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 4.11. Mi-So 14-19 Uhr.------------------------------Foto: George Maciunas: "Spell your name with these objects", 1976.