Der frühere DEFA-Regisseur und Schauspieler Martin Hellberg wird heute 90 Jahre alt: Klassische Dramen fürs große Kinopublikum

Bei der DEFA war er der ungekrönte Anekdotenkönig. Niemand entkam seinen plötzlichen Temperamentsausbrüchen, der sprudelnden Vitalität. Martin Hellberg lief mit weit erhobenen Armen der Sonne entgegen, wenn er sie zum Drehen brauchte und sie sich partout nicht zeigen wollte. Falls dann der Wolkenschleier zerriß und sie ihr Licht dem Regisseur zur Verfügung stellte, jubelte er wie ein Kind, umarmte das halbe Team und warf sich anschließend in die Brust. Kein Zweifel: Er sah sich gern als kleiner Gott. Heute wird Martin Hellberg 90 Jahre alt. Berufsverbot nach 1933 Geboren 1905, kam er mit sechsundvierzig Jahren zur DEFA. Zuvor hatte der Dresdner Pastorensohn in seiner Heimatstadt, aber auch in Berlin als Schauspieler und Inszenator gearbeitet. Aus seiner linken Gesinnung machte er kein Hehl, noch kurz vor der Machtergreifung Hitlers trat er der Kommunistischen Partei bei. Das brachte ihm Berufsverbot und die Einberufung zum Kriegsdienst, die zahlreichen anderen Kollegen erspart blieb. Nach der Niederlage Deutschlands wirkte Hellberg zunächst in München und folgte 1949 einem Ruf nach Dresden als Generalintendant des Theaters.Obwohl er sein Augenmerk vor allem auf Klassiker legte, holte ihn die DEFA zunächst nicht, um Goethe und Schiller für die Leinwand zu adaptieren. Vielmehr sollte er jene aktuell-politischen Stoffe realisieren, die die Partei so dringend forderte. Der Kalte Krieg lief auf vollen Touren, und das Kino zollte seinen Tribut. "Das verurteilte Dorf" (1952) war Hellbergs Filmdebüt: die Geschichte einer fränkischen Gemeinde, die einem Militärflugplatz der Amerikaner weichen soll und erfolgreich dagegen aufbegehrt. Dann "Geheimakten Solvay": ein Kriminalstoff vor dem Hintergrund westdeutsch gesteuerter Wirtschaftssabotage gegen die DDR. "Das kleine und das große Glück" schwang sich 1953 zum Hohelied des sozialistischen Aufbaus auf. Die Zuschauer zeigten die kalte Schulter.Das passierte Hellberg sonst selten, obwohl seine Filme, national- und weltfriedenspreisgeehrt, immer holzschnittartig naiv blieben. Die Bösen stets böse, die Guten stets gut. Dabei setzte der Regisseur einen Wunsch in die Wirklichkeit um, der ihm im Theater versagt bleiben mußte: die Arbeit mit einer riesigen Komparserie. Bei der DEFA stand es ihm offen, Massen zu dirigieren. Hunderte Zaungäste der Aufnahmen zum "Verurteilten Dorf" in der Dresdner Innenstadt wurden zu Mitspielern einer Anti-Adenauer-Demonstration. Und als Hellberg 1956 das Leben von "Thomas Müntzer" zum Schlachtenspektakel gerinnen ließ, stellte ihm die Nationale Volksarmee ganze Bataillone zur Verfügung.Hellberg drehte viel und schnell. Fünfzehn lange Kinofilme in zwölf Jahren. Propaganda und seichte Komödien, ausufernde Epen und Kammerspiele. Spanienkrieg und LPG-Werbung, Pariser Boheme und die Schwarze Galeere - es gab kein Thema, für das er sich nicht berufen fühlte. Zunehmend aber glaubte er, seine eigentliche Bestimmung als Filmregisseur darin gefunden zu haben, die klassische Dramatik fürs große Kinopublikum aufzubereiten. Calderons "Richter von Zalamea" markierte 1955 den Anfang, weitere Stationen hießen "Emilia Galotti", "Kabale und Liebe", "Minna von Barnhelm" oder "Viel Lärm um nichts". Filme vom Blatt des Dichters inszeniert, keiner Mode verpflichtet, nur dem überlieferten Wort; freilich meist auch hochkarätig besetzt und von enormer Sprachkultur.Hellberg verließ Anfang der sechziger Jahre die DEFA, um wieder am Theater zu arbeiten, diesmal als Generalintendant in Schwerin. Nach knapp zwei Jahren verlor er diese Position - er habe Gelder verschleudert, lautete die offizielle Begründung. Das plötzliche Aus Von nun an durfte er nie wieder einen Film drehen. Das plötzliche Aus belastete ihn schwer; daß er, der stets aus dem vollen gelebt, nun gleichsam in sein Bad Berkaer Refugium verbannt sein sollte, fallengelassen von den Mächtigen, deren Nähe er so gern und beflissen gesucht, trieb ihn an den Rand des Selbstmords. Seine Therapie bestand unter anderem im Verfassen von drei pathetischen Memoirenbänden. Und er mag mehr als nur aufgeatmet haben, als sein Regiekollege Egon Günther ihn 1974 bat, den Goethe in "Lotte in Weimar" zu spielen. Der Genius der Deutschen auf der Leinwand: eine Rolle, die für ihn sein Lebenswerk krönte +++