Der frühere Dresdner SED-Bürgermeister Wolfgang Berghofer, einer der Hoffnungsträger im Wendeherbst 1989, rechnet in einem Interview mit seinen alten Genossen ab: Doppelspiel
BERLIN. Auf dem Dortmunder Parteitag der Linkspartei.PDS am vergangenen Wochenende war Hans Modrow ein Delegierter unter vielen. Der letzte SED-Regierungschef streifte durch die Gänge, unterhielt sich mit alten Genossen und gab Interviews. Deutlich anzusehen war ihm die Verbitterung darüber, dass seine Partei ihm, dem Ehrenvorsitzenden der PDS, die traditionelle Eröffnungsrede auf dem Parteitag diesmal verwehrte.So manchem Delegierten schien das auch ein wenig peinlich zu sein. Zwar steht Modrow für die alte PDS, deren Image als SED-Nachfolgepartei die neue Linke endlich abschütteln will. Gleichwohl gilt er - nicht nur bei vielen Ostdeutschen, sondern auch bei Westpolitikern - noch immer als der "gute Mensch" aus Dresden, der sich im Herbst 1989 mutig gegen das Politbüro stellte, um ein Blutvergießen zu verhindern und die Demokratisierung der DDR auf den Weg zu bringen.Jetzt kratzt aber ausgerechnet ein enger Verbündeter aus dem Wendeherbst, der frühere Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, an Modrows gutem Ruf - in einem Interview mit dem Historiker Manfred Wilke, das im demnächst erscheinenden "Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung" veröffentlicht wird. Darin geht der im Januar 1990 desillusioniert aus der SED/PDS ausgetretene Berghofer, der seinerzeit vielen Ostdeutschen als Hoffnungsträger für eine demokratische Umgestaltung der DDR galt, erstmals öffentlich mit Modrow und den Gründungsmythen der PDS ins Gericht.Für die Partei vereinnahmtModrow habe sowohl als SED-Bezirkschef als auch - ab November 1989 - als DDR-Ministerpräsident ein "Doppelspiel" getrieben, das stets von der "Sicherung seiner eigenen Interessen" bestimmt gewesen sei, sagt Berghofer in dem Interview. "Ich habe mit ihm an mehreren Auseinandersetzungen mit unserer Obrigkeit teilgenommen. Allerdings musste ich erleben, dass wir den jeweiligen Streit mit dem Politbüro oder dem Ministerrat gemeinsam begannen. Wenn die Sache jedoch politisch gefährlich wurde, stand ich allein. Man musste bei ihm immer damit rechnen: Wenn es gut geht, ist er der Sieger, und wenn es schlecht geht, bin ich der Verlierer."Dieses "Doppelspiel" habe Modrow auch im Wendeherbst 1989 betrieben, so Berghofer. In den entscheidenden Tagen in Dresden etwa, zwischen dem 3. und 8. Oktober, als es zu mehreren brutalen Übergriffen von Polizei und Stasi auf friedliche Demonstranten in der Prager Straße gekommen war, sei er, Berghofer, es gewesen, der sich für eine Entspannung der Situation eingesetzt und dies schließlich auch im Gespräch mit einer Abordnung der Demonstranten, der so genannten "Gruppe der 20", erreicht habe.Später habe Modrow versucht, den beginnenden Dialog mit den kritischen Bürgern für die SED zu vereinnahmen. "Wir müssen (.) die Kraft der Straße brechen, dann können wir wieder fest im Sattel sitzen und mit neuen Gesichtern weitermachen wie bisher. Das war zusammengefasst die Strategie von (Honecker-Nachfolger Egon) Krenz und in Variationen auch die von Modrow", sagt Berghofer.Viel spannender noch als die Abrechnung mit Modrow aber lesen sich in dem Interview die Schilderungen aus dem SED-Arbeitsausschuss, der nach dem Rücktritt des Zentralkomitees und dem Abgang von Krenz als Generalsekretär Anfang Dezember 1989 die künftige Parteilinie festlegen sollte. Bislang völlig unbekannt etwa ist ein von Berghofer beschriebenes Krisentreffen am Morgen des 3. Dezember, nur wenige Stunden, bevor Modrow die Flucht des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski in den Westen bekannt machen ließ. Neben Berghofer und Modrow hätten demnach auch der spätere SED/PDS-Chef Gregor Gysi, der für die Parteifinanzen zuständige Wolfgang Pohl und Ex-Spionagechef Markus Wolf an diesem Treffen teilgenommen. Modrow habe in dem Gespräch laut Berghofer gesagt, dass man Schuldige brauche, um die Partei zu retten. Man brauche Verantwortliche, zu denen die Massen sagten, jawohl, das sind die Schuldigen. Das könne aber nicht die SED sein, habe Modrow betont, sondern das Ministerium für Staatssicherheit. Außerdem brauche man "eine hauptverantwortliche Person für die Misere". Das könne nicht Honecker sein, denn er stehe für die Partei. "Wir brauchen einen Schuldigen, bei dem das Volk sagt, der hat auf unsere Kosten gelebt. Das ist Alexander Schalck-Golodkowski", gibt Berghofer Modrows Worte wieder. "Dieser Schachzug von Modrow zur Rettung der SED (hat sich) als genial erwiesen, weil er funktioniert hat und bis heute funktioniert", sagt Berghofer weiter. "Die eigentlichen Machtstrukturen sind alle aus dem Bewusstsein verschwunden, niemand kennt sie mehr."Hans Modrow nennt die Darstellung seines einstigen Weggefährten unwahr und weist in einer Erklärung die "Räuberpistole" zurück. "Da seine haltlosen Anschuldigungen grob ehrverletzend sind, behalte ich mir rechtliche Schritte vor", ließ er gestern in Berlin verbreiten.------------------------------Foto: Wolfgang Berghofer (r.) und Hans Modrow (l.) bei einer Demonstration in Dresden am 26. Oktober 1989