Der Gutachter Norbert Leygraf attackiert im Metzler-Prozess den Angeklagten: Mit Maske
FRANKFURT A. M. , 27. Juni. Der Vorsitzende Richter Hans Bachl muss um Ruhe bitten. Die Zuschauer klatschen. Sie klatschen so heftig, dass ihr Applaus durch die Glasscheibe dringt, die im Schwurgerichtssaal des Frankfurter Landgerichts die Prozessbeteiligten vor Zwischenrufen und anderen Störungen schützen soll. Adressat des Beifalls ist Norbert Leygraf, Professor für forensische Psychiatrie aus Essen. Ein höchst renommierter Sachverständiger, aber üblicherweise kein Held, der bejubelt wird.In dem Verfahren gegen Magnus Gäfgen, den 28-jährigen blassen ehemaligen Jurastudenten, der gestanden hat, am 27. September 2002 den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler entführt, getötet und eine Million Euro Lösegeld kassiert zu haben, aber ist Leygraf nicht nur Gutachter. Er ist der Erste im Prozess, der mit der Verteidigungsstrategie von Hans Ulrich Endres und mit den weinerlichen Einlassungen des Angeklagten hart ins Gericht geht. Immer wieder hatte Anwalt Endres gesagt, dass die schreckliche Tat nicht zur Persönlichkeit seines Angeklagten passe, dass sie unerklärlich sei. Leygraf widerspricht: "Völlig persönlichkeitsferne Handlungen gibt es nur bei schwersten psychotischen Erkrankungen. " Unter einer solchen litt Gäfgen nicht. Vielmehr habe es im Leben Gäfgens sehr wohl aggressives Verhalten gegeben: Einmal drohte er einem jüngeren Freund, er würde ihn umbringen, wenn dieser die Freundschaft beende, ein anderes Mal drohte er einem Tankstellenbesitzer, dessen Betrieb abzufackeln.Leygraf räumt ein, dass dies nicht vergleichbar sei mit einem Mord. Wie es dazu kommen konnte - "das zu erklären, gelingt mir nicht", gibt der Psychiater Leygraf zu. Es müsse einen langen Weg im Innern des Angeklagten gegeben haben, der zu dieser Tat führte. "Für uns blieb der Weg aber im Dunkeln. " Auch deshalb, weil Gäfgen gleich nach der Festnahme die Rolle des "gesetzestreuen, freundlichen, schüchternen jungen Mannes" angeboten worden sei. Als solcher stellte ihn sein Verteidiger dar. Und Gäfgen griff diese Rolle gerne auf. Damit sei ein Teil seiner Persönlichkeit ausgeblendet worden, so der Gutachter. Und dies sei fatal - für die Begutachtung, aber auch für Gäfgen selbst, weil er dadurch gehindert werde, sich mit der Tat auseinander zu setzen und sein Selbstbild zu korrigieren. Die Darstellung des großen Jungen, der einmal etwas Unerklärliches tut, sei wieder nur eine Maske, hinter der sich Gäfgen verstecke - wie schon so oft.Der konfliktscheue Junge aus kleinbürgerlichem Elternhaus, der unter der Sparsamkeit seines alkoholkranken Vaters litt, hatte sich als Hochstapler in den so genannten Ibiza-Kreis von Kindern reicher Frankfurter eingekauft. Er leistete sich Markenkleidung, orderte teuren Wodka in Discos und brauchte seine Ersparnisse auf. Als der Ruin drohte, entführte Magnus Gäfgen den elfjährigen Jakob.Norbert Leygraf, der Gäfgen gemeinsam mit dem Psychologen Klaus Elsner begutachtete, bescheinigt dem Angeklagten, in einer "subjektiven Zwangslage" gehandelt zu haben. Allerdings will er weder daraus noch aus Gäfgens Persönlichkeitsproblem eine verminderte Schuldfähigkeit ableiten. Gäfgen, so Leygraf, leide unter einer histrionischen Persönlichkeit: "Niemand ist so toll, wie er gerne sein möchte. In der Regel kann man mit dem Unterschied leben. Für histrionische Persönlichkeiten ist die Diskrepanz aber schwer erträglich, sie versuchen, nach außen anders zu erscheinen, eine Rolle zu spielen. " Gäfgen suchte sich deshalb den Ibiza-Kreis und jüngere Freunde, die ihn, den Unsicheren, akzeptierten."Sie war ein Objekt" Als Gäfgen im Alter von 27 Jahren seine erste feste Freundin hat, ist diese elf Jahre jünger. "Sie war ein Objekt", sagt Leygraf, "mit dem Gäfgen sich selbst meinte schmücken zu können. " Von der Verteidigung wurde dem Mädchen unterstellt, durch ihre Sucht nach Luxus, den Gäfgen zu finanzieren hatte, die Spirale, die zur Tat führte, weitergedreht zu haben. Leygraf widerspricht: "Gäfgen hatte den Tatplan schon vor der intimen Beziehung zu Katha und vielleicht machte er die Ausgaben für Katha nur, weil er dachte, sie sich wegen der bevorstehenden Entführung leisten zu können. " Die Schuld für die Tat bei der Freundin zu suchen, passe zur "Tendenz zur Externalisierung" bei Gäfgen. Der Angeklagte verlagere die Schuld gerne von sich weg.In seinem Geständnis sagte Gäfgen, dass er wie eine Marionette seinem Plan gefolgt sei. "So als ob der Plan ein eigenes Wesen sei", sagt Leygraf. Dabei sei er, der mit einem IQ von 121 überdurchschnittlich intelligente Gäfgen, es gewesen, der die Tat bewusst geplant habe. Ob Gäfgen denn kein Gewissen gehabt habe, will Richter Bachl wissen. "Um so eine Tat zu begehen, muss die Gewissensinstanz völlig versagt haben", erklärt Leygraf. Ob Gäfgen generell über kein Gewissen verfüge, das könne er nicht sagen. Das Urteil wird am 28. Juli gesprochen.Sein und Schein // Eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung oder Schwachsinn können dazu führen, dass ein Straftäter nicht oder nur vermindert schuldfähig ist. Eine schwere andere seelische Abartigkeit kann ebenfalls das Strafmaß reduzieren. Dazu zählen Persönlichkeitsstörungen oder abnorme psychische Aussnahmesituationen während der Tat.Bei Magnus Gäfgen stellten die Gutachter nur "akzentuierte Persönlichkeitszüge" fest. Er wollte mehr scheinen als sein. Eine Störung im Sinne des Gesetzes ist das nicht. Gaefgen ist voll schuldfähig.