Der Händedruck markiert seit alters her das meist glückliche und erlösende Finale von Aushandlungsprozessen oder blutigen Händeln: Zuweilen grob zugepackt

Die Hand handelt nicht nur, sie spricht auch. Die präsentierte Hand-innenfläche symbolisiert Offenheit und die Bereitschaft zum zumindest friedlichen, wenn nicht gar freundlichen Händedruck. Seit alters her ist der Handschlag überdies eine Rechtsgeste; bereits im antiken Griechenland und Rom galt, wie der Kunsthistoriker Michael Diers zeigt, "die Handreichung als juristischer Akt". Seitdem bekräftigt der Handschlag Friedens- und Kaufverträge, beglaubigt Versprechen und Versöhnungen. Der Händedruck markiert also das meist glückliche oder erlösende Finale von Aushandlungsprozessen oder gar blutigen Händeln.Aufgrund dieser Bedeutung vermag die ikonographische Abbildung des Handschlags wiederum ganze Ereignisketten in einem einfachen Bild visuell zu verdichten und "aufzubewahren". So symbolisieren beispielsweise die ineinandergelegten Hände auf einem Relief aus dem 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Erneuerung des Vertrags der beiden Poleis Athen und Samos.Im Jahre 1998 nach Christus, im Mai, präsentierte CDU-Generalsekretär Peter Hintze ebenfalls die emblematische Darstellung eines Händedrucks, dessen Unterschrift jedoch keine Freudenbotschaft, sondern eine Warnung zum Ausdruck bringen soll: "Aufpassen Deutschland!" Um die sogenannte Rote-Hände-Kampagne der CDU entwickelte sich seitdem eine öffentliche Auseinandersetzung. Vor wenigen Tagen forderte zum Beispiel der hessische DGB-Vorsitzende den Ordnungsdezernenten der Stadt Frankfurt am Main auf, diese Wahlkampfplakate aus der Stadt zu entfernen, da er sich durch den parteipolitischen Mißbrauch eines gewerkschaftlichen Symbols mit einer über hundertjährigen Tradition diffamiert fühle.Der Blick in die Geschichte gibt ihm recht. Das Siegel der aus der 1848er Revolution entstanden "Deutschen Arbeiterverbrüderung" zeigt 1850 in der Tat die beiden rechten Hände, aus denen ein mit der Klinge nach oben gerichtetes Schwert erwächst, inmitten eines Laubkranzes. Doch auch in dieser Darstellung finden sich ältere Traditionslinien, die man bis in die Emblematik des späten Mittelalters zurückverfolgen kann. Eine Darstellung aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert, die ikonographisch zwei sich gegenseitig stützende und haltende rechte Hände zeigt, symbolisiert die beiden damaligen Grundbedeutungen des Handschlags: fides (Treue) und concordia (Verbundenheit).In der Neuzeit griffen immer wieder reformerische, soziale und demokratische Strömungen diese mit den Händen verbundenen Assoziationen auf, um ihre Programmatik zu kommunizieren. Im Zentrum des berühmten, von der Französischen Revolution inspirierten Gemäldes Ballhausschwur (1791) von Jacques-Louis David finden sich die verschlungenen Hände als Symbol der fraternité. Dieses Ideal der Verbrüderung wiederum wurde eng zusammengedacht mit égalité (Gleichheit) und liberté (Freiheit).Der von Ferdinand Lasalle 1863 begründete "Allgemeine Deutsche Arbeiterverein" führte im Zentrum seiner roten Traditionsfahne ebenfalls die verschlungenen Hände, umkränzt von Eichenlaub und gekrönt vom revolutionären Dreiklang "Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit". Die sozialdemokratischen Arbeiterparteien von 1869 (Eisenach) und von 1875 (Gotha) bewahrten, wie der Kulturhistoriker Gottfried Korff rekonstruiert, das Erbe der Bruderhände. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch geriet dieses Hand-Zeichen der Einheit in den Hintergrund. Nun, in Zeiten politischer Zuspitzung, dominierte die Arbeiter-Faust als Zeichen des Kampfes und als Gruß unter Genossen. Dieses "Links"-Symbol freilich verschwand in dem Maße aus der deutschen Öffentlichkeit, wie der zum "Hitlergruß" gereckte Arm mit der gestreckten Hand Raum griff und die heillos gespaltene Arbeiterbewegung ausgeschaltet wurde.Es war zum Osterfest 1946, als der Sozialdemokrat Otto Grotewohl weihevoll verkündete, "daß heute am Ostertage die herrliche Auferstehung der deutschen geeinten Arbeiterklasse erfolgt ist". Die Messe, die gefeiert wurde, war der Vereinigungsparteitag von KPD und SPD zur SED, die Kathedrale der Berliner Admiralspalast und die Gläubigen die begeisterten Delegierten. Die Zeremonie auf dem Vereinigungsparteitag war vollends von jenem altehrwürdigen Zeichen der sich gegenseitig stützenden und haltenden Hände geprägt. Nachdem im Saal die Fidelio-Ouvertüre von Beethoven verklungen war, betraten die beiden Parteiführer Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl, der eine von links, der andere von rechts kommend, die Bühne, trafen in der Mitte zusammen und reichten sich unter minutenlangem Beifall die Hände. Wie viele Teilnehmer erinnerte sich Grotewohl bewegt an diese mitreißende, geradezu sakrale Zeremonie: "Das alte Lied der deutschen Arbeiterbewegung ,Brüder in eins nun die Hände wurde lebendige, kraftvolle und zukunftsträchtige Wirklichkeit." Und für die DDR-Historiographie von 1959 "brauste einem Schwur gleich ein dreifaches ,Hoch auf die deutsche Arbeiterklasse durch den Saal". Mit dieser Inszenierung des Händegelöbnisses war dem tradierten Zeichen ein weiterer Kanon von Bildern und Bedeutungen hinzugefügt worden. Für mehr als vierzig Jahre führte die SED inmitten ihres Parteiemblems diese Bruderhände, hinter denen die Rote Fahne weht.Die "Hände der SED" packten in den Folgejahren zuweilen grob zu, wenn sie in ihrem Machtbereich ihr Projekt und ihre Methoden kritisiert sahen "Verschmelzung" und "Zwangsvereinigung" wurden im Westen die neuen Zuschreibungen des Symbols der brüderlichen Hände. Während in der Ost-Propaganda die "Vereinigung" der beiden Parteien als Vorstufe für die Vereingigung des in Zonen aufgeteilten Vaterlandes gesehen wurde, diente der West-Propaganda gerade der Hinweis auf die erpresserische Vereinigungspraxis als Beleg, daß der Osten die Chance zur Einheit der Arbeiterschaft und der Nation hintertrieben habe.Als die SED 1989 entmachtet wurde, hatte ihr Parteisignet längst die Gloriole des Anfangs verloren, gleichwohl repräsentierte es vier Jahrzehnte DDR. So nimmt es nicht wunder, daß zur großen Berliner Demonstration am 4. November 1989 das Zeichen von Demonstranten ironisch aufgerufen wurde. Auf einem Transparent sah man die sorgfältig abgemalten Bruderhände und ein großes "Tschüß". Das Symbol der Vereinigung wurde hier zu einer Abschiedsgeste umgedeutet.Der Abschied von der SED bedeutete aber nicht den Abschied vom Händedruck in der öffentlichen politischen Kommunikation. Im Bundestagswahlkampf 1994 brachte die CDU Mecklenburg-Vorpommerns, der die Bonner Rote-Socken-Aktion "die PDS-Gefahr zu sehr verniedlichte", die Bruderhände erneut zum Einsatz, nun unterschrieben mit einem deutlichen "NEIN!". Auf dem CDU-Plakat von 1994 waren die Bruderhände aus dem SED-Emblem noch in Form und Farbe getreulich zitiert worden. Es waren noch die goldenen Hände der sozialistischen Arbeiter kräftig aber sauber, eindimensional aber gesund, eindeutig und offen.Heute, vier Jahre danach, stellt die CDU abermals die SED-Hände in propagandistische Dienste, doch nun deutlich gewandelt. Beim aktuellen Plakat mußte ein enormer ästhetischer Aufwand getrieben werden, damit das Händedruck-Symbol die von der CDU erwünschte Negativkommunikation weiter leisten kann.Nun sind die Hände nicht mehr golden, sondern blutrot eingefärbt. Sie sind völlig deformiert. Sie assoziieren Unsauberkeit und Schwammigkeit. Gallertartig und quallig fließen sie ineinander. Nicht mehr auseinanderzuhalten, versteckt sich die eine hinter der anderen. Es sind nicht mehr die seit Mitte des letzten Jahrhunderts tradierten hemdsärmeligen Arbeiterhände; die Hände von 1998 stecken in Manschetten: aus schaffenden sind scheffelnde Hände geworden.Während die CDU 1994 noch der Präsentation des authentisch zitierten Handschlags aus dem SED-Abzeichen genügend abschreckende Wirkung zutraute, meint sie heute, auf solche schmutzig-blutige Verzeichnung rückgreifen zu müssen. Die Propagandisten im Konrad-Adenauer-Haus haben wohl registriert, daß sich die Bedingungen im ostdeutschen Kommunikationsraum seither deutlich gewandelt haben.Im Westen dürften die SED-Hände vornehmlich "politisch gelesen" werden als Symbol für ein fremdes System, das verantwortlich war für Spaltung, für Enteignung und Diktatur in Ostdeutschland und die dort noch heute fortwirkenden materiellen, geistigen und mentalen Verwüstungen. Im Osten dagegen wird durch das Hände-Symbol ein ganzes Knäuel von Assoziationen aufgerufen, die recht heterogen und gegensätzlich sind.Für viele zwischen Kap Arkona und Fichtelberg steht das Symbol einfach nur für die "Erfahrungsgemeinschaft DDR". 1998 scheint das SED-Symbol "gereinigt": durch das Vergessen, das Verdrängen und durch Marginalisierung gegenüber der Gegenwart. Andererseits offenbart es nun eine neue, auch politische Sinnschicht, die es überhaupt erst durch die Nachwendeerfahrungen und den Vergleich beider System-Realitäten bekommen konnte. Die Mauer hatte den Ostdeutschen den Blick auf die Gesamtheit deutscher Geschichte verstellt, seit 1989 haben sie ihn.Vergleichen wir die Aufschriften der Plakate, die Imperative. Das lakonische "NEIN!" wurde abgelöst durch ein alarmierendes "Aufpassen Deutschland". Aufpassen: Die Allzuleichtfertigen wie auch die Fehlinformierten sollten auf den notwendigen Stand der Erkenntnis gebracht werden. Im zweiten Teil des Wortpaares, dem Objekt der Ansprache, ruft die CDU ein Gebilde auf, das eher in romantischer, vormoderner, nationalistischer oder völkischer Diktion ein Subjekt sein könnte. Mit "Aufpassen Deutschland" wird ein Kaleidoskop "innerer Bilder" vaterländischer Bedrohungen aufgerufen: heidnische Slawen, revoltierendes Pack, zersetzende Ideologien, Dolchstöße von innen, Rote Armeen von außen und Stacheldraht mittendurch.Die Rote-Hände-Kampagne richtet sich in erster Linie gegen die SPD. Um ihre Hauptkonkurrentin zu treffen, beschwört die CDU wie seit jeher den antikommunistischen Grundkonsens der westdeutschen Republik, den die SPD zu verraten drohe. Die neuerliche Wahl Reinhard Höppners zum sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten, toleriert durch die PDS, markiere "einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", diagnostizierte Hintze. Die Sozialdemokratie habe den Grundsatz verraten, der zur Stabilität der Bundesrepublik beigetragen habe: Keine Zusammenarbeit mit "Radikalen". Das Plakat definiert ein linkes Lager, Hintze nennt es "Linksfront". Für die Union und die FDP reklamiert er das andere Lager, namens "politische Mitte".Indem er SPD und Grüne in das mit "Unfreiheit und Chaos" konnotierte politische linke Lager stopft, versucht er, deren heftige Abgrenzungsarbeit gegenüber der PDS und ihren Anspruch, selbst die politische Mitte zu repräsentieren, wieder zunichte zu machen.Die SPD und Grüne revanchieren sich für die Attacke des Rote-Hände-Plakates ebenfalls mit dem Vorwurf, das CDU-Plakat unterstütze letztlich nur die PDS.Den drei Partei-Zentralen, die sich gegenseitig der PDS-Unterstützung bezichtigen, geht es nicht allein um den bezifferbaren Wahlerfolg der PDS. Ihr Unbehagen dürfte sich vielmehr gegen jene links-sozialdemokratisch oder sozialistischen Affinitäten und Wertmaßstäbe von Ostdeutschen richten, die von den "Westparteien" nicht zu integrieren und zu repräsentieren sind und die von der "Ostpartei" PDS als "politische Marktlücke" besetzt werden.Ausgerechnet jene Bevölkerung, die 1990 den real existierenden Sozialismus abbrach und für den Beitritt zum Westen plädierte, würde, wenn jetzt Wahlen wären, mehrheitlich links wählen. Laut einer Umfrage des Institutes für Demoskopie in Allensbach würden im Juli 1998 die Ostdeutschen zu 23 Prozent die PDS wählen. Das sind mithin nur zwei Prozentpunkte weniger, als die CDU erzielen würde. Stärkste Partei würde im Osten mit 40 Prozent die SPD werden, damit läge sie allerdings noch fünf Prozentpunkte unter ihrer Marge in den alten Ländern.Händedruck ist ein Symbol des Kompromisses, der Verständigung, der Versöhnung und der Zusammengehörigkeit. Über Jahrhunderte europäischer Kulturgeschichte hinweg ist der Händedruck ein Grundgestus menschlicher Kommunikation. Mit der Roten-Hände-Kampagne desavouiert die CDU gewollt oder ungewollt eines der Ursymbole der Einheit.