Der kubanische Dissident Paya hofft auf eine Zukunft jenseits von zügellosem Kapitalismus und zügellosem Kommunismus: "Wir stoßen nur auf Arroganz, auf Repression"

Vor vier Jahren verlieh das Europa-Parlament den Sacharow-Preis für geistige Freiheit an den kubanischen Dissidenten Oswaldo Paya. Es würdigte damit den Initiator des Varela-Projekts: einer Petition für größere politische und wirtschaftliche Freiheit auf der Insel, die inzwischen mehr als 25 000 Bürger unterzeichnet haben. Der 54-Jährige sieht Kuba heute in einer Situation wie die CSSR oder die DDR unmittelbar vor der Wende 1989.Herr Paya, Sie sind Katholik, und die katholische Kirche Kubas hat zu Fürbitten für den erkrankten Fidel Castro aufgerufen. Beten Sie für Ihren Präsidenten?Ich bete für alle elf Millionen Kubaner und besonders für die politischen Gefangenen. Meine Hoffnungen richte ich nicht auf den Tod von Fidel Castro oder irgendjemand anderem. Sein Wahlspruch heißt: Sozialismus oder Tod. Unsere Losung lautet: Freiheit und Leben.Wäre es aus Ihrer Sicht besser für Kuba, wenn Castro nicht an die Hebel der Macht zurückkehrte?Uns liegt nichts daran, dass eine andere Person Fidel Castro ersetzt. Nach fast fünf Jahrzehnten dieser Regierung ist es an der Zeit, auf das Volk zu hören: nicht auf das Volk mit Fahnen auf dem Platz der Revolution, sondern auf das Volk an den Wahlurnen. Was wollen die Kubaner? Sie wollen Freiheit, sie wollen Demokratie, sie wollen kostenlose Bildung und Gesundheit. Sie wollen keinen Sprung in den zügellosen Kapitalismus, aber sie wollen auch nicht im zügellosen Kommunismus verharren.Im Osten Europas verlief die Wende sehr unterschiedlich: in Rumänien mit Blutvergießen .Eine solche Entwicklung wollen wir unbedingt vermeiden.. in Ungarn dagegen im Konsens mit Teilen der alten Führung. Wie sehen Sie in Kuba die Chancen für eine Verständigung zwischen den Dissidenten und Kräften aus dem Regierungslager?Wir halten die Türen zum Dialog geöffnet, aber wir finden kein Gehör. Wir stoßen nur auf Arroganz, auf Repression. Ich glaube zwar nicht, dass uns ein monolithischer Block gegenübersteht. Aber wenn es in der Regierung Gemäßigte gibt, dann verstecken sie dies tief in ihren Herzen.Wie viele Aktivisten zählt die kubanische Opposition heute?Auf jeden Fall weit mehr, als es sie im kommunistischen Deutschland vor dem Fall der Mauer gab. Unter einem totalitären System sind die Dissidenten zahlenmäßig nur wenige, aber sie verkörpern die Interessen und die Wünsche all derer, die aus Angst und Verzweiflung schweigen.Sie gehen davon aus, für die große Mehrheit der Kubaner zu sprechen.Mit Sicherheit.Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass die Dissidenten diese Avantgarde sind?Wir wollen weder Avantgarde noch Befreier sein. Wir wollen einen Prozess in Gang bringen, in dem das Volk demokratisch die Macht erlangen kann. Nicht über einen Führer oder eine Partei, denn wir haben genug Erfahrung, in welche Fallen eine Nation gerät, wenn sie ihre Souveränität einer einzelnen Person oder Partei anvertraut.Die gegenwärtige Regierung nimmt für sich die historische Legitimität einer Revolution in Anspruch, die von den Massen getragen wurde.Hitler konnte auch von sich sagen, dass er das ganze Volk hinter sich hatte. Aber Freiheit gab es niemals unter ihm.Die Regierung beschuldigt die Dissidenten, den USA zu dienen und von ihnen bezahlt zu sein. Wie steht es um Sie: Beziehen Sie irgendwelche Zuwendungen aus dem Ausland?Sehen Sie sich um, in welcher Armut die Dissidenten leben. Wir bekommen Hilfe von Verwandten und Freunden, aber nicht von den USA oder einer anderen Regierung. Aber selbst wenn es anders wäre: Haben die kubanischen Dissidenten, von denen die meisten ihre Arbeit verloren haben, etwa kein Recht darauf, ihren Kindern etwas zu essen zu geben oder einen Computer zu besitzen oder zu reisen?Was halten Sie von dem Programm für einen Wandel auf Kuba, das die US-Regierung jüngst vorgelegt hat?Wir Dissidenten wissen die Solidarität des Auslandes im Bereich der Menschenrechte zu schätzen. Aber wir sind nicht einverstanden damit, dass in den USA eine Regierungskommission ein Übergangsprogramm für Kuba entwirft. Ein solches Programm zu entwerfen, steht allein uns Kubanern zu.Das ist aber nicht Konsens unter den Dissidenten. Teile der Opposition argumentieren: Je mehr Druck der USA, desto besser.Wenn andere Oppositionelle inner- und außerhalb Kubas diese Meinung vertreten, respektiere ich das. Aber ich stehe auf dem Standpunkt: Der Wandel ist allein eine Aufgabe und ein Recht der Kubaner.Das Gespräch führte Hinnerk Berlekamp.------------------------------Foto: Oswaldo Paya ist der Führer der Christlichen Bewegung Befreiung (MLC) in Kuba. Der 54-Jährige arbeitet als Techniker im staatlichen Gesundheitswesen.