Der letzte Schamane der Sprache, der Schriftsteller Oskar Pastior, ist tot: Vom Sichersten ins Tausendste
Der diesjährige Träger des Georg-Büchner-Preises, Oskar Pastior, ist tot. Er starb in der Nacht zum Donnerstag im Alter von 78 Jahren bei Freunden in Frankfurt am Main. Am 21. Oktober hätte der Dichter, der in seiner Vortragskunst die experimentelle Lyrik geradezu populär gemacht hat, in Darmstadt die wichtigste deutsche Literaturauszeichnung entgegennehmen sollen. Der mit 40 000 Euro dotierte Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wird ihm nun posthum verliehen. "Wir haben einen unvergleichlichen Magier der Sprache verloren", erklärte die Akademie. Pastior habe mit Fantasie und mit Witz ein Werk geschaffen, "dessen poetische Sprachwelten, fernab von Klischee und Kommerz, die lautsinnliche Materialität des Wortes zur schönsten Entfaltung bringen, um ihr überraschende, erhellende und humorvolle Bedeutungen zu entlocken".Auf der Buchmesse wollte Pastior zusammen mit Herta Müller Texte aus ihrem Buchprojekt vortragen. Mit der rumäniendeutschen Schriftstellerin hatte Pastior eine Reise in das ukrainische Arbeitslager unternommen, in das er von 1945 bis 1949 deportiert war. Das autobiografische Prosabuch sollte im kommenden Jahr erscheinen.Oskar Pastior war am 20. Oktober 1927 als Angehöriger der deutschen Minderheit im rumänischen Hermannstadt (Sibiu) in Siebenbürgen geboren worden. Nach der Rückkehr aus den Lagern im Donezbecken schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, holte während des Militärdienstes das Abitur nach, studierte Germanistik. Danach war er Rundfunkredakteur für deutschsprachige Sendungen in Bukarest, ehe er literarische Erfolge mit seinem ersten Lyrikband "Offne Worte" (1964) feiern konnte."Die Verse sprechen, wenn auch enorm versiert, mit fremden Zungen", befand Harald Hartung in einer Untersuchung über "Das Rauschen der Sprache im Exil" über Pastior. Die Mehrsprachigkeit der siebenbürgischen Vielvölker-Kultur war der Humus für Pastors Dichtung. Daraus hat er eine ganz neue Sprache geschaffen, deren radikaler Witz aus lautmalerischer Worterfindung und methodisch schöngedrechseltem Unsinn "das Kleinhirn zwecks Belebung" krault. In diesen aus fein zerhauenen "Sprach-Fertigbauteilen" erschaffenen Sprachkontinenten hat Pastior sich eine unverwechselbar komische Heimat zusammengereimt. "Sie konnten ihn hinschleppen, wohin sie wollten, er konnte weggehen, wohin er wollte, überall und jederzeit war es die Sprache, an die er sich klammern konnte," sagte der ehemalige Direktor der Akademie der Künste, György Konrad, über das Akademiemitglied Pastior.Während eines Studienaufenthaltes in Wien flüchtete Pastior 1968 in die BRD und ließ sich nach einer Zwischenstation in München - im Haus von Martin Walser - in Berlin nieder. "Ein großer Schritt für meine Menschheit", nannte der als "Spätaussiedler" und "Volksdeutscher" aufgenommene Pastior diesen Entschluss einmal. Pastior wählte den Weg "Vom Sichersten in Tausendste", so der Titel seines ersten auf Deutsch (bei Suhrkamp) erschienenen Gedichtbandes. Er bricht die normative Regelhaftigkeit der Sprache auf - und setzt die lustvolle Anarchie von Spielregeln dagegen: "Wer nicht spielt, weiß nichts vom Widerstand".Diktatur und Freiheit heißen verkürzt die poetologischen Antipoden, zwischen denen der vertrackteste und zugleich hintersinnig-heiterste Wortakrobat nach der Dada-Avantgarde und Wiener Gruppe balancierte. Um Unterschiede im Sprachbewusstsein hörbar zu machen, bevorzugte er "den kleinen schiefen Schritt zur Seite, den wir durch Symmetrien (und andere Raster) erst erkennen". Listig lässt der schelmische Silbenstecher die Syntax aus dem strengen Maß der Zeilen hüpfen, er setzt das "Denken des Zufalls" frei, das Ohr im Kopf hört die Fesseln fallen.Für Michael Krüger vom Hanser Verlag, in dem Pastiors Werk erscheint, war Oskar Pastior "der letzte große Schamane des Experimentellen, der für jedes Projekt eine neue Form gefunden hat, und er war mit Sicherheit der liebenswerteste Autor, der sich denken lässt."------------------------------"vom löschen des dursts abgesehen ist das hören des genitivs der hosenträger der erkenntnis das verleihen des ohres die behandlung des arztes der besuch der kalten dame." Oskar Pastior------------------------------Foto: "Wer nicht spielt, weiß nichts vom Widerstand." Oskar Pastior (20. 10. 1927 - 4. 10. 2006).