Der Maler Rainer Fetting wird 60. Zeit, den einst umjubelten Jungen Wilden neu zu entdecken: Der Gifthimmel über Berlin
Rainer Fetting war so etwas wie ein Weltstar in den Achtzigern. Er war der Inbegriff einer neuen expressiven, figürlichen Malerei, die überall als eine Erlösung von den Zwängen der Konzeptkunst und des Minimalismus gefeiert wurde. In Deutschland war diese Strömung, neben einigen Malern aus Köln, vor allem ein West-Berliner Phänomen. Als "Neue Wilde" oder "Moritzboys" (nach ihrer Selbsthilfegalerie am Moritzplatz) wurden Fetting, Salomé, Helmut Middendorf, Luciano Castelli und Bernd Zimmer populär.Innerhalb von zwei Jahren stieg Fetting vom Off-Künstler zur umschwärmten Marktgröße auf. Den Weg bereitete 1981 die Schau "A New Spirit in Painting" in London. Ein Jahr später hingen Fettings Großformate in Christos Joachimides' und Norman Rosenthals legendärer "Zeitgeist"-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau. Unübersehbar im Lichthof, schlugen eine wild gepinselte, erotisch aufgeladene Kreuzigung oder ein teuflischer Reiterkampf die Betrachter in Bann. Danach rissen sich die mächtigsten Händler der Welt um den 33-Jährigen. Mary Boone in New York, Anthony d'Offay in London, Bruno Bischofberger in Zürich, Yvon Lambert in Paris - höher ging es nicht. Fetting konnte sich ein großes Atelier in Manhattan leisten und pendelte zwischen New York und Berlin.Doch Ruhm ist vergänglich und der Stern der Jungen Wilden verglühte genauso schnell, wie er aufgegangen war. Am Ende der Achtziger sprach kaum noch jemand von ihnen, die Großgaleristen hatten sich abgewandt und die Preise waren gefallen. Die Neuexpressiven wurden zum Inbegriff der rasenden Rotation am Kunstmarkt. Fetting hat unter den deutschen Künstlern den Geschmackswandel am besten überstanden. Zwar verlor er alle seine potenten Händler - zum Teil war auch sein schwieriges Temperament der Grund -, aber die Hauptwerke der späten Siebziger und frühen Achtziger sind bei seinen eingefleischten Sammlern nach wie vor begehrt und erzielen sechsstellige Summen. Und im Fernsehen ist Fetting durch seine monumentale Willy-Brandt-Skulptur in der SPD-Zentrale dauerhaft präsent.Am letzten Tag dieses Jahres wird Fetting sechzig. Sein Berliner Galerist Marcus Deschler richtet ihm eine Jubiläumsausstellung aus, die alle Werkphasen durchschreitet und vor allem eine Parade von wichtigen Bildern der Frühzeit aufbietet, die der Künstler eifersüchtig hütet. Zum Verkauf steht nur die neue Produktion. So ist es ein wechselhaftes Konzentrat, in dem der ganze Fetting zu sehen ist. Zudem erschien im DuMont-Verlag gerade die erste große Werkmonografie. Dies alles bietet die Gelegenheit, die gängigen Klischees um diesen einst hochgejubelten, später gerne milde belächelten Maler zu überprüfen. Was bleibt von ihm jenseits aller modischen, vergänglichen Trends?Fetting kam 1972 zum Kunststudium nach West-Berlin. Er wurde Teil der Homosexuellenszene, die damals noch gegen gesetzliche Diskriminierung zu kämpfen hatte. 1974 zog er mit dem exaltierten Salomé zusammen, der auch für Jahre sein Partner war. Direkt und erotisch unverblümt malte er seine Freunde, nackt, im Underground-Outfit oder als Transe - das war alles andere als gängig. Fetting ging es nicht um hermetisch verschlüsselte Botschaften wie in den um 1970 vorherrschenden konzeptuellen Ansätzen, noch weniger um Auslöschung des Inhalts oder der persönlichen Handschrift. Mit gestischer Wucht brachte er seine Bildgegenstände auf die Leinwand, rasant umrissen, die Farbflächen stürmisch bewegt. Er malte die Off-Szene, stellte sich auf den grauen Hermannplatz oder ins Stadtbad Neukölln, um dort zu arbeiten.Die Inselstadt war von den westdeutschen Entwicklungen und auch New York, dem Epizentrum der Kunst, weit entfernt. Hier hatte sich beharrlich eine Tradition gegenständlicher Malerei gehalten. In diesem Biotop konnte eine junge Generation heranwachsen, die sich unbefangen bei van Gogh bediente, den deutschen Expressionisten, aber auch bei Altmeistern wie Velazquez, Rembrandt oder Goya.Fettings erste Gemälde sind noch fahrig, kleinteilig, verworren im Pinselstrich und allzu nahe am flackernden Ernst Ludwig Kirchner und den "Brücke"-Expressionisten. In der kollektiv betriebenen Galerie am Moritzplatz zeigte Fetting 1977 erstmals seine Mauerbilder. Er hatte bei älteren, aber ebenfalls expressiv figürlichen Malern wie Markus Lüpertz oder Karl Horst Hödicke gelernt, die Kompositionen großflächiger anzulegen. Die Mauer verlief direkt vor seinem Atelier, das ebenfalls am Moritzplatz lag. In Fettings Bildern ist sie weniger menschenfeindliches Monstrum als ein kurioses Bildobjekt, das er in Violett und andere schrille Farben taucht. Die Tristesse des Inseldaseins mutiert zu einer entrückten, fast psychedelischen Wirkung. Das erste Mauerbild, jetzt in der Ausstellung bei Deschler wiederzusehen, ist eines von Fettings großartigsten Werken. Lila schiebt sich die Mauer in den Vordergrund, rechts ein Altbau wie eine Hitchcock-Kulisse, darüber ein giftig leuchtender gelber Himmel.So hat Fetting auch seine nackten, durchtrainierten Modelle gemalt: mit Realitätssinn und voller Punk zugleich, monströs und den Betrachter anspringend, dafür doch oft subtil in der Stimmungswirkung oder in der malerischen Binnenstruktur. In seinen Duschszenen vermischte er Auschwitz-Andeutungen und schwule Schwimmbad-Erotik - auch dies abgründige Bilder, die bleiben werden. Dann aber begann eine Massenproduktion, in der vieles verschreckt: oft einfach zu schnell gemalt, zu bemüht die Referenzen wie bei seinen Velazquez-Paraphrasen, zu sehr ausgespuckt wie etwa manche New Yorker Stadtszenen und Stilisierungen aus der Schwulenszene, zu altbacken wie neuerdings seine Nordseelandschaften auf Sylt.Doch bleibt Fetting - trotz vieler Einbrüche - ein hervorragender Maler. Die Mauerbilder und Männerduschen sind ohnehin längst Kunstgeschichte. Und in der Ausstellung hängt ein aktuelles Porträt seines langjährigen Modells Desmond. Hier sprüht die Körperlichkeit, pulsieren die Farben, herrscht Subtilität trotz des notorischen Pinselorgasmus. Es wird Zeit, diesen Maler aus der Nische des schrillen Malerpunks herauszuholen.------------------------------Galerie Deschler, Augustraße 61, bis 23. Januar. Di- Sa 12-18 Uhr. 29./30. 12. + 2.1. 12-18 Uhr.Die Werkmonografie "Fetting", erschienen bei DuMont, kostet 68 Euro. In der Galerie erhältlich.------------------------------Foto: Rainer Fetting im Sommer 2008Foto: In so psychedelischer Farbstimmung hatte das Monstrum noch niemand gemalt: "Erstes Mauerbild" von 1977.