Der Neutrino-Detektor Antares liefert überraschende Einblicke in ein nahezu unbekanntes Universum - die Tiefsee: Leuchten aus der Tiefe

Meeresforscher betonen es immer wieder gern: Über die Tiefsee und ihre Bewohner sei viel weniger bekannt als über den fernen Kosmos. Ein Missverhältnis, das sich demnächst verschieben könnte. Denn seit Neuestem profitieren auch Meeresbiologen von einem astrophysikalischen Mammutprojekt. Das Neutrino-Teleskop Antares, das sich in mehr als zweitausend Metern Tiefe im Mittelmeer vor der Küste Frankreichs befindet, liefert derzeit mehr Informationen über das Leben im Meer als über Gammablitze oder schwarze Löcher.Doch eigentlich soll Antares kosmische Teilchen aufspüren, sogenannte Neutrinos. Dazu werden bis April insgesamt neunhundert Lichtsensoren im Meer versenkt. Die extrem empfindlichen Messgeräte sollen Licht registrieren, das den Aufprall von Neutrinos auf Atomkerne in der Erdkruste oder im Meerwasser anzeigt. Die Neutrinos wandeln sich bei solch einem Zusammenstoß in andere Elementarteilchen (Myonen) um, die mit hoher Geschwindigkeit durchs Wasser rasen und den gesamten Detektor innerhalb von einer Millionstel Sekunde durchqueren. Dabei ziehen die Myonen einen Kegel bläulichen Lichts hinter sich her, die sogenannte Tscherenkow-Strahlung.Allerdings ist es selbst zweitausend Meter unter der Wasseroberfläche nicht völlig finster. Andere Lichtquellen strahlen viel stärker als die seltenen Neutrino-Zusammenstöße, was deren Messung behindert. Meersalz enthält zum Beispiel radioaktive Kalium-Atome. Wenn sie zerfallen, werden Elektronen frei, die ebenfalls Tscherenkow-Licht erzeugen. Und dann gibt es in den Tiefen der Meere noch die Biolumineszenz - ein Leuchten, das Lebewesen von Bakterien bis hin zu Riesenkraken produzieren."Für die Neutrinophysik handelt es sich dabei um Störlicht, das herausgefiltert werden muss", sagt Jürgen Brunner, ein deutscher Physiker am Zentrum für Elementarteilchenphysik in Marseille (CPPM). Damit das funktioniert, mussten die Forscher erst einmal herausfinden, womit sie es zu tun hatten. "Uns war durchaus klar, dass wir dort unten Biolumineszenz messen würden, aber wir hatten nicht genug Informationen, um die Lichtmenge abschätzen zu können", berichtet Brunner.Als er und seine Kollegen 2005 eine Kette mit Sensoren für erste Tests im Mittelmeer versenkten, waren sie von den Aufzeichnungen der Messgeräte überrascht: "Die biologische Lichtaktivität dort unten war wesentlich höher, als wir es erwartet hatten." Das Tiefseeleuchten veränderte sich zudem laufend, womit die Forscher ebenfalls nicht gerechnet hatten: Die Lichtdetektoren zeichneten manchmal wenige Sekunden dauernde Blitze auf; dann wieder wanderten über Stunden oder gar Wochen große Leuchtwolken durch das Teleskop. Teilweise veränderte sich die Strahlung auch mit dem Rhythmus der Jahreszeiten.Um die rätselhaften Beobachtungen zu erklären, engagierten die Physiker den Biologen Christian Tamburini von der Université de la Mediterranée in Marseille. Tamburini vermutete gleich, dass es sich bei den leuchtenden Wolken um Bakterien handelt und dass die kurzen Lichtblitze von größeren Tieren wie Quallen, Fische oder Tintenfische erzeugt werden.Aus den Lichtsignalen allein können die Forscher die Arten aber bisher nicht eindeutig identifizieren - dafür weiß man einfach zu wenig über das Phänomen Biolumineszenz. Ein Grund dafür sind die bisherigen Beobachtungsmethoden der Meeresbiologen. Mit Netzen lassen sich Tiefseetiere wegen des Druckunterschieds nicht lebend bergen, vor motorisierten und mit Scheinwerfern bestückten Tauchbooten nehmen die Kreaturen Reißaus. "Das ist so ähnlich, als würde man mit einem Jeep durch den Wald fahren, um Tiere zu beobachten", sagt Brunner. "Da bekommt man nicht viel zu Gesicht."Um künftig bessere Ergebnisse zu erzielen, entwickelte Brunner zusammen mit seinem Kollegen Christian Tamburini eine Unterwasser-Fotofalle. Dafür installierten sie an einer der Antares-Messketten neben den Sensoren für Wassertemperatur, Salzgehalt und Strömungsgeschwindigkeit auch zwei Kameras. Immer wenn direkt daneben liegende Lichtsensoren ein Signal registrieren, soll für einige Sekunden eine Infrarotlampe anspringen, damit die Kamera den Verursacher der Biolumineszenz filmen kann. "Zum ersten Mal haben Biologen dadurch die Möglichkeit, das Leben der Tiefsee über einen langen Zeitraum in einer ungestörten Umgebung beobachten zu können", sagt Brunner.Die bisherigen Messergebnisse haben bereits etliche Informationen über das verborgene Leben in der Tiefsee geliefert. So zeigte sich, dass die Stärke des kontinuierlichen Glimmens der Bakterien offenbar mit der Wassertemperatur zusammenhängt: Je wärmer das Wasser, desto stärker leuchten die Mikroben. Die kurzen Lichtblitze hingegen treten umso häufiger auf, je schneller das Wasser strömt. Brunner vermutet, dass die Signale nicht immer durch Biolumineszenz verursacht werden: "Es könnte auch sein, dass Fische mit den Messgeräten zusammenstoßen und ein Signal auslösen."Eine Besonderheit gab es in den ersten Monaten der Jahre 2005 und 2006. Damals registrierten die Strömungssensoren besonders starke Wasserbewegungen. Statt wie üblich mit einer Geschwindigkeit von wenigen Zentimetern pro Sekunde strömte das Wasser mit dreißig Zentimetern pro Sekunde an den Messgeräten vorbei. Die Lichtsensoren registrierten während dieser Phasen zehnmal mehr Licht als üblich. Im vergangenen Frühjahr blieb das Ereignis aus. Brunner und seine Kollegen vermuten inzwischen, dass sie in den beiden Vorjahren erstmals eine Art Unterwasser-Wasserfall im Mittelmeer beobachten konnten. "In den Wintern 2004/2005 und 2005/2006 war es sehr kalt, dadurch hat sich das Meerwasser an der Oberfläche stark abgekühlt und wurde so schwer, dass es in die Tiefe stürzte", sagt der Physiker. Ob die Tiefenwasserbildung Regel oder Ausnahme war, muss sich noch herausstellen.Glücklicherweise hat der Physiker genug Zeit, die Meeresphänomene zu untersuchen. Kosmische Neutrinos sind dem Team nämlich noch nicht ins Netz gegangen.------------------------------Messgerät am Grund des MittelmeersDas Messgerät Antares (Astronomy with a Neutrino Telescope and Abyss Environmental Research) wird derzeit im Mittelmeer vor der französischen Küste aufgebaut. Es soll einmal aus neunhundert Lichtsensoren bestehen, die in Glaskugeln von der Größe eines Medizinballs montiert sind. Die Geräte sollen Leuchterscheinungen registrieren, die durch bestimmte Elementarteilchen, sogenannte Neutrinos, erzeugt werden.Die Lichtsensoren sind in Dreiergruppen an 450 Meter langen Ketten aufgereiht. Diese Ketten sind am Meeresboden verankert und werden von jeweils einem Schwimmkörper senkrecht nach oben gezogen.Die erste Testlinie ist seit 2005 in Betrieb, weitere vier Sensorketten liefern seit Februar 2007 Daten. Fünf zusätzliche Messketten wurden Anfang Dezember mithilfe eines ferngesteuerten Unterwasser-Roboters an das System angeschlossen. Ebenso eine Kette mit Instrumenten für die Meeresforschung, die beispielsweise Salzgehalt und Strömungsgeschwindigkeit messen. Die zwei letzten Sensorketten sollen im April installiert werden. Dann werden die Messgeräte einen 400 Meter hohen Quader mit einer Grundfläche von 200 mal 200 Metern bilden.Sämtliche Daten werden über ein vierzig Kilometer langes Kabel zur Landstation im Ferienort La Seyne-sur-Mer in der Nähe von Toulon geschickt. Der nötige Strom für das Observatorium fließt ebenfalls durch diese Nabelschnur. (uk.)------------------------------Foto: Leuchtende Quallen (Foto) können Astrophysiker ziemlich auf Trab halten. Ein Detektor für kosmische Teilchen im Mittelmeer registriert bislang vor allem solche Tiere - und nicht die erhofften Zusammenstöße kleinster Teilchen.------------------------------Foto: Wie übergroße Augäpfel sind die Lichtsensoren in die Weiten der Tiefsee gerichtet.