Der türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir zum Rückspiel des FC Bayern München in Istanbul: "Es wird keine Vergeltung für die Aldi-Tüten-Aktion geben"

Beim Champions-League-Hinspiel des FC Bayern gegen Besiktas Istanbul (2:0) Mitte September schwenkten einige hundert Anhänger des deutschen Rekordmeisters Plastiktüten des Lebensmittelkonzerns Aldi. Ein Aktion, die zu heftigen Irritationen in den deutsch-türkischen Beziehungen führte. Die Zeitung "Hürriyet", auflagenstärkstes türkisches Blatt in Europa, erkannte "Rassismus auf der Tribüne". Vor dem Rückspiel am Mittwoch sprach Heinz-Wilhelm Bertram mit dem Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen). Der 31jährige Ludwigsburger, der als Türke in Deutschland geboren wurde, verdankt einem "sehr komplizierten zweijährigen Verfahren" die deutsche Staatsbürgerschaft. Auf den türkischen Paß muß er seither verzichten. Der passionierte Freizeitfußballer Özdemir erwarb sich mit seiner integrativen und konsensfreudigen Arbeit im Bundestag rasch parteienübergreifende Anerkennung.Herr Özdemir, türkische Fußballanhänger gelten als extrem fanatisch. Müssen die Fans des FC Bayern München am Mittwoch in Istanbul Übergriffe befürchten?Alle bisherigen deutsch-türkischen Spiele sind in durchweg vernünftigem Rahmen abgelaufen. Als Galatasaray einmal bei Eintracht Frankfurt spielte und deutsche Fans eine türkische Nationalfahne verbrannten, ließ sich nicht ein Türke provozieren. Das stimmt mich auch für das Spiel der Bayern in Istanbul hoffnungsvoll. Es wird, ich bin ziemlich sicher, nicht Gleiches mit Gleichem vergolten werden.Wie beurteilen Sie als Bundestagsabgeordneter mit türkischer Herkunft die Aldi-Tüten-Aktion?Das hat wieder einmal bewiesen, daß ein kleiner Haufen von Verrückten ausreicht, um eine ganze Tribüne, ja den gesamten Fußball ins schlechte Licht zu rücken. Es ist bedenklich, daß sich das die Mehrheit gefallen ließ.Immerhin hat die Münchner Vereinsführung reagiert.Ich habe das ausdrücklich begrüßt, daß das Präsidium des FC Bayern die Initiatoren dieser Demonstration identifizierte und ihnen für weitere Vergehen Stadionverbot androhte.Die Fans haben sich im nächsten Bundesligaspiel mit einem Transparent entschuldigt. Dennoch hat einer der Initiatoren die Aktion gerechtfertigt: Es habe sich um einen Fußballfans eigenen speziellen Humor gehandelt, jenseits von Politik.Es tut mir leid, da habe ich eine andere Auffassung von Humor. Wir haben in Deutschland seit einiger Zeit erhebliche Probleme zwischen Deutschen und Ausländern, und dann diese Geschmacklosigkeit. Hier wurden zwei Millionen Türken vor der Weltöffentlichkeit beleidigt, denn diese Provokation zielte auf alle in Deutschland lebenden Türken. Geradezu grotesk ist, daß die meisten der türkischen Fans bei diesem Spiel seit ihrer Geburt hier leben und sich nichts mehr wünschen als die deutsche neben der türkischen Staatsangehörigkeit.Sie sehen in der Aktion also mehr als nur Überheblichkeit?Wie die Bundeswehr, in der wir ähnliche Probleme haben, zieht auch der Fußball Leute an, die sich nicht auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Ordnung bewegen. Dennoch sehe ich darin kein typisch deutsches Phänomen. So sind etwa Basketballspiele zwischen Türken und Griechen sehr schwierig, da bricht fast jedesmal der dumpfeste Rassismus durch.Kommen wir zu Erfreulicherem: Der türkische Fußball ist in den vergangenen Jahren erheblich stärker geworden.Wir haben inzwischen zwei, drei Mannschaften, die von ihrer Spielweise und ihren Möglichkeiten her das Prädikat "europäisch" verdienen. Was diesen Teams und auch der Nationalmannschaft noch fehlt, ist Kontinuität. Aber ich bin sicher, daß der türkische Fußball international vor dem Durchbruch steht.