Der Tunesier Ihsan Garnaoui wurde angeklagt, in Deutschland Attentate geplant zu haben. Das Gericht war davon auch überzeugt - und sprach ihn trotzdem frei: Ein vermutlicher Terrorist
BERLIN, 6. April. Ihsan Garnaouis Freude währt nur kurz. Gerade hat ihn das Berliner Kammergericht vom Vorwurf, die Gründung einer terroristischen Vereinigung vorbereitet zu haben, freigesprochen und ihn lediglich wegen rein krimineller Straftaten - Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung, unerlaubte Einreise, illegaler Waffenbesitz - zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.Hastig beugt sich der Tunesier zu seinen Verteidigern vor und tuschelt mit ihnen, ein Lächeln auf dem Gesicht. Von den Anwälten weiß der 34-Jährige, dass, da er nicht vorbestraft ist, bei guter Führung ein Drittel der Haft zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Weil Garnaoui bereits seit gut zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzt, so die Rechnung, könnte er also spätestens in einem halben Jahr auf freien Fuß kommen.Doch schon gleich nach der Urteilsverkündung wirft der Vorsitzende Richter Frank-Michael Libera alle Kalkulationen Garnaouis und seiner Anwälte über den Haufen. Er erlässt einen neuen Haftbefehl gegen den Tunesier und begründet ihn mit Fluchtgefahr: Der streng gläubige Moslem habe Zugang zu Fälscherkreisen und Islamisten, die ihm falsche Papiere besorgen könnten, sagt Libera. Auch habe Garnaoui keine verwandtschaftlichen Bindungen in Deutschland und müsse mit seiner Ausweisung rechnen. Und schließlich, so fügt der Richter noch hinzu, sei ein Straferlass nach zwei Dritteln der Haftzeit "derzeit nicht wahrscheinlich".Das Gesicht des Tunesiers verfinstert sich bei der Urteilsbegründung noch mehr. Garnaoui, sagt Richter Libera, habe sich nach seiner illegalen Einreise nach Deutschland im Januar 2003 "nicht als harmloser Ausländer in der Bundesrepublik aufgehalten, sondern mit dem Plan, im Rahmen des gewalttätigen Dschihad aktiv zu werden und einen Sprengstoffanschlag in Deutschland vorzubereiten". Auch sei der Angeklagte nicht nur ein Mann, der - wie seine Verteidiger sagen - böse Gedanken habe. "Er war auch willens, diese in die Tat umzusetzen."Auf die "bösen Gedanken" des Tunesiers waren die deutschen Behörden bereits Anfang 2003 aufmerksam geworden. Zwei V-Leute des Berliner Landeskriminalamtes berichteten von einem Islamisten, der im Umfeld der Neuköllner Al-Nur-Moschee Kämpfer für den Dschihad werbe und von einer "Aktion" spreche, die er vorbereite. Zur Tarnung habe dieser Mann vor, in einem Nachbarraum der Moschee einen angeblichen "Sportkurs" anzubieten, der in Wahrheit zur Ausbildung der potenziellen Terroristen dienen solle. Mitte März 2003 meldeten die V-Leute, dass Garnaoui seine "Aktion" während einer Demonstration in Berlin gegen den Irak-Krieg plane.Da griffen die Behörden zu. Am 20. März stürmten sie die Wohnungen des Tunesiers in Berlin und Gelsenkirchen und nahmen den Mann fest. Am Abend des gleichen Tages versammelten sich in Berlin 70 000 Menschen zur Demonstration gegen den Irak-Krieg.Ein Beweis für die Vermutung, Garnaoui habe wirklich eine Terrorgruppe gründen wollen und einen Anschlag geplant, konnte in der Hauptverhandlung nicht gefunden werden. Im Gegenteil: Die nähere Überprüfung der V-Mann-Angaben förderte eine Reihe von Widersprüchen und Mutmaßungen zu Tage, die Informationen "zerbröselten" bei genauerer Nachprüfung, wie das Gericht feststellte. Das entscheidende Manko war nämlich, dass beide V-Leute ihre Informationen nur von dritten Personen erhalten hatten. Man zweifle zwar nicht grundsätzlich an der Glaubwürdigkeit der beiden V-Leute, stellte der Richter klar. An der Verlässlichkeit ihrer Informationen habe das Gericht jedoch "erhebliche Zweifel". Garnaoui musste deshalb vom Terrorvorwurf freigesprochen werden.In seiner Urteilsbegründung aber zählte Richter Libera die Indizien auf, die den Tunesier nach wie vor im Zwielicht stehen lassen. So fand man in Garnaouis Wohnung große Mengen an Chemikalien und Düngemitteln, die zur Herstellung von Sprengstoff geeignet sind. Auf seinem Laptop waren Baupläne und Listen mit elektronischen Bauteilen für Zündeinrichtungen gespeichert, er besaß ein Fernglas mit integrierter Digitalkamera, mehrere Casio-Uhren, die in Sprengzündern verwendet werden, sowie eine Waffe. Hinzu kam, dass er im Januar 2003 mit falscher Identität nach Deutschland einreiste.Warum aber kam Garnaoui, der schon einmal hier gelebt, aber alle Kontakte nach Deutschland abgebrochen hatte und sogar mit einem Strafverfahren wegen früherer Schmuggelgeschäfte rechnen musste, überhaupt in die Bundesrepublik zurück?, fragt das Gericht. Und wo war er in der Zwischenzeit? Der Tunesier behauptet, als Koranlehrer in Pakistan gearbeitet zu haben. Die Richter zweifeln daran und neigen den - unbewiesenen - Informationen zu, wonach Garnaoui erst in einem El-Kaida-Trainingslager ausgebildet und dann von der Terrororganisation mit dem Auftrag nach Deutschland geschickt wurde, Attentate zu verüben.Keine Beweise, aber viele Vermutungen. Im Zweifel für den Angeklagten, sagt Richter Libera dann auch - und lässt doch keinen Zweifel daran, wofür er Garnaoui hält: für einen Terroristen.------------------------------Man fand in Garnaouis Wohnung Chemikalien, die zur Herstellung von Sprengstoff geeignet sind. Auf dem Laptop waren Baupläne für Zünd- einrichtungen gespeichert.