"Der wilde Forst ": Elke Erbs Auskünfte in Prosa: Kluge Dichterin spürt Katastrophentriumph

Im Oktober 1991 entstand jener Text, der dem Band den Titel gab: "Der wilde Forst, der tiefe Wald". Das läßt an Hermann Löns denken, aber Elke Erb zitiert lieber Franz von Schober, "Des Jägers Liebeslied" von 1826, der auch ganz markige Zeilen beizusteuern vermag: " kein Ort, der Schutz gewähren kann, / wo meine Büchse zielt, / und dennoch hab ich harter Mann / die Liebe auch gefühlt." Man(n) darf gerührt sein. Es war konsequent und richtig, den Titel dieses wunderschönen Stückchens Prosa, das nichts anderes wiedergibt als die Assoziationen und Überlegungen beim Besuch des Jagdmuseums Grunewald, als Überschrift für das gesamte Buch zu wählen. Tatsächlich stehen diese knapp sieben Seiten für Inhalt und Machart aller Aufsätze, Erläuterungen, Essays, Reden, Tagebuchnotizen und wirklichen Auskünfte über Lyrik, die zwischen 1989 und 1995 entstanden. Die Mehrzahl wurde bereits gedruckt, meist an so entlegener Stelle, daß der Nachdruck in weiten Teilen einer Erstedition gleicht.Einen sonderbar spröden Zauber strahlt diese Prosa aus, der eigentlich durch nichts gerechtfertigt ist. Nach den herkömmlichen Maßstäben ist sie nämlich abwechselnd: hermetisch, anmaßend, ausufernd, geschwätzig, gestelzt, unverständlich, subjektiv - kurz, in einem Maße manieristisch, daß man eigentlich ein kritisches Verdikt fällen müßte. Ich werde mich hüten. Denn diese absolute Rigorosität und Ehrlichkeit, die reflektierte Fülle und auseinanderberstenden Assoziationsketten machen den Reichtum von Elke Erbs Prosa und Lyrik aus, denen sich der Leser freilich überantworten muß. In "Gründlich mit Grund" steigert die Autorin diese Herangehensweise zum Kategorischen Imperativ, demzufolge "man vor einem Text, gleich welcher Art, verharrt, bis man versteht". Wobei Elke Erb voraussetzt, daß es sich immer lohnt, ihn zu verstehen Man spürt in jeder Zeile, daß sie beschlagen ist in den literarischen Theorien der Moderne. Das wußte man zwar schon seit 1981, als sie mit dem Vortrag "Von Erich Arendt bis Sascha Anderson. Die DDR-Lyrik der letzten fünf Jahre" eine Debatte über die - damals - neue Poesie auslöste. Eine der wichtigsten Anthologien der nichtoffiziellen Literatur in der DDR, "Berührung ist nur eine Randerscheinung" (1985), die sie mitherausgab, trug unverkennbar den Stempel ihres Kenntnisreichtums. Doch diese Gelehrtheit kann auch zuviel werden; auf einigen Texten lastet eine allzu schwere Bürde von Anmerkungen und Erläuterungen. " segensreich, Katastrophentriumph" - mit solch einem Crescendo endet das Gedicht "Bessern das Übel" von 1992. Mir scheint diese Zeile sehr passend für eine abschließende Charakterisierung des Bandes. Doch steht zu befürchten, daß es nicht mehr viele Leute gibt, die vor diesem Katastrophentriumph so lange verharren werden, "bis man versteht". Elke Erb: Der wilde Forst, der tiefe Wald. Auskünfte in Prosa. Steidl Verlag, Göttingen 1995. 384 S., 34 Mark. +++