Die Journalistin Jelena Tregubowa greift Putins Regime an und fürchtet derzeit um ihr Leben: Kennen Sie Litwinenko?
Die Adresse "Petrowka 38" hat für Russen denselben Klang wie "Scotland Yard" für Briten. Der Sitz der Moskauer Kriminalpolizei taucht seit Sowjetzeiten in fast allen Krimis auf; und wie früher steht im Innenhof die Büste von Feliks Dzierzynski. In diesem Gebäude wird im Februar 2004 die Journalistin Jelena Tregubowa vernommen. Sie ist am Vortag in ihrer Wohnung knapp einem Bombenanschlag entgangen: Draußen auf der Straße wartete ihr Taxi, drinnen trödelte sie vor dem Spiegel, im Flur explodierte der Sprengsatz. Glück gehabt.Aber die Kriminalpolizei hat merkwürdiger Weise erst auf ihr Drängen hin Interesse gezeigt, sie zu befragen. Und der Beamte kann mit ihren Antworten wenig anfangen. Ob sie jemand zuvor bedroht habe? Naja, sagt Tregubova, der Presseminister Michail Lessin habe ihr ausrichten lassen, mit der Veröffentlichung ihres Buches "Geschichten eines Kreml-Diggers" habe sie sich selbst "zum Abschuss freigegeben". Aber damit habe er hoffentlich bloß ein Berufsverbot gemeint!Der Ermittler hüstelt. Ob sie Feinde habe, Leute, die ihr nicht wohlgesonnen seien? "Na ja, man hat mir erzählt, Putin hätte getobt vor Wut, nachdem er mein Buch gelesen hat." Das Gespräch will nicht recht in Gang kommen. Am Ende, nachdem sie das kurze Protokoll unterschrieben hat, fragt der Ermittler beiläufig: "Kennen Sie einen gewissen Litwinenko?"Jelena Tregubowa kennt Litwinenko nicht, jedenfalls nicht persönlich. Aber dass sie als einfache Journalistin, ohne Geheimdienstkontakte, in höchste Gefahr geraten ist, das hat ihr nun der Mord an Litwinenko aufs Neue bewiesen. In dieser Woche wollte sie nach Deutschland reisen, um ihren Polit-Bestseller vorzustellen. Sie hat, wie ihr deutscher Verlag mitteilt, abgesagt: Der Kontakt zur westlichen Öffentlichkeit stelle "im Moment ein lebensbedrohliches Risiko" dar.Auch ohne ihre Anwesenheit hat das Buch in diesen Tagen hier höchste Aufmerksamkeit verdient. In Russland hat es sie schon erhalten: "Bajki Kremljowskogo Diggera" ("Geschichten eines Kreml-Diggers") wurde seit 2003 mehr als 300 000 Mal verkauft, der Folgeband "Abschied eines Kreml-Diggers" 50 000 Mal allein in den ersten beiden Wochen. Die deutsche Ausgabe "Die Mutanten des Kreml" fasst beide zusammen.Es ist vieles zugleich: ein Porträt Putins, eine Innenschau des Kreml, eine kurze Geschichte des freien Journalismus in Russland, ein heftiges Plädoyer für die Demokratie - und all das im Stil einer Illustrierten. Es ist ein schlecht geschriebenes Meisterwerk, das die Mechanismen der Macht bloßlegt, indem es allein von Personen spricht, vor allem von der Person der Autorin, die mit einem riesigen Selbstvertrauen gesegnet ist. Es ist spannend, sehr komisch und sehr deprimierend.Tregubowa gehörte mehrere Jahre zum Zirkel der im Kreml akkreditierten Journalisten, die meiste Zeit für die angesehene Tageszeitung "Kommersant". Geboren 1973, begann sie in den frühen Neunzigern zu schreiben. Sie hat also die Entstehung eines freien Journalismus in Russland miterlebt, dann dessen fette Jahre nach Jelzins Wiederwahl 1996, als alle Spesen von widerstreitenden Oligarchen gedeckt wurden, und schließlich sein Verschwinden unter Putin. Sie hat Jelzin auf Reisen begleitet und von nahem gesehen, wie todkrank und vollkommen unzurechnungsfähig er war, aber auch wie charismatisch und aufrichtig interessiert an freien Medien. Und sie hat Putin von nahem gesehen - näher und früher als andere. Das hat für die russischen Leser den Reiz und die Sprengkraft ihres Buches ausgemacht: Sich auszumalen, wie Putin 1998 - damals noch Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB - die schöne Journalistin einlädt, den "Tag des Tschekisten" zu feiern, wie er zuerst in einem abgesperrten Sushi-Restaurant lange auf sie warten muss und anschließend vor einem Schuh-Service, weil ihr Absatz gebrochen ist. Die Flirt-Situation zwischen "Lenotschka" und "Wolodja" macht aus dem künftigen Präsidenten einen Mann wie andere auch, einen eher uninteressanten sogar, wie Tregubowa mit weiblicher Kälte konstatiert: "billiger Hinterhofcharme", "normaler Intellekt", "durchschnittliche sowjetische Bildung". Seine Judo-Künste nimmt sie dem schmächtigen Mann nicht ab, so wie sie ihn auch politisch für überschätzt hält. Immerhin kann er, typisch Geheimdienstler, die Mimik seines Gegenübers kopieren und dadurch Nähe suggerieren. Im Fernsehen dagegen versagt er - es fehlt ihm die emotionale Wärme, die Jelzin besaß.Als Putin 2000 Jelzin ablöst, verliert Tregubowa ihre Akkreditierung im Kreml. Im Herbst 2003, als ihr Buch erscheint, verliert sie auch noch ihre Stelle beim "Kommersant". Der Wirbel um das Buch lässt sich allerdings nicht unterdrücken. Es zirkuliert zunächst wie ein Samisdat-Text in Kopien. Noch mehr Wirbel verursacht die plötzliche Absetzung der NTW-Sendung "Namedni", wo Tregubowa in der nachgebauten Umgebung eines Sushi-Restaurants interviewt worden ist.Schlimmer als die Zensur aber, so liest man bei Tregubowa, ist die Bereitschaft der Journalisten, sie hinzunehmen. Wer im Kreml-Pool arbeitet, der muss das Handwerk des Höflings beherrschen, sich demütigen lassen. Fassungslos beobachtet sie die Re-Sowjetisierung der Sprache - "Entkulakisierung" heißt die Entmachtung der Oligarchen - und des Verhaltens. Schon dass ihre Zeitung ausländische Kommentare abdruckt, bringt der Korrespondentin eine Rüge des Kreml-Sprechers ein."Die Mutanten des Kreml" ist ein Warnruf gegen Diktatur im Pop-Format; die Autorin vergleicht den Illustrierten-Stil mit dem süßen Überzug über einer bitteren Pille. Er war wohl nötig. Wer Freunde unter Oligarchen hat, sich laufend zur Demokratie bekennt und auch zum Wert von frischgepresstem Orangensaft, macht sich in Russland eher Feinde. Dass eine verwestlichte "Jet-Set-Schnepfe" (Tregubowa) als einzigen Verlag "Ad Marginem" fand, wo die Nationalbolschewisten Eduard Limonov und Alexander Prochanow veröffentlichen, zeigt schon, wie schlecht es um die Freiheit in Russland bestellt ist.Ihr deutscher Verlag, Tropen, hat den Kontakt zur Autorin verloren. Sie ist offenbar untergetaucht.------------------------------Die Mutanten des KremlDer Erfahrungsbericht der Kreml-Korrespondentin erschien in Russland Ende 2003 und wurde zum Bestseller. Die Autorin entging 2004 einem Bombenanschlag und veröffentlichte daraufhin einen Folgeband.Im Tropen Verlag, Berlin, erschienen beide Bände als: Elena Tregubova, Die Mutanten des Kreml. Mein Leben in Putins Reich. Aus dem Russ. von Olga Radetzkaja und Franziska Zwerg. 379 Seiten, 19,80 Euro.------------------------------Foto: Mit den Waffen der Frau gegen den Kreml: Jelena Tregubowa.