Die Kirche im havelländischen Milow ist ab heute eine Sparkasse: Geld statt Gott
MILOW. Der Geldautomat steht im Altarraum. Neben ihm ist der Briefkasten für die Überweisungen in die Mauer eingelassen. Die Wände der ehemaligen Apsis sind mit weißer Raufaser tapeziert, die rötlichen Bodenfliesen sehen pflegeleicht aus. Im Sparkassenjargon heißt dieser Raum SB-Foyer, SB für Selbstbedienung. Nur die verwitterte Gedenktafel an der Stirnseite des Raums wirkt hier wie ein Fremdkörper. Die lateinische Inschrift von 1770 erinnert an die Erbauer der Kirche. Heute eröffnet in diesem Gebäude die Mittelbrandenburgische Sparkasse ihre neue Geschäftsstelle in der havelländischen Ortschaft Milow.Fünf Jahre lang haben die drei Sparkassen-Mitarbeiterinnen in einem Container gesessen. Eng sei es dort gewesen und nicht einmal einen eigenen Kundenberatungsraum hätten sie dort gehabt, sagt die Filialleiterin Angelika Nodorft. Der neue Beratungsraum liegt jetzt hinter Panzerglas vor der ehemaligen Empore, dort wo einst die Gläubigen den Gottesdienst verfolgten. "Was das Gebäude früher war, interessiert mich nicht", sagt Frau Nodorft. Es klingt ein wenig trotzig. Die Kassiererin dagegen schlägt einen unbefangenen Ton an. "Ich bin nicht kirchlich", sagt sie. "Ich kann es mit meinem Gewissen vereinbaren, in der Kirche zu arbeiten." Niemand stört sich am UmbauIn Milow wurde eine Kirche zu einer Sparkasse umgebaut und niemand stört sich daran. Es gibt noch eine zweite Kirche im Ort. Hübsch gepflegt steht sie am Ortseingang. Die 30 der 300 Kirchenmitglieder, die sonntags zum Gottesdienst gehen, haben hier mühelos Platz. Noch ein Gotteshaus wird nicht gebraucht. Man hätte es auch abreißen können. Selbst die Kirche hatte eine solche Lösung schon erwogen. Der Pfarrer ist bemüht, die neue Nutzung für etwas ganz Normales zu halten. Er freue sich über das frisch renovierte Gebäude, sagt Eckhard Barsch. "Nun bleibt die Kirche wenigstens stehen." Für ihn sei das Gotteshaus seit den sechziger Jahren kein heiliger Ort mehr. Damals ist die Kirche formal entwidmet worden. "Eine Kirche ist für mich dort, wo Gottesdienste stattfinden", sagt Barsch. Jesus habe zwar die Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben. "Aber der Tempel hat noch funktioniert." Der Erhalt zweier Kirchen in dem kleinen Ort habe seine Gemeinde überfordert. Der Milower Amtsdirektor Günter Geib unterstützt ihn. "Wir haben die Entscheidung jahrzehntelang vor uns hergeschoben." Geib selbst ist in der Leopoldsburger Kirche konfirmiert worden. "Ich hänge auch an dem Haus", sagt er. "Aber einmal muss auch die Vernunft regieren."Als Möbellager genutztDie Leopoldsburger Kirche wurde im 18. Jahrhundert von Kolonisten aus Anhalt-Dessau erbaut. Sie errichteten ein schlichtes Gebäude. Nichts sollte die Kirchgänger von Gottes Wort ablenken. Leopoldsburg war damals ein eigenes Dorf, wurde erst 1914 mit Milow zusammengelegt. Doch die Kirche in Leopoldsburg beschäftigte nur 40 Jahre lang einen eigenen Pfarrer. Die Calvinisten aus Leopoldsburg feierten bald gemeinsam mit den Lutheranern aus Alt-Milow ihre Gottesdienste. Bis 1964 fanden diese abwechselnd in einer der beiden Kirchen statt. Dann wurde die Leopoldsburger Kirche aufgegeben. Sie war wegen des hohen Grundwasserstandes auf Pfählen gebaut worden, das Mauerwerk hatte deshalb mit den Jahren Risse bekommen. Der Kirchturm wurde wegen Baufälligkeit schon Mitte der 50er-Jahre zur Hälfte abgetragen. Zu DDR-Zeiten vermietete die Kirchengemeinde das Gebäude als Möbellager.Anfang der 90er-Jahre stellte Pfarrer Barsch im Namen der Kirchengemeinde den ersten Abrissantrag. Er wurde vom Bauamt genehmigt, doch dann schritt die Denkmalbehörde ein. Die Kirche blieb stehen. Im vergangenen Jahr fand die Kirche einen Investor aus Westdeutschland. Der wollte an der Stelle der Kirche einen Supermarkt bauen, bekam Gebäude und Grundstück für 100 000 Mark.Doch auch der zweite Abrissantrag stieß auf Widerstand. Der Landeskonservator rief den Kulturminister zu Hilfe. Ein solcher Präzedenzfall müsse verhindert werden. Wieder kam es nicht zum Abriss. Der Supermarkt steht jetzt neben der Kirche und der Investor baute das Gebäude für die Sparkasse um. Keine AlternativeAus kirchlicher Sicht sei das sicher keine Ideallösung, sagt der Sprecher der Landeskirche Berlin-Brandenburg, Reinhard Stawinski. "Aber was wäre die Alternative gewesen, angesichts unserer Finanzlage?" An die 1 500 Gotteshäuser gibt es in Brandenburg, und obwohl die Landeskirche, Bund und Land seit der Wende rund 500 Millionen Mark investiert haben, sind rund 200 von ihnen in einem baulich schlechten Zustand. Und die Pfarrer finden nicht mehr genügend Gläubige, die die Kirchen am Sonntag füllen. Nur rund 25 Prozent der Bevölkerung in Ostdeutschland gehören einer christlichen Kirche an.Großzügige Förderer wie im Falle der Kirche von Seelow sind selten. Dort wurde der Gründer des Otto-Versandes getauft. Nach der Wende spendete Werner Otto über eine Million Mark für den Aufbau des Kirchturms. In Müncheberg engagierten sich Kommune und Kirchengemeinde gemeinsam. In der St. Marienkirche ist heute die Gemeindebibliothek untergebracht. Im Dachgeschoss der Netzebander Dorfkirche hat sich ein Architekt sein Büro eingerichtet, das Kirchenschiff wird für Ausstellungen und Konzerte genutzt.Den Denkmalpflegern ist die religiöse Nutzung nicht wichtig. Ihnen geht es allein um den Erhalt eines Gebäudes. Wenn die Substanz nicht beeinträchtigt wird, spreche deshalb auch nichts gegen eine Sparkasse in einer Kirche, sagt Ernst Wipprecht vom Landesamt für Denkmalpflege in Wünsdorf. Nur die rote Sparkassen-Leuchtreklame lehnten die Denkmalschützer ab. Stattdessen weist ein Schriftzug aus Kupfer auf den neuen Hausherrn hin.