Die neue Zuversichtskampagne schafft Beklommenheit statt guter Laune: Mach hinne, Deutschland

Es ist schrecklich, wie die Deutschen mit sich hadern. Noch schrecklicher aber wird es, wenn sie damit plötzlich aufhören. An diese häufig gemachte Beobachtung muss wieder denken, wer unversehens zum Opfer der neuen Kampagne "Du bist Deutschland" wird. Da lümmelt man halb schon abwesend vor dem Fernseher, schön reif für die Heia, und dann kommt es: "Du bist das Wunder von Deutschland", tönt es vom Bildschirm, und tatsächlich: Die meinen dich und mich, jeweils ganz persönlich: "Nicht die anderen, du bist es: Du bist Deutschland!" - "Runter von der Bremse!" macht einen ausgerechnet ein Kind an, und eine Radfahrerin - sicherheitshalber mit Helm - verkündet: "Es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Deutschlandbahn!"Dann erscheint auch schon Kati Witt und spricht zu dir, dem alten Hänger: "Wie wär's, wenn du dich mal wieder selbst anfeuerst?" Och nöö, ächzt es aus deinem Innern, aber schon spricht es wieder auf dich ein: "Du bist von allem ein Teil", sagt es, und dieses Alles zeigt auf dich wie einst Uncle Sam mit seinem knorrigen Zeigefinger, der neues Futter für die Army aussuchte. Jetzt will man ganz von der Couch herunterrutschen, nichts wie raus aus dem Sichtfeld, aber schon fährt die Stimme fort: "Und alles ist ein Teil von dir. Du bist Deutschland. Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern."Aber ich bin doch nicht Nietzsche und auch nicht Uri Geller, der die Gabeln verbog mit nichts als seinem Willen. "Bring die beste Leistung, zu der du fähig bist", sagt der Dirigent Justus Frantz, nun versöhnlich wie ein Trainer, der des vielen Anraunzens müde ist. Und immer mehr Prominente treten hinzu und fordern dich auf: "Wenn du damit fertig bist, übertriff dich selbst. Schlag mit deinen Flügeln und reiß Bäume aus. Du bist die Flügel, du bist der Baum. Du bist Deutschland."Dann ist der Spuk vorbei. Du reibst Dir entgeistert die Augen. Was war das denn? Das war der Start der größten Sozialkampagne, die je in diesem Land geplant wurde. 25 Medienunternehmen, die großen Konzerne, Spiegel, FAZ, SZ und WAZ sowie die öffentlich-rechtlichen und die großen privaten Fernsehsender wollen mit der Aktion "Du bist Deutschland" für bessere Stimmung im Land sorgen. Es ist die Antwort der geballten Medienmacht auf die deutsche Misere, den Mangel an Zuversicht. Es ist leider aber auch eine Verhöhnung des Publikums.An den berechtigten Motiven für die Kampagne ist kaum zu zweifeln. Die Wirtschaftskonjunktur ist stimmungsabhängig und der Rohstoff Zuversicht in Deutschland knapper als das Öl. Würden wir uns weniger Sorgen um die Zukunft machen, wäre diese vermutlich sicherer. Doch wer von uns, dem täglich vorgerechnet wird, wie prekär es allein um die Altersversorgung steht, möchte sich auf diese Vermutung verlassen und die Sorge, dieses Konjunkturgift, fahren lassen? Der Wirtschaft und ganz vorneweg der Werbewirtschaft sind Menschen wie Hans im Glück dagegen lieber. Ihre sonnige Bedenkenlosigkeit belebte das Geschäft. Verständlich ist auch, dass es Werbeprofis wie den beteiligten Agenturen Jung von Matt und kempertrautmann in den Fingern jucken muss, wenn sie Angela Merkel im Interview sagen hören: "Ich kann nicht alle Aspekte der Zuversicht abdecken." Wir, denken sie da, wir können.Zuversicht gründet tatsächlich auf dem Leistungsprinzip, an das in der Kampagne beständig appelliert wird. Wer darauf vertrauen kann, dass seine Anstrengungen etwas nützen, der schöpft Selbstvertrauen und wird so risikofreudig, mobil und flexibel, wie es die Kampagne verlangt. Aber diese Erfahrung können viele Deutsche schon lange nicht mehr machen. Das Leistungsprinzip wird außer Kraft gesetzt. Es gibt - wem muss man das sagen? - zu wenig Arbeitsstellen, in denen sich Menschen bewähren und aufsteigen könnten. Alternative Arbeitsstrukturen sind erst rudimentär entwickelt, sieht man vom Schwarzmarkt ab. Und auch bei den Beschäftigten ist das Gefühl verbreitet, ihre Zukunft hänge eben nicht davon ab, wie sehr sie sich abrackerten. In dieser Lage mit dem Appell zu kommen, man möge sich doch Feuer unterm Hintern machen und Bäume ausreißen, bedeutet nichts als eine Aufforderung zum Vandalismus. Denn als Metapher für Leistungskraft hat das Bäume-Ausreißen im Leben vieler Menschen leider keinen Platz mehr.Gegen das bislang ungelöste Drama der Erosion des Leistungsprinzips hilft kein mentales Training im fatalen Glauben, die Stimmung bestimme das Sein. Selbst wenn das zuträfe, schlüge die Kampagne fehl, denn sie löst Beklemmung aus, nicht Zuversicht. Es schafft kein Vertrauen, wenn erlebt, wie führende Prominente gegen Realitäten anschwärmen. Sicher ist es richtig, dass die Deutschen oft zu viel vom Staat erwarten und zu wenig sich selbst in der Verantwortung fühlen. Viele Schulen wären sauberer, wenn die Eltern sich zusammenschlössen und mal selber Hand anlegten. Aber dieser Habitus ist in einem Land, das einmal fast ausschließlich vom Arbeitsethos zehrte, nicht der Kern des Problems .Das Ergebnis der Bundestagswahlen, bei dem Rechtsradikale so gut wie keine Rolle spielten, zeigt im übrigen an, dass die Stimmung im Land besser ist als unter den führenden Medienleuten. Wenn die Medien sich über die Stimmungslage grämen, sollten sie sich fragen, ob es nicht auch ihr Stil der Inszenierung und Diskreditierung von Politik ist, der zum Vertrauensverlust der Deutschen beigetragen haben könnte. Da nützt es nichts zu fordern, "dass wir lieben, was wir sind, was wir wollen und was wir sein werden." Das ist Selbstberauschung pur: Wie soll ich etwas lieben, das ich nicht kenne, meine Mitmenschen der Zukunft?Damit diese Entgrenzungs- und Volkskörperrhetorik nicht an frühere Versuche erinnert, sich mit Stiefel, Spaten und pathetischer Selbstliebe aus dem Sumpf herauszuarbeiten, lässt man beim TV-Spot einen Sprachbehinderten, einen Schwarzen und einen bekennenden Homosexuellen aus dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmal heraus in den Reigen der Predigerslogans mit einstimmen. Ich, Deutschland, lasse mich von solchen Tricks aber nicht übertölpeln.------------------------------Du bist DeutschlandDie bislang größte Sozialkampagne startete am vergangenen Montag auf zehn Fernsehsendern. Sie wird bis zum Januar 2006 laufen.Getragen wird die Mach-was-Kampagne von den 25 größten Medienunternehmen, die für umgerechnete 30 Millionen Euro Werbeplätze zur Verfügung stellen.Mehr als 30 Prominente machen honorarfrei mit, darunter Oliver Kahn, Ulrich Wickert, Maria Furtwängler, Kool Savas, Marcel Reich-Ranicki, Harald Schmidt, Xavier Naidoo, Walter Kempowski, Yvonne Catterfeld, Sarah Connor.Die Spots und Anzeigen sind zu sehen unter: www.du-bist-deutschland.de------------------------------Foto: Ein Motiv aus der Printkampagne: Der Angestellte wird zum Unternehmer Thyssen . Wenn du Deutschland bist und alle sind gleich, ist auch die spirituelle Umverteilung möglich. Wir sind ja bekanntlich auch Papst.