Die Rapa das Bestas ist für viele das Fest des Jahres - und für Tierschützer ein Graus: Galicisches Rodeo

Scheppernd kündet die Glocke des Kirchleins San Lorenzo sechs Uhr. An diesem frühen Samstagmorgen sind in Sabucedo schon Aberhunderte auf den Beinen. So viele Besucher sieht der kleine Flecken sonst im ganzen Jahr nicht. Denn in Sabucedo, wie das gesamte galicische Hinterland von der Landflucht geschlagen, leben nur noch zwei Dutzend Familien. Heute aber strömen Verwandte, Bekannte und Schaulustige aus allen Himmelsrichtungen herbei. Alle wollen die legendäre Rapa das Bestas, das alljährliche Treiben der Wildpferde, erleben. Reiter galoppieren durch die Gassen; ein sichtlich angeheiterter Mann lässt Raketen in die Dämmerung steigen. Was dem Nichteingeweihten chaotisch vorkommt, folgt in Wahrheit einem uralten Ritual. Die Treiber, die - zu Fuß oder beritten - die Wildpferde holen sollen, sind längst unterwegs. Unter Führung des Bestilleiros, meist ein älterer, erfahrener Mannes, pirschen sie sich in den Bergen an die Herden heran und kreisen sie ein. Bald machen sich auch die Zuschauer auf den Weg. Diese Prozession ganzer Dörfer mit Alt und Jung hinauf zum Licht, zum Gipfel hat für den Betrachter etwas Mythisches. Sanft ansteigend geht es über schmale Pfade durch hohe Farne und taufeuchte Wiesen weit hinein in unbewohntes Bergland. Auf einem kahlen Hochplateau versammelt sich die Gemeinde. Man plaudert, wartet oder probiert deftige Leckerbissen. Plötzlich gellen Pfiffe und Schreie, vom Gipfel her jagt die erste Pferdeherde heran, von Reitern gedrängt, eingehüllt in eine Staubwolke. Die Zuschauer stieben auseinander, durch die entstandene Gasse laufen die Tiere in vollem Galopp direkt in den Corral, einen Pferch aus Maschendraht. Den Pferden ist die Nervosität anzusehen. Wiehern und Schnauben erfüllt die Luft, sie tänzeln, laufen umher, Fohlen suchen Schutz bei der Mutter. So wird im Laufe des Vormittags eine Herde nach der anderen herabgetrieben. Nahezu tausend Tiere dieser kleinen Pferderasse mit dichtem braunen Haar, von den Galiciern Garañons genannt, sollen allein in dieser Gegend in den Bergen leben. Die Besitzer bahnen sich einen Weg durch die Tiere, um ihre Pferde ausfindig zu machen und die Fohlen zu kennzeichnen. Auf ihren Wink wirft sich ein Mann auf das Tier und verdeckt mit dem Arm dessen Augen. Ein Zweiter zieht die sich sträubende Kreatur am Schweif, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Liegt das Pferd am Boden, hält ein Dritter die Hinterläufe fest. Diese Prozedur spielt sich an dem Tag Hunderte Male ab. Mit der Schere werden die Mähne und der Schwanz gestutzt und das Zeichen des Eigentümers ins Fell geschnitten. Die Zeiten, da die Wildpferde mit glühenden Brandeisen markiert wurden, sind vorbei. Tierschützern bleibt die Rapa dennoch ein Graus. Für die Pferde, die das ganze Jahr über in Freiheit leben, sei das Spektakel furchtbarer Stress, argumentieren sie und fordern sein Verbot. Den Hiesigen scheint es dagegen unvorstellbar, dass es keine Rapa mehr geben könnte. Das Fest gehört einfach zu ihrem Leben. Während die jungen weiblichen Tiere wieder in die Berge getrieben werden, sind die jungen Hengste zum Verkauf bestimmt, erklärt Serafim Obelledo. Sie werden geschlachtet, ihr süßes Fleisch ist gefragt. Reich werden kann man von der Zucht der Wildpferde freilich nicht. Bestenfalls 90 Euro gibt es für einen Hengst. Serafim, Nebenerwerbslandwirt und Maurer, hat drei junge Hengste in seiner Herde. Einer davon ist vor kurzem von Wölfen angegriffen worden. Serafim deutet betrübt auf das Fohlen, aus dessen hinterem Oberschenkel ein riesiges Stück Fleisch herausgerissen ist. Der Wildpferdebestand wird so von den grauen Räubern reguliert. Denn die Pferde haben, erläutert Serafim, nicht zuletzt die Funktion, die Wölfe von den Siedlungen fernzuhalten. In letzter Zeit steigen die Tiere allerdings auf der Suche nach Futter oft ins Tal, weil sich oben am Berg Gestrüpp breit macht und die Wölfe folgen ihnen...Unten im Tal ist mittlerweile ein Volksfest im Gange. Auf der Dorfstraße bilden viele hundert Menschen Spalier, auf den Mauersimsen ist jeder Zentimeter besetzt. Denn jetzt kommen die Hengste vom Berg herab, sie werden durch Sabucedo getrieben hin zum Curro, der einer Stierkampfarena ähnelt. Immer mehr Pferde strömen hinein, bis sie eine einzige wilde Woge bilden. In der Enge beißen manche Hengste, keilen aus. Das Amphitheater ist bis auf den letzten Platz belegt; eine galicische Folkkapelle mit Dudelsäcken spielt auf, das Publikum macht die Stadionwelle. Unter dem Jubel der Massen werfen sich Wagemutige in den Strom aus Tierleibern. Bei der Rapa das Bestas geht es ähnlich wie beim Stierkampf vor allem um eines - die Unterwerfung des wilden Tieres, um das Beweisen von Kraft, Mut, Männlichkeit. Wenn sich einer der Pferdebändiger wie beim Rodeo auf ein Tier wirft, es bändigt und mit Hilfe anderer zu Fall bringt, kann er sich des donnernden Beifalls des Publikums gewiss sein. Die Pferde haben weder Sattel noch Zaumzeug, so krallen sich die Männer - und im Ausnahmefall auch Frauen - beim Reiten im Fell fest. Muskeln und Sehnen von Mensch und Tier sind bis zum Äußersten gespannt. Halbwüchsige testen ihre Kräfte und ihren Mut an den Fohlen. Wenn sie sich geschickt anstellen, sind sie die Pferdebändiger von morgen. Bei manchem Jungen, dem es nicht gleich glückt, ein Fohlen zu bezwingen, fließen Tränen. Dabei achten die Erwachsenen darauf, dass die Kinder nicht von den Pferden getreten werden, und doch wird einer von einem Huf am Kopf getroffen. Je riskanter eine Aktion, je stärker das zu Boden gebrachte Pferd, desto größer der Applaus. Oft springen die galicischen Cowboys von einem Pferderücken zum anderen, bis sie das ausgesuchte Tier erreicht haben. Ein besonders mutiger Bursche hechtet aus dem Publikum auf einen Hengst. "Die Männer, die auf die Pferde springen, sind wilder als die Tiere", meint ein Zuschauer und schnalzt anerkennend mit der Zunge. Erst die einbrechende Dunkelheit und die Erschöpfung der Akteure setzen dem Treiben ein Ende. ------------------------------SERVICE // Die Rapa das Bestas wird in Subucedo jeweils am ersten Juliwochenende gefeiert. Es gibt zahlreiche weitere Orte, die das Fest auf ähnliche Weise begehen. Die bekanntesten sind A Valga, Torroña, Mougas, Morgadans, Amil in der Provinz Pontevedra; 0 Barbanza und A Capelada in der Provinz A Coruña; Candaoso in der Provinz Lugo. Die Wildpferde haben für die Galicier seit jeher spirituelle Bedeutung. Schon die Kelten sollen Pferde zu Tale getrieben haben, um sie den Göttern zu opfern. Zum ursprünglich heidnischen Fest der Rapa gibt es aber auch eine christliche Legende: Während einer verheerenden Pest beteten zwei Schwestern zum Heiligen Lorenzo und versprachen ihm ein Pferdepaar, falls dieser die Seuche beenden könnte. Die Tiere gingen in die Berge, vermehrten sich und wurden so die Urahnen der heutigen Wildpferdepopulationen. Anreise: Flug mit Iberia über Madrid oder Barcelona nach Santiago de Compostela.Auskünfte: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Tel.: 030/882 65 43.Turgalicia, Tel.: 0034/981542500 Für Unterkünfte auf dem Lande hat Turgalicia eine Zentralstelle für Buchungen, Tel.: 0034/9 02 20 04 32.Im Internet: www.turgalicia.es (mit deutscher Seite)------------------------------Foto (2): Je gewagter die Aktion der Männer, desto größer ist der Beifall der Zuschauer in der Arena.An normalen Tagen ist Sabucedo ein kleines verschlafenes Dorf, in dem gerade noch zwei Dutzend Familien wohnen.