Die Zeitschleifen der Dichterin

RALF SCHENK über Christa Wolf und ihre Arbeiten für den FilmFür Christa Wolf muss es eine glückliche Zeit gewesen sein, als sie von der Defa eingeladen wurde, ihre Erzählung "Der geteilte Himmel" zum Film zu verarbeiten. Im Sommer 1964, drei Monate vor der Premiere, schwärmte sie auf einem Plenum der Akademie der Künste von den Diskussionen mit dem Regisseur Konrad Wolf und den anderen, und davon, dass man sie gezwungen habe, "näher an meine Intention heranzukommen und immer noch deutlicher zu sagen und mit filmischen Mitteln auszusprechen, was ich denn nun wirklich wollte". Das Resultat war außerordentlich: Mit einer bei der Defa nie gekannten Offenheit berührte der Film Wunden der DDR-Gesellschaft, reflektierte über existenzielle Konflikte junger Leute, die ihre Wurzeln auch in politischem Opportunismus, Intoleranz und Heuchelei hatten. Dabei war "Der geteilte Himmel" von der Hoffnung auf eine Reformierbarkeit des Systems geprägt: Der Film plädierte, wie das Buch, für jenen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", der für viele, nicht nur in der DDR, denkbar und möglich war.Zum 80. Geburtstag der Autorin schlägt nun eine Filmreihe den Bogen von den Hoffnungen der frühen 1960er bis zum Ende der DDR: "Zeitschleifen - Im Dialog mit Christa Wolf" (1990/91) von Karlheinz Mund befragt die Autorin zu den Brüchen in ihrem Leben, ihren Empfindungen im Herbst 1989, wo es einen Moment so schien, als ob die Utopie zur Wirklichkeit werden könnte, oder, wie Christa Wolf im Film sagt, "die Zukunft in die Gegenwart geschoben" wird. Allerdings wurde der Traum noch während der Dreharbeiten von der Realität eingeholt: "Diese Zukunft ist zurückgedrängt worden. Die Gegenwart, die materielle und andere Bedürfnisse befriedigen muss, hat jetzt das ganze Feld, fast das ganze Feld." - "Zeitschleifen" vermittelt viel genauer, wie vor zwanzig Jahren gedacht, gefühlt wurde, als alle Erinnerungssendungen des heutigen Fernsehens zusammen.In "Zeitschleifen" spricht Christa Wolf auch ausführlich über "Fräulein Schmetterling", das Nachfolgeprojekt des "Geteilten Himmels" bei der Defa, das nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 verboten worden war. Die Geschichte zweier Schwestern, die sich ihren eigenen Weg ins Leben suchen und nicht der staatlichen Lenkungsmaschinerie unterordnen wollen, enthalte, so hieß es damals in einem Gutachten, "keine klare parteiliche Sicht auf unsere sozialistische Wirklichkeit", sondern reflektiere vielmehr die bürgerliche Entfremdungstheorie: "Die kritischen Aussagen müssen sich deshalb objektiv gegen die sozialistische Gesellschaft, deren Staatsmacht und gegen die führende Rolle der Partei wenden. Die Zuschauer werden praktisch aufgefordert, zwischen der Führung unseres Staates und der Partei und den breiten Volksmassen eine Kluft zu sehen und sich in ihren Handlungen von einem derartig gestörten Verhältnis bestimmen zu lassen." Dass die Beziehungen zwischen Christa Wolf und der Defa durch dieses Zensorengeschütz Schaden nahmen, versteht sich.Dennoch arbeiteten sie und ihr Mann Gerhard Wolf danach noch an der filmischen Adaption des Anna-Seghers-Romans "Die Toten bleiben jung" (1968, Regie: Joachim Kunert) mit und entwarfen für Rainer Simon das zweiteilige Szenarium "Till Eulenspiegel" (1975), ein "großes episches Zeitgemälde, in dem sich die listenreichen Späße des Helden nur noch wie leuchtende Farbtupfer ausnahmen" (Dieter Wolf). Da aber die Defa die Produktionskosten von rund neun Millionen Mark nicht aufbringen konnte und sich vor einem Zweiteiler im Kino scheute, entstand schließlich ein einteiliger Film, der frech und unfromm für den Mut vor Herrscherthronen plädierte - eine wunderbare Parabel.Christa Wolf - eine filmische Hommage zum 80. Geburtstag Babylon-Mitte ab Do 20.30 Uhr.------------------------------Foto: Die Schriftstellerin Christa Wolf im Jahr 2008 in der Akademie der Künste in Berlin