Diese tiefe, russische Traurigkeit: DEUTSCHES THEATER Die falsche Hoffnung heißt Japan: Konstanze Lauterbach über ihre Inszenierung von Alexander Galins "Casting".
Konstanze Lauterbach inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung von Alexander Galins "Casting" (Premiere am 14. April in den Kammerspielen des Deutschen Theaters). Gecastet werden wollen in dieser bitterbösen Komödie Frauen aus einer russischen Provinzstadt Mitte der neunziger Jahre. Auf eine Zeitungsanzeige hin, in der Frauen für exklusive Nightshows in Japan gesucht werden, haben sie sich in einem zugigen Kino aus sowjetischen Zeiten versammelt. Es wird ihnen schnell klargemacht, dass sie nicht den Vorstellungen der japanischen Auftraggeber entsprechen; die Frauen jedoch sind nicht gewillt, sich mit dieser Abfuhr zufrieden zu geben. Als auch noch einige angetrunkene Ehemänner auf der Bildfläche erscheinen, droht die Situation zu eskalieren .Der Moskauer Autor Alexander Galin, der 1978 mit seiner Komödie "Einmal Moskau und zurück" zu einem der populärsten und wichtigsten Gegenwartsdramatiker der ehemaligen Sowjetunion wurde, fühlt sich der Tradition von Gogol und Dostojewski verbunden. Seine psychologisch präzise gearbeiteten Figuren gehören meistens gesellschaftlichen Randgruppen an, bei denen Tragisches und Komisches eng verknüpft sind. Jede vordergründige Ideologisierung lehnt er entschieden ab: "Ich ziehe ein Theater vor, in dem die allgemeinen sozialen, politischen Momente sich im konkreten Leben auflösen. Mich interessiert nicht, die gesellschaftlichen Gründe, sondern die individuellen Folgen zu sehen, die auf die Gründe zurückschließen lassen."Die Regisseurin Konstanze Lauterbach erhielt am 10. März den Caroline-Neuber-Preis der Stadt Leipzig. Der Preis wird alle zwei Jahre für hervorragende Arbeit von Frauen am Theater verliehen. Mit russischer Gegenwartsdramatik hat Lauterbach sich immer wieder auseinander gesetzt. Von Alexander Galin inszenierte sie bereits 1995 "Sterne am Morgenhimmel". Über "Casting" sprach mit ihr die Dramaturgin Bettina Schültke.Wovon handelt aus Ihrer Sicht die Komödie "Casting"?Das Stück ist ein großer Rummelplatz der Hoffnungen und Enttäuschungen von Menschen, die aus der Zeit gefallen sind. Alle Generationen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten prallen aufeinander. Es sind einfache Frauen darunter, die einen Riesenschritt wagen, die aus dem brüchigen Schneckenhaus ihrer Ehen heraustreten, die an einem Punkt angekommen sind, wo sie keine andere Wahl mehr haben, als alles aufs Spiel zu setzen. Galin erzählt die Geschichte von Täuschungen und Selbsttäuschungen, von Menschen, die ihre einstigen Lebenssicherheiten verloren haben und am Abgrund balancieren.Gibt es für die Figuren auch in Zeiten veränderter politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse keine Hoffnung?Die Frauen haben den Anschluss an die neue Zeit verpasst und können sich nicht damit abfinden, nicht mehr gebraucht zu werden. Gleichzeitig wissen sie, dass sie ohne Hoffnung auch nicht leben können. Wie die heruntergekommene ehemalige Geologin Warja Wolkowa sagt: "Unserer Generation hat man gesagt: Ihr werdet im Kommunismus leben. Ihnen sagt man: Ihr werdet im Kapitalismus leben. Hauptsache, meine Mädels haben Hoffnung. Es kann nicht sein, dass es die Kinder schlechter haben als wir ."Wie wichtig sind Ihnen die Schmerzpunkte der Figuren?Die Tiefe des Stückes entsteht durch den existenziellen Überlebenskampf der Frauen. Galin zeigt eine soziale Totalauflösung und die dadurch verursachten und hervorgerufenen Leiden. Im Mittelpunkt stehen Figuren, die ihren Platz an der Sonne erst neu suchen müssen. Nach der radikalen Demontage alter Werte sind die Menschen sofort wieder bereit, sich neuen Illusionen, einer neuen Religion, hinzugeben, diesmal heißen sie "Japan", bzw. "Singapur". Minute für Minute haben die Frauen sich ihre eigene Erniedrigung vor Augen geführt; gewaltsam versuchen die, den Zipfel einer Lebenschance zu ergreifen, selbst um den Preis, den eigenen Körper dafür zu verkaufen. Als Motto könnte für mich über dem Stück der Satz von Wenedikt Jerofejew aus seinem Roman "Die Reise nach Petuschki" stehen: "Alles auf der Welt muss langsam und verkehrt laufen, damit der Mensch nicht hochmütig werde, damit der Mensch traurig und verwirrt sei."DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG Casting von Alexander Galin. Regie: Konstanze Lauterbach, Bühne: Andreas Jander, Kostüme: Hannah Hamburger, Musik: Achim Gieseler.Mit Margit Bendokat, Lisa Hagmeister, Katrin Heller, Anika Mauer, Gabriela Maria Schmeide, Isabel Schosnig, Oliver Bäßler, Timo Dierkes, Sven Lehmann, Hiroki Mano und Peter Pagel.PREMIERE am 14. April, 20 Uhr in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.Weitere Aufführungen: 18. & 21. April, 20 Uhr.DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG bash - stücke der letzten tage von Neil LaBute.Regie: Peter Zadek, Bühne und Kostüme: Karl Kneidl.Mit Ben Becker, Uwe Bohm und Judith Engel.Eine Produktion der Hamburger Kammerspiele in Koproduktion mit den Wiener Festwochen, den Ruhrfestspielen Recklinghausen und dem Deutschen Theater Berlin.BERLINER PREMIERE am 17. April, 19. 30 Uhr im Deutschen Theater weitere Vorstellungen: 18. bis 21. April, 19. 30 Uhr.Kartentelefon: (030) 284 41-225 www. deutschestheater. de.ARNO DECLAIR Uwe Bohm und Judith Engel in der deutschsprachigen Erstaufführung von "Bash".ARNO DECLAIR Ben Becker in "Bash".DEUTSCHES THEATER Die Hoffnungen und Enttäuschungen von denen, die aus der Zeit gefallen sind: "Casting".