Dieter Stolte war 36 Jahre beim ZDF, 20 Jahre davon dessen Intendant. Nun macht er etwas Anderes: "Ich bin kein Genießer"

Nach 20 Jahren nimmt Dieter Stolte Abschied als ZDF-Intendant. Im Gespräch zieht er Bilanz und blickt auf neue Aufgaben.Glauben Sie, dass es dem Fernsehrat am 9. März endlich gelingt, einen Nachfolger für Sie zu wählen?Nach dem Gesetz ist der Fernsehrat verpflichtet, einen Intendanten zu wählen. Täte er es nicht, wäre das quasi ein gesetzlicher Verstoß. Ich bin überzeugt, dass der Fernsehrat sich diesem Vorwurf nach einem dritten Wahlgang nicht aussetzen wird.Kaum eine Woche später endet Ihre Amtszeit. Allerorten ist nun zu hören: Das ZDF ist Stolte, und Stolte ist das ZDF. Schlechte Aussichten also für den Sender?Nein. Das wäre eine Verkürzung, wenn man sagt, eine einzelne Person sei das Unternehmen. Auch der Intendant einer Fernsehanstalt ist nur so erfolgreich wie das Team, dem er angehört und das er anführt.Sie werden aber nicht widersprechen, dass Sie den Sender wie keiner ihrer Vorgänger geprägt haben. Was bleibt, wenn Sie gehen?Ich habe das Haus sicherlich geprägt. Ich will mich nicht kleiner machen, als ich mich selber fühle. Aber von meinen Vorgängern Karl Holzamer und Karl-Günter von Hase konnte ich ein Haus übernehmen, das sich schon seinerzeit durch Seriosität, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit im Programmprofil auszeichnete. Es war mein Beitrag, das Erworbene zu mehren und fortzusetzen.Sind Sie mit Ihrer Bilanz zufrieden?Im Großen und Ganzen bin ich das, auch wenn ich weiß, dass es Defizite und Schwachpunkte gibt. Das ZDF ist einer der drei großen, unverzichtbaren Programmanbieter neben der ARD und RTL. Das ZDF genießt in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen. Seine Finanzen sind nicht üppig, aber geordnet. Im Technologie-Bereich, etwa in der Umstellung von der analogen zur digitalen Technik, sind wir hervorragend aufgestellt, sogar streckenweise führend. International sind wir mit einer Vielzahl von Rundfunkanstalten durch Kooperationsverträge verbunden. Und: Es ist uns gelungen, in Partnerschaft mit der ARD, weitere Spartenkanäle aufzubauen. Phönix, Kinderkanal, Arte sind heute aus der öffentlich-rechtlichen Programmpalette nicht mehr wegzudenken.Wo sehen Sie Defizite?Wir haben ein Defizit in der Altersstruktur unserer Zuschauer. Dieses Defizit teilen wir - graduell unterschiedlich - mit allen öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland und in Europa. Diese Altersstruktur hängt mit den unterschiedlichen Programmaufträgen und Programmzielen der öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sender zusammen. Wir produzieren nicht für die Werbewirtschaft, um Geld zu verdienen, sondern für die Gesellschaft und ihre einzelnen Interessen und Bedürfnisse. Privatsender veranstalten Programme, um zu einem ertragreichen Ergebnis zu kommen. Trotzdem halte ich es für notwendig, dass wir stärker in die Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen vordringen.Welche Ziele haben Sie nicht erreicht?Ich war immer der Meinung, dass das ZDF einen Hörfunksender braucht. Zu einem modernen, erfolgreichen Medienunternehmen gehört die Möglichkeit der Ausbildung und Bindung junger Menschen. Das gelingt entweder über den Hörfunk oder über die Zeitung. Beides steht uns nicht zur Verfügung. Das ist ein Handicap, auch was die Cross-Promotion angeht. Alle unsere Konkurrenten, ARD, die Kirch-Gruppe, RTL, verfügen im Rahmen ihrer Senderfamilien entweder über das eine oder das andere. Der geplante ZDF-Medienpark soll dieses Handicap auszugleichen helfen.In den medienpolitischen Debatten der 90er-Jahre wurden die Öffentlich-Rechtlichen totgesagt, während die Privatsender in Euphorie schwelgten. Waren Sie sich dieser Krise bewusst?Ich habe das nie als Krise wahrgenommen. Vieles von dem, was damals gesagt und geschrieben wurde über den Tod des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, war interessegeleitetes Geschwätz. Ich stelle mit Befriedigung fest, dass keiner der Chefs dieser privaten Fernsehanstalten, die damals das Ende von ARD und/oder ZDF lautstark verkündeten, heute noch in einer aktiven verantwortungsvollen Position ist. Und dass wir im Gegensatz zum Niedergang inzwischen wieder eine Renaissance des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verzeichnen haben. Das wiederum hängt mit unserer eigenen Programmleistung zusammen. Politik und Öffentlichkeit haben begriffen, welchen Wert der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gesellschaft hat.Die Krise des Leo Kirch könnte nun für die gesamte Medienlandschaft einen Umbruch bedeuten.Wenn es dazu kommt, dass die Kirch-Gruppe ihren Teil zum dualen Rundfunksystem als eine der beiden großen kommerziellen Senderfamilien nicht mehr beitragen könnte, hätte das in der Tat gravierende Folgen. Das duale Rundfunksystem in Deutschland basiert auf einer ausgewogenen Statik der vier großen Anbieter ARD, ZDF, Bertelsmanns RTL und Kirch-Gruppe. Bricht eine dieser Säulen weg, gerät die Gesamtstatik in Gefahr. Würde eine dieser Säulen gar in die Hände von Unternehmern wie Murdoch und Malone fallen, die ihre Unternehmenskultur auf außereuropäischen Märkten entwickelt haben, dann würde ein Stil in Deutschland einkehren, der verheerende Folgen auf unsere gesamte mediale Unternehmenskultur hätte.Bereuen Sie, dass Sie derartig viel Geld für die Fußball-WM-Rechte an Kirch gezahlt haben?Nein. Wir haben den Preis bezahlt, den ARD und ZDF zwar einerseits als hoch, aber andererseits als marktgerecht angesehen haben. Deutschland ist die größte Fernsehnation in Europa. Wenn man in einem Land lebt mit 36 Millionen Fernsehhaushalten, dann muss man mehr bezahlen als in einem Land, in dem es nur 20 Millionen Fernsehhaushalte gibt.Wo liegen die Grenzen bei der Übertragung von Sportereignissen?Wir haben im Jahre 2002 die Schallgrenze durchstoßen. Das liegt auch an der Fülle von Sportevents, denen wir uns im Interesse der Zuschauer zu stellen hatten: Olympische Winterspiele, Fußball-WM, Tour de France, um nur einige zu nennen. Das hat dazu geführt, dass wir allein für den Sport 25 Prozent des gesamten Programmetats ausgeben werden. Das müssen wir zurückfahren, denn es darf nicht sein, dass andere Programmetats darunter leiden. Wir ziehen daraus bereits im Jahre 2003 die Konsequenz, indem wir unser Engagement im Tennis, im Ski-Alpin und zum Teil auch im Fußball einschränken werden.Viel ist derzeit vom Einfluss der Politik auf den Sender die Rede. Haben Sie solche Versuche erlebt?In der Tat!Wie sind Sie damit umgegangen?Man muss sich erstens bewusst sein, dass man eine Funktion auf Zeit übertragen bekommen hat. Das sagt sich nach 20 Jahren natürlich leichter. Ich war mir aber schon nach den ersten fünf Jahren im Klaren, dass ich nicht um jeden Preis Intendant bleiben muss. Wer sich vorstellen kann, im Leben auch etwas Anderes zu machen, der gewinnt jene notwendige innere Freiheit, um allen Anfechtungen von außen zu widerstehen.Welcher Art waren denn die Versuche, Einfluss zu nehmen?Die einen wollten, dass ich Personalentscheidungen treffe, die ich nicht treffen wollte, die nächsten wollten, dass ich Sendungen absetze, die ich für richtig hielt. Also nichts Unzüchtiges, nichts, was nicht auch dem Chefredakteur einer großen Zeitung passiert. Ich kann Ihnen verraten, dass ich mich in allen Fällen durchgesetzt habe.Haben die Betroffenen im Sender jemals erfahren, wenn es Anrufe gab?Nein. Ich habe die Probleme, die ich hatte, grundsätzlich nicht an die weitergegeben, die sie mit betrafen, die sie mit ausgelöst hatten, die vielleicht sogar Gegenstand der Intervention waren. Das hätte zu einer Beunruhigung des Hauses und zu einem angepassten, miserablen Programm geführt.Im Hinblick auf die Wahl Ihres Nachfolgers mischt sich die Politik aber wieder besonders stark ein.Man muss zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist die Frage des politischen Einflusses im Allgemeinen und damit in erster Linie des Einflusses auf das Programm. Der ist in den vergangenen zehn Jahren geringer geworden. Das hängt damit zusammen, dass eine Vielzahl von Programmen inzwischen jedweder Form von Meinungen den notwendigen Spielraum einräumt. Zweitens haben die Politiker längst die Übersicht verloren, was überall gesendet und geschrieben wird. Ferner ist ein professioneller Umgang bei sachlich notwendigen Entscheidungen bis hin zu Personalfragen heute weiter verbreitet als in früheren Zeiten.Anders ist die Situation gegenwärtig bei der Intendantenwahl. Sie ist in der Tat erstaunlich und für mich überraschend. Es war ein Fehler, dass sich der Fernsehrat nicht von Anfang an auf einen konsensualen Weg verständigt hat. Der Gesetzgeber hat sich etwas dabei gedacht, als er das Drei-Fünftel-Quorum für die Intendantenwahl vorschrieb. Er wollte nicht, dass eine nationale publizistische Fernsehanstalt von der Größenordnung und Bedeutung des ZDF in die Hand einer politischen Strömung gerät.Sie wechseln als Herausgeber in den Axel Springer Verlag. Wer Sie kennt, könnte darauf kommen, dass Sie sich bald unterfordert fühlen.Das befürchte ich nicht. Als Herausgeber sehe ich meine Funktion als Sparringspartner bei der konzeptionellen Weiterentwicklung von "Welt" und "Berliner Morgenpost". Und ich habe mir von meinen beiden neuen Kollegen, Wolfram Weimer und Jan-Eric Peters, sagen lassen, die Aufgabe, eine gemeinsame Redaktion für zwei selbstständige Zeitungen zu formen, sei eine anspruchsvolle Aufgabe. Darauf freue ich mich.Sie werden sich schon ein wenig zurücknehmen müssen.Das mag sein. Ich bin nicht der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlages. Insofern gibt es eine neue Situation. Ich bin nicht mehr der Chef, sondern ich habe einen Chef, Matthias Döpfner. Aber auch das ZDF war ja nicht mein Eigentum. Ich habe mich auch dort immer als Treuhänder verstanden.Welche Rolle spielt es, dass Sie Ihre Aufgabe in Berlin wahrnehmen?Zunächst: Ich wollte nicht in Mainz bleiben. Ich wollte weder meinen Nachfolger permanent als Schatten begleiten, noch wollte ich, das sei gerechterweise hinzugefügt, jenen begegnen, die mir erklären, wie hervorragend alles auch ohne mich läuft. Nach 20 Jahren als Intendant, 36 Jahren intensiver Arbeit im ZDF, ist die Verwurzelung tiefer, als man es selber wahrhaben will. Das spürt man erst, wenn man weggeht. Man wird es aber umso weniger spüren, wenn man eine neue Herausforderung annimmt, die einen komplett in Anspruch nimmt. Dass diese mich nun nach Berlin führen wird, freut mich besonders. Ich kehre in eine Stadt zurück, in der ich als Junge gelebt habe. Hinter unserem Haus habe ich an der Spree gespielt und in den Splittergräben, die zum Schutz vor Bombenangriffen in Charlottenburg ausgehoben worden waren.Wird Herausgeber Ihre letzte Aufgabe sein?Ehe ich in die Kiste fahre?Sie könnten auch nach fünf Jahren sagen: "Jetzt genieße ich die Rente. " Ich bin kein Genießertyp. Weder hinsichtlich der Zeit, noch im Hinblick auf die übrigen Lebensgenüsse, von denen ich gehört habe, dass es solche geben soll. Ich bin ein tätiger Mensch und finde darin meine Erfüllung und Befriedigung.Das Interview führten Ralph Kotsch und Ralf Mielke.Vor 40 Jahren im ZDF angefangen // Dieter Stolte wurde am 18. September 1934 in Köln geboren. Er studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik in Tübingen und Mainz.Bereits von 1962 bis 1973 arbeitete Dieter Stolte beim ZDF: Zunächst als persönlicher Referent des Intendanten, ab 1967 als Leiter der Hauptabteilung Programmplanung.Nach einem kurzen Aufenthalt beim Südwestfunk, wo er von 1973 bis 1976 als Fernsehdirektor und stellvertretender Intendant tätig war, kehrte Stolte 1976 als Programmdirektor zum ZDF zurück.Im November 1981 wurde Dieter Stolte als Nachfolger von Karl-Günther von Hase zum ZDF-Intendanten gewählt.