Edathy-Skandal: Der Karriere-Knick des Thomas Oppermann

Das Büßergewand steht ihm nicht. Thomas Oppermann wirkt zwar äußerst zerknirscht, als er vor die Mikrofone tritt. Doch man mag ihm diese Pose nicht abnehmen, wie er sich wieder und wieder wortreich entschuldigt für das, was Hans-Peter Friedrich widerfahren ist. Aufrichtig leid tue ihm das, tragisch sei es, was zum Rücktritt des einstigen Bundesinnenministers geführt habe.

Die Berliner Medienmeute drängt sich dicht an dicht vor Raum 2.600 des Paul-Löbe-Abgeordnetenhauses. Ein bisschen gereizt ist die Stimmung, schließlich warten die Journalisten seit Stunden. Es ist Mittwoch, drinnen tagt der Bundestags-Innenausschuss, draußen setzt Thomas Oppermann die Operation „Schadensbegrenzung“ fort.

Der smarte Sozialdemokrat kämpft dieser Tage gleich an mehreren Fronten. Als Vorsitzender seiner Fraktion und „gemeinsam mit Volker Kauder“ selbst erklärter Stabilitätsanker der großen Koalition stemmt sich Oppermann mit Wucht den Zentrifugalkräften entgegen, die gerade das noch anfällige Bündnis von CDU, CSU und SPD auseinanderzureißen drohen. Zentrifugalkräfte, die er selbst – und das macht die Angelegenheit für ihn so heikel – ausgelöst hat. Längst ist aus dem unappetitlichen Fall von Sebastian Edathy eine Politaffäre geworden. Und längst ist nicht ausgemacht, ob nicht auch Oppermann noch Opfer eben jener Affäre wird.

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Wo beginnt diese Geschichte eigentlich für den SPD-Politiker? Sie beginnt am 17. Oktober, als SPD-Chef Sigmar Gabriel seinen alten Kollegen Oppermann anruft und ihn informiert, was er von Friedrich über Edathy gehört hat. Gabriel und Oppermann kennen sich bereits aus gemeinsamen Zeiten im niedersächsischen Landtag − Gabriel am Ende als Ministerpräsident, Oppermann als Wissenschaftsminister.

Im Telefonat angeschwiegen

Vielleicht beginnt die Geschichte auch erst wenige Minuten später, als Oppermann sich mit BKA-Präsident Jörg Ziercke verbinden lässt, weil er sich, wie er jetzt behauptet, „keinen Reim auf die Sache machen konnte“, die Gabriel erzählt habe.

Ganz sicher ist, dass jenes angeblich zwei-, dreiminütige Telefonat den heutigen SPD-Fraktionschef in arge Bredouille bringt. Hat er nun, wie die Opposition und hinter vorgehaltener Hand auch manch auf Rache sinnender Unionspolitiker munkelt, den BKA-Präsidenten verleiten wollen, geheime Informationen auszuplaudern? Wollte er Näheres zu den Vorwürfen erfahren, die gegen Edathy erhoben wurden?

Oder stimmt es, wie die beiden Betroffenen beteuern, dass sich der oberste Polizist der Republik und der oberste Aufseher des Bundestags über die Arbeit der Geheimdienste, in diesem Telefongespräch eher angeschwiegen haben? Letztlich wird man es wohl nie herausfinden, auch wenn die Lebenserfahrung arge Zweifel an der Schilderung weckt, die Ziercke und Oppermann nun – auffallend wortgleich – dem Ausschuss vortragen.

Plötzlich steht Thomas Oppermann, dieser kluge, wortgewandte Politiker, mit dem Rücken zur Wand. Steht da als einer, der sich nicht an Recht und Gesetz hält, sondern lieber den kurzen Dienstweg wählt, um Schaden von seiner Partei abzulenken. Als einer, der oberschlau die Wahrheit dehnt und biegt, um seinen eigenen Posten, seine Karriere zu retten. Statt Aufklärer gibt er nun den Nebelwerfer.

„Lieber Thomas Oppermann“, hat Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann bereits im Oktober treffend angemerkt, „da hast Du den Schalter aber schnell umgelegt.“ Tatsächlich gibt es wohl keinen aktiven Sozialdemokraten, der bis zur Bundestagswahl CDU/CSU so heftig, so spitzzüngig attackiert hat wie er. Gerade deshalb fällt die rasche Wandlung der Allzweckwaffe Oppermann, des Neben-Generalsekretärs der SPD, so auf, als er ganz großkoalitionäre Töne anschlägt. Seine, nennen wir es: Flexibilität, werfen ihm auch manche Fraktionskollegen vor. In der Sozialdemokratie blickt man immer ein bisschen skeptisch, mitunter missgünstig auf jene, die nicht die Ochsentour machen müssen, um in Würden und Ämter zu gelangen, sondern die mit Leichtigkeit an anderen vorbeizuziehen scheinen, weil sie besser aussehen, sich besser ausdrücken können, weil sie klüger sind oder mächtige Gönner haben.

Auf Oppermann trifft alles dies zu. Fraktionschef Peter Struck, auch ein Niedersachse, erkennt das Talent des Göttingers und traut ihm, da sitzt Oppermann nicht mal ein halbes Jahr im Bundestag, 2006 den Posten des Obmanns im BND-Untersuchungsausschuss zu. So etwas kann ein Karriere-Sprungbrett sein. Der Verwaltungsrichter macht seine Sache ausgezeichnet. Als Struck im Herbst 2007 einen neuen Fraktionsgeschäftsführer braucht, entscheidet er sich für den Göttinger. Und als Steinmeier zwei Jahre später Struck an der Fraktionsspitze beerbt, hält er an ihm fest.

Der SPD fehlt die Alternative

Oppermann ist nicht der Kumpeltyp, kein Mann für den Platz am Biertresen, sondern jemand, der schick geschnittene Anzüge, teuren Rotwein und gutes Essen schätzt, der Lust am Fabulieren verspürt und seine Ungeduld nicht immer zügeln kann, wenn seine Kollegen weniger schnell im Kopf sind als er.

Trotz 34 Jahren Mitgliedschaft in der SPD hat er keinen Stallgeruch. Das rächt sich jetzt in dieser schwierigen Zeit, weil er mit seinem Umfeld beim Krisenmanagement auf sich gestellt ist. Es ist Oppermanns Entscheidung am Mittwoch voriger Woche, als sich die Medienanfragen zur Rolle der SPD-Spitze in der Affäre bei ihm häuften, offensiv mit einer Erklärung an die Presse zu gehen, um nicht zum Gejagten in der Causa Edathy zu werden.

Es ist Oppermann, der die Erklärung formuliert und angeblich mit allen Beteiligten abgesprochen haben will. Die Erklärung, die in Rekordzeit Friedrich aus dem Kabinett spült, die Union auf die Palme bringt – und ihn in Bredouille. Kaum jemand spricht in Berlin mehr darüber, was Sebastian Edathy vorgeworfen wird. Alle aber berichten über den Krach in der Koalition.

Und dann der nächste Patzer, als die Angelegenheit fast ausgestanden scheint: Kaum entschuldigt sich Oppermann dieser Woche im Innenausschuss wortreich und erzählt, er habe jene Erklärung vorab auch an das Büro Kauder geschickt, widerspricht der CDU-Politiker. Öffentlich: Nichts sei im Büro eingetroffen. Kauder lässt unerwähnt, dass sich Oppermann über dieses „Büroversehen“ längst bei ihm entschuldigt hat. Nein, Kauder möchte diesen Punkt machen, der „Stabilitätsanker“ soll noch eine Weile an die Affäre gekettet sein. Da hilft es, ihn mittelbar als Lügenbold darzustellen. Koalitionäre Nickeligkeiten.

Jetzt, zehn Tage nach Beginn dieser Affäre, präsentiert das ZDF-Politbarometer dem gerupften SPD-Überflieger die Quittung: 53 Prozent der Befragten legen Oppermann in der Umfrage den Rücktritt nahe. Doch Sigmar Gabriel will an ihm festhalten, nicht zuletzt weil es keine Alternative zu Oppermann als Fraktionschef gibt. Und weil es den machtbewussten SPD-Chef kaum stören dürfte, dass der zweitwichtigste Sozialdemokrat ein bisschen Glanz verloren hat. Nur: Noch einen Fehler darf sich Thomas Oppermann nicht mehr leisten.