Ehegattensplitting: Es geht um Gleichbehandlung
Der bayerische Finanzbeamte glaubte an einen Tippfehler, als er die Steuererklärung von Axel und Andreas Hochrein las. Das Paar hatte die gemeinsame steuerliche Veranlagung beantragt. Im einschlägigen Formular hatten sie „verheiratet“ angekreuzt. „Das muss wohl Andrea heißen“, schrieb der aufmerksame Beamte dem schwulen Paar. Als Axel Hochrein ihn aufklärte, dass er und sein Mann eingetragene Lebenspartner seien, kam postwendend die Ablehnung. Das war vor elf Jahren.
Späte Genugtuung
Heute kann sich der Bundessprecher des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) über eine satte Rückzahlung freuen. Um Geld sei es ihm gar nicht gegangen, sagt Hochrein. Wie viele Schwule lehnt er das Ehegattensplitting eigentlich als überholt ab. „Aber wir empfanden es als ungerecht, dass wir jedes Jahr vom Finanzamt bestätigt bekamen, ihr seid anders als ein verheiratetes Paar.“
Es geht Hochrein um Gleichbehandlung. Dass der späte Triumph an das Steuerprivileg Ehegattensplitting geknüpft ist, schmälert die Genugtuung nicht. Schließlich hat auch Karlsruhe nicht über das Ehegattensplitting geurteilt, sondern über die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Das Urteil bestätigt nur, was 2011 bereits der Europäische Gerichtshof entschieden hatte: Die Benachteiligung von eingetragenen Partnerschaften ist weder mit EU-Recht noch mit dem deutschen Verfassungsrecht in Einklang zu bringen.
Damit wird das knapp 12 Jahre alte Lebenspartnerschaftsgesetz endlich in geltendes Recht überführt. Seine Umsetzung war mühevoll. Vom Einkommensteuerrecht über das Adoptionsrecht bis zur betrieblichen Altersvorsorge musste jeder einzelne Schritt zur Gleichstellung homosexueller Paare vor Gericht erstritten werden. Allerdings waren diese letzten Schritte auf dem langen Weg von der Verfolgung Homosexueller zu ihrer rechtlichen Gleichstellung eine vergleichsweise bequeme Strecke.
Als „widernatürliche Unzucht“ hatte das Reichsgesetzbuch von 1872 homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt. Die Rede war von „Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird“. Der einschlägige Paragraph 175 galt immer nur für Männer. Ein Jahrhundert lang war er mehr als eine Strafandrohung, er war eine Geißel. Er verurteilte Homosexuelle zur Selbstverleugnung, trieb sie in die Illegalität, in ungezählten Fällen auch in den Selbstmord. Wer nach diesem Paragraphen verurteilt wurde, dem drohte nicht nur Zuchthaus. Er war für den Rest seines Lebens zu einer Randexistenz verdammt.
Der Paragraph 175 galt in der Bundesrepublik noch 1969, wenn auch in abgeschwächter Form. Männern über 21 Jahren war die „Verirrung“ gleichgeschlechtlicher Liebe fortan erlaubt. Ein Jahr zuvor hatte auch die DDR ihr Strafrecht reformiert. Hier standen ab 1968 nur noch gleichgeschlechtliche Handlungen mit Jugendlichen unter Strafe, für Männer und Frauen.
Der Bundestag setzte die Altersgrenze, ab der Homosexualität straffrei sein sollte, 1973 auf 18 Jahre herab, aber erst 1984 stellte der Bundesgerichtshof fest, dass das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Personen nicht mehr als „sittlich anstößig“ gelte. Ein frommer Wunsch der deutschen Justiz, wie sich zeigen sollte. Bayerns damaliger Kultusminister Hans Zehetmeyer durfte noch 1987 von Homosexualität– ungestraft – als „Entartung“ sprechen.
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Das Verfassungsgericht vermerkt in seinem gestrigen Urteil nüchtern, es fehle an „hinreichenden Sachgründen“ für eine Ungleichbehandlung schwuler und lesbischer Paare. Die Messlatte für eine Ungleichbehandlung liege umso höher, je größer die Gefahr sei, dass Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führe. Für schwule und lesbische Paare ist dieses Urteil ein später Sieg aber einer „auf ganzer Linie“, wie Volker Beck konstatierte. „Wir werden gut von Karlsruhe regiert“, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen am Donnerstag.
Auf die deutsche Justiz war in dieser Hinsicht nicht immer Verlass. Geschätzte 50.000 Verurteilungen nach Paragraph 175 gab es in Westdeutschland noch in den ersten 15 Nachkriegsjahren.